Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel
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Nationalratssondersitzung

Kurz und Blümel im Fokus der Debatte

Die Sondersitzung des Nationalrats am Montag steht ganz im Zeichen von zwei für die ÖVP unangenehmen Materien, die von der Opposition im Zusammenhang mit dem „Ibiza“-U-Ausschuss aufgebracht wurden. Im Zentrum der Debatte stehen Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel (beide ÖVP).

Eigentlich war die Sondersitzung initiiert worden, weil Blümel die vom U-Ausschuss angeforderten Unterlagen erst geliefert hatte, nachdem der Verfassungsgerichtshof (VfGH) Bundespräsident Alexander Van der Bellen zur Exekution aufgefordert hatte. Nun ist auch noch die mögliche Anklage gegen Kurz wegen des Vorwurfs der Falschaussage im U-Ausschuss als Thema dazugekommen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Bei der Sondersitzung brachte die SPÖ eine Dringliche Anfrage an Kurz ein. Kurz wird vorgeworfen, die Politik zu einem persönlichen und moralischen Tiefpunkt geführt zu haben. In der Anfrage werden Angriffe aus allen möglichen Sektoren zusammengezogen.

Angeführt wird die Liste von dem Vorgehen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Kurz selbst wegen angeblicher Falschaussage im U-Ausschuss bezüglich der ÖBAG-Bestellungen. Dazu kommen WKStA-Ermittlungen gegen Blümel in Sachen Novomatic, die Schredderaffäre und die Causa um Christian Pilnacek, Sektionschef im Justizministerium. Zudem könnten Misstrauensanträge abgestimmt werden. Einen Misstrauensantrag gegen Kurz will die SPÖ zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht unterstützen. Die FPÖ überlegt eine Initiative dazu.

Verfahren dauert Monate

Eine mögliche Anklage gegen Kurz könnte sich erst im Herbst entscheiden. Der Wirtschaftsstrafrechtsexperte Robert Kert von der Wirtschaftsuniversität Wien rechnete in der ZIB2 am Sonntag mit etwa sechs Monaten. Auf jeden Fall müsse die WKStA den Beschuldigten – also Kurz – vernehmen, auch mit Zeugenbefragungen sei zu rechnen. Damit werde es nicht „wenige Wochen“, sondern „schon einige Monate dauern“, so Kert.

Strafrechtsexperte zu Kurz-Ermittlungen

Robert Kert, Vorstand des Instituts für Wirtschaftsstrafrecht (WU Wien), erläutert, welche Aussichten das Verfahren gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat und wie wahrscheinlich eine Anklage ist.

„Tribunal“ vs. „seriöse Befragungen“

Durch die Vorwürfe gegen Blümel und Kurz rückte der „Ibiza“-U-Ausschuss wieder stärker in den Fokus der Berichterstattung. Dazu diskutierten Sonntagabend die Fraktionschefinnen und -chefs in der ORF-Sendung „Im Zentrum“. Seit gut einem Jahr befragt der „Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“, so der volle Titel des „Ibiza“-U-Ausschusses, Auskunftspersonen.

Anhand von gelieferten Akten aus Ministerien sollen etwa Bestellungen in der ÖBAG und der Casinos Austria AG durchleuchtet werden. Auch möglicher Gesetzeskauf steht im Fokus der Aufklärung. Zuletzt hatte es vermehrt Stimmen gegeben, die eine öffentliche Übertragung des U-Ausschusses forderten. So könnten alle sehen, wie die Befragungen ablaufen.

Denn während der Fraktionschef der ÖVP, Andreas Hanger, von einem „Tribunal“ sprach, in dem der Opposition „jedes Mittel recht ist, um Kurz loszuwerden“, sind SPÖ, FPÖ, NEOS und die Grünen ganz anderer Meinung. „Wir befragen seit gut einem Jahr im U-Ausschuss. Und es sind seriöse Befragungen“, sagte etwa Nina Tomaselli (Grüne). Auch NEOS-Fraktionschefin Stephanie Krisper betonte, dass die Rechte der Auskunftspersonen – etwa Persönlichkeits- und Entschlagungsrechte – selbstverständlich geschützt werden.

Debatte über Regeln

Hanger schilderte jedoch, dass Auskunftspersonen vor der Befragung angezeigt würden, um diese in Widersprüche zu verwickeln. So manche Fragen seien unterstellend und würden trotz Ermahnung des Verfahrensrichters „immer wieder“ gestellt, sagte er. Hangers Meinung nach würden „unbescholtene Bürger“ unter Druck gesetzt. Er wünsche sich eine „klare Definition des Untersuchungsgegenstandes“ und „konkrete Regeln“ zur Aktenlieferung.

Für die Opposition und die Grünen gibt es diese klaren Regeln allerdings schon. Man brauche nur die Kooperation der Regierung, sagte SPÖ-Fraktionschef Kai Jan Krainer, der auf verspätete Lieferungen aus dem Finanzministerium unter Minister Gernot Blümel (ÖVP) und fehlende Kalender aus dem Bundeskanzleramt hinwies. Die ÖVP würde die Aufklärung mit einer Verzögerungstaktik behindern, so der Politiker. Es sei nun sein „sechster U-Ausschuss“, aber es sei jetzt zum ersten Mal vorgekommen, dass Terminkalender nicht übermittelt wurden. „Kurz und Blümel glauben, die Regeln, die sonst für alle gelten, gelten für sie nicht.“

„Im Zentrum“: Suche nach der Wahrheit

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem „Ibiza“-U-Ausschuss. Basis war eine Anzeige von NEOS wegen Kurz’ Aussagen zur Bestellung von ÖBAG-Chef Thomas Schmid.

Krisper und FPÖ-Fraktionschef Christian Hafenecker pflichteten Krainer bei. Die ÖVP würde den Untersuchungsausschuss stören. Auf der einen Seite liefere das Bundeskanzleramt „Einladungen einer Krapfenparty, damit werden wir bespaßt“, so der Freiheitliche. Andererseits würden „relevante Akten“ fehlen, weil vieles offenbar „geschreddert“ wurde, mutmaßte er. ÖVP-Politiker Hanger empfand die Anspielung auf die Schredderaffäre „unterstellend“. Hafenecker zitierte anschließend Bundeskanzler Kurz, der meinte, dass man nichts „abstrakt Relevantes“ für den U-Ausschuss gefunden habe.

Krisper: Sobotka verzögert Aufklärung

„Zermürbend“ seien, so NEOS-Fraktionschefin Krisper, die Debatten zur Geschäftsordnung, die ihrer Meinung nach mit Absicht in die Länge gezogen werden. Denn dadurch bleibe den Fraktionen weniger Zeit, um die Auskunftspersonen zu befragen. Nach vier Stunden kann diese nämlich das Ausschusslokal verlassen. Krisper kritisierte insbesondere Ausschussvorsitzenden Wolfgang Sobotka (ÖVP). Er mische sich in die Befragungen ein und verzögere damit zusätzlich die Aufklärung, so die NEOS-Politikerin.

Angesprochen auf die erst nach einem Exekutionsantrag gelieferten Akten aus dem Finanzministerium sagte Hanger: Rückblickend würde man das heute sicher anders machen. Zudem betonte der Mandatar, dass er die Wahrheitspflicht im U-Ausschuss nicht infrage stelle. Zuletzt hatte Sobotka eine Debatte darüber angezettelt – und ruderte schließlich wieder zurück. Über eine Liveübertragung des U-Ausschuss könne man „im Zuge einer Gesamtreform prinzipiell“ sprechen, so Hanger.

„Nicht Erziehungsberechtigte des Kanzlers“

Die Fraktionschefinnen und -chefs blieben in Sachen Ermittlungen gegen Kurz auf Linie ihrer jeweiligen Parteien. Der ÖVP-Chef hatte laut WKStA im Zuge der Befragung über die Bestellung von Schmid zum ÖBAG-Alleinvorstand falsch ausgesagt. Auf rund 60 Seiten verglichen die Staatsanwälte die Aussagen von Kurz im U-Ausschuss und die sichergestellten Chats auf dem Handy von Schmid. Ob eine Anklage folgt, ist ungewiss.

Kurz selbst bekräftigte mehrmals, dass er im Falle einer Anklage nicht an Rücktritt denke. Eine Antwort auf die Frage, ob das auch bei einer Verurteilung gilt, blieb er schuldig. Während die FPÖ den sofortigen Schlussstrich von Kurz forderte, zog die SPÖ ihre „rote Linie“ bei einer Anklage. Die Grünen äußerten sich zurückhaltend und sagten, dass nun die Justiz unabhängig ermitteln solle. So machte es auch Tomaselli, die hinzufügte: „Ich bin nicht die Erziehungsberechtigte des Kanzlers.“

NEOS-Mandatarin Krisper sagte, dass Kurz „selbst überlegen“ müsse, welche Konsequenzen nach einer Anklage zu ziehen sind. NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger schrieb während der Debatte auf Twitter: „Haben klar gesagt, dass Anklage und Amt des Bundeskanzlers nicht zusammenpasst. Rücktritt muss folgen.“ Hanger antwortete auf die Frage, ob Kurz bei einer Anklage oder Verurteilung zurücktreten muss: „In meiner Gedankenwelt gibt es diese Frage nicht.“