Werner Kogler und Sebastian Kurz
ORF.at/Roland Winkler
Kurz-Ermittlungen

Belastungsprobe für Regierung

Die Frage nach der Wahrheit beschäftigt die heimische Politik derzeit etwas mehr als sonst: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird beschuldigt, falsch vor dem „Ibiza“-U-Ausschuss ausgesagt zu haben. Ob es zu einer Anklage kommt, wird sich zwar erst zeigen. Doch auch so ist für Politikberater Thomas Hofer ein Neuwahlszenario wahrscheinlicher geworden.

Zumindest müssten sich die Parteien nun wieder mehr auf ein solches vorbereiten, „selbst wenn es sich wohl keine der Parteien tatsächlich wünscht“, sagte Hofer im Gespräch mit ORF.at. Grund dafür ist freilich die angespannte Stimmung in der ÖVP-Grünen-Regierung. Nach den ohnehin schon „unterschiedlichen Welten“ kommen nun Ermittlungen gegen den Regierungschef hinzu. „Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass gegen Finanzminister Blümel (Gernot, ÖVP, Anm.) in einer anderen Sache ebenfalls ermittelt wird. Das hat Sprengkraft.“

Dem Experten ist es wichtig zu betonen, dass eine Neuwahl freilich nicht unmittelbar bevorstehe. Die Dynamik sei derzeit jedoch volatil und quasi unkontrollierbar. Das führe dazu, dass die Parteien „Passagiere“ der aktuellen Entwicklungen seien, so der Fachmann, für den zwei wesentliche Punkte die Volatilität unterstreichen: Erstens kündigte Kurz zwar an, bei einer Anklage nicht zurückzutreten. Allerdings ließ er die Frage, ob er bei einer Verurteilung Kanzler bleibe, offen. Zweitens ziehen die Grünen in dieser Causa keine „rote Linie“.

Rumoren in den eigenen Reihen

„Sie wollen sich nicht festlegen“, sagte Hofer unverblümt. Denn würde Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler „klare Worte Richtung Koalitionspartner richten“, würde er früher oder später auch damit von der Öffentlichkeit festgenagelt werden. Das ist freilich alles andere als eine befriedigende Lage für die Grünen. 2017 flogen sie noch aus dem Parlament, 2019 verhandelten sie über eine Regierungsbeteiligung. „Sie wollen weiter regieren, weil sie auch nicht wissen, was nach einem Koalitionsbruch kommt“, so der Politikberater.

Im „Standard“ betonte Kogler etwa, dass „jetzt nicht die Zeit für Spekulationen über einen etwaigen Rücktrittszeitpunkt“ sei. „Jetzt geht es darum, dass unabhängig und gewissenhaft ermittelt wird. Wir Grüne haben die Aufgabe, das in der Regierung sicherzustellen“, sagte Kogler. Vor wenigen Wochen, als Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Finanzminister Blümel publik wurden, zog Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer eine „rote Linie“: Sollten sich die Vorwürfe gegen Blümel erhärten oder sollte gar Anklage erhoben werden, „muss er sofort gehen“, sagte sie.

Das sei eine Zerreißprobe für die Grünen, meinte Hofer, „taktisches Kalkül“ stehe derzeit im Vordergrund. Denn noch wolle die Partei den Regierungspakt – allen voran die „grüne Handschrift“ – umsetzen. Doch am Montag ist nicht nur Sondersitzung des Nationalrats, in der allen voran die Opposition, „den Finger in die Wunde“ der Regierung legen werde. Demnächst dürfte auch die Entscheidung anstehen, ob die Grünen bei der Verlängerung des „Ibiza“-U-Ausschusses mitgehen oder der ÖVP die Stange halten werden. „Ersteres liegt ja in der DNA der Partei, Letzteres ist Koalitionsräson“, sagte Hofer.

Warnung vor der „linken Mehrheit“

Aber nicht nur beim kleinen Koalitionspartner ortete der Politikberater Rumoren in den eigenen Reihen. Auch die ÖVP wirke angeknackst. Zwar sei die Partei nach außen weiterhin sehr diszipliniert – insbesondere der Rückhalt durch die ÖVP-Landeshauptleute wurde medienwirksam zur Schau gestellt –, aber „Ermittlungen können nicht vom Tisch gewischt werden“, wie er betonte. „U-Ausschuss, Verfahren und Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs können einem schon zusetzen.“

ÖVP stärkt Kurz den Rücken

Alle ÖVP-Teilorganisationen stellten sich am Freitag in einer Aussendung hinter Bundeskanzler Kurz (ÖVP), gegen den die Staatsanwalt wegen Falschaussage im Untersuchungsausschuss ermittelt.

Doch im Gegensatz zu den Grünen, so Hofer, positioniere sich die ÖVP bereits für ein mögliches Neuwahlszenario. Insbesondere in der ZIB2 habe Kurz eine Rolle definiert, die er nach Bedarf aus der „Schublade“ holen kann: „Alle gegen mich, alle gegen die ÖVP“, zitierte Hofer den Bundeskanzler sinngemäß. Der ÖVP-Chef versuche, wie auch nach der Abwahl der ÖVP-FPÖ-Regierung 2019, in eine „Opferrolle“ zu schlüpfen und vor einer „linken Mehrheit“ zu warnen, sagte der Experte. Die Partei stehe unter Druck, und deshalb gehe sie in die Offensive.

Nie der richtige Zeitpunkt

Eine Neuwahl komme laut Hofer für die Parteien nie zum richtigen Zeitpunkt. Die ÖVP könne sich das nicht leisten, selbst wenn sie „auf alles vorbereitet ist“. Denn auch das Coronavirus-Jahr hat der Kurz-Regierung zugesetzt. Und die Opposition? Zwar habe sich die SPÖ nach innerparteilichem Disput erfangen, sagte Hofer. Das bedeute aber nur, dass es derzeit keinen Konflikt gibt. Für ihn ist es nicht ausgeschlossen, dass die SPÖ-Landeschefs die Parteichefin erneut – indirekt oder direkt – infrage stellen.

Für die FPÖ sei ein Koalitionsbruch wohl eine Art Genugtuung nach dem Scheitern der Regierung mit der ÖVP. Zuletzt war aber auch die FPÖ-Spitze aus Norbert Hofer und Herbert Kickl in Sachen Coronavirus (Stichwort Maskenpflicht im Parlament) nicht einer Meinung. Nur die kleinste Oppositionspartei, NEOS, habe mit internen Querelen nichts am Hut, so Hofer. Man dürfe aber auch nicht die Stimmung in der Bevölkerung vergessen. Denn für die meisten seien das Coronavirus und die Folgen noch die zentralen Themen.