Ermittlungen

Kurz kritisiert „persönliche Attacken“

Die Ermittlungen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem „Ibiza“-Untersuchungsausschuss haben am Montag das Parlament erreicht. Kurz kritisierte in der Sondersitzung des Nationalrats „persönliche Attacken“ gegen seine Person.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wirft dem Bundeskanzler vor, im U-Ausschuss zu dem Thema ÖBAG-Bestellung falsch ausgesagt zu haben. Kurz meinte, dass es im U-Ausschuss nicht mehr um die Wahrheitsfindung gehe, sondern nur noch um „Diffamierung“. Er habe nach „bestem Wissen und Gewissen“ ausgesagt. Es sei versucht worden, ihm „das Wort im Mund umzudrehen“, so der Kanzler, der als Beschuldigter von der Justiz geführt wird. „Wir werden diese Methoden als Volkspartei sicher nicht übernehmen.“

Eigentlich war die Sondersitzung initiiert worden, weil Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) die vom U-Ausschuss angeforderten Unterlagen erst geliefert hatte, nachdem der Verfassungsgerichtshof (VfGH) Bundespräsident Alexander Van der Bellen zur Exekution aufgefordert hatte. Allerdings brachte die SPÖ eine Dringliche Anfrage an Kanzler Kurz ein. Dem ÖVP-Chef wird vorgeworfen, die Politik an einen persönlichen und moralischen Tiefpunkt geführt zu haben.

„Mit bestem Wissen und Gewissen“

Die insgesamt 50 von der SPÖ gestellten Fragen beantwortete Kurz im Schnelldurchlauf. Er habe „mit bestem Wissen und Gewissen“ im U-Ausschuss ausgesagt. Von seinem Beschuldigtenstatus wisse er seit Dienstagabend – am Mittwoch trat er dann selbst vor die Presse. Im Großen und Ganzen wiederholte Kurz seine Aussagen, die er in den vergangenen Tagen gemacht und auch im U-Ausschuss bereits getätigt hatte. Der Finanzminister sei gesetzlich für die Bestellung der Aufsichtsräte der ÖBAG zuständig. Er werde für gewöhnlich im Nachhinein davon informiert, manchmal davor um eine Meinung gebeten.

Bundeskanzler Sebastian Kurz während einer Sondersitzung des Nationalrates zum Thema „Ibiza-U-Ausschuss-Akten“
APA/Robert Jaeger
Bundeskanzler Kurz beantwortet 50 Fragen im Schnelldurchlauf

Wichtig sei, dass die Personen qualifiziert sind, so Kurz. Auch andere Bestellungen sind gesetzlich geregelt und werden laut dem Kanzler von den zuständigen Gremien auch wahrgenommen. Auf die Frage, worauf er sich bezieht, wenn er behaupte, er habe sich nie bereichert, antwortete Kurz sinngemäß: Er habe sich nie bereichert, und das sei eine Tatsache. Eine weitere Erklärung brauche es dazu nicht.

Dass er Chatnachrichten und Kalendereinträge gelöscht habe, sodass sie nicht mehr an den U-Ausschuss geliefert werden können, sei rechtlich gedeckt, so der Kanzler. Ein Dossier über andere Abgeordnete habe er nie in Auftrag gegeben, sagte Kurz. Zuletzt hatte ja ÖVP-Mandatar Andreas Hanger unbeabsichtigt eine E-Mail an NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper geschickt. Diese E-Mail beinhaltete Aussagen der Abgeordneten im „Ibiza“-U-Ausschuss. Hanger nannte es „Fakten“, die offenbar der ÖVP-Klub zusammengestellt hat. NEOS bezeichnete die Zusammenstellung als „Sudel-Dossiers“.

Rendi-Wagner: „Wir leben in einem Rechtsstaat“

In der vom SPÖ-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Kai Jan Krainer, erstgezeichneten „Dringlichen“ werden Angriffe aus allen möglichen Sektoren zusammengezogen. Angeführt wird die Liste von dem Vorgehen der WKStA gegen Kurz selbst wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss bezüglich der ÖBAG-Bestellungen. Dazu kommen die Ermittlungen derselben Behörde gegen Blümel in Sachen Novomatic, die Schredderaffäre und die Causa um den suspendierten Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek.

Beate Meinl-Reisinger (NEOS) während einer Sondersitzung des Nationalrates zum Thema „Ibiza-U-Ausschuss-Akten“
APA/Robert Jaeger
Für NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger ist klar: Rücktritt bei Anklage

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte umgehend die „mangelnde Beantwortung“ der Fragen durch den Bundeskanzler. Es habe in den vergangenen Wochen „besorgniserregende Entwicklungen“ gegeben, die „ihren traurigen Höhepunkte in ÖVP-Attacken gegenüber der Justiz“ hatten. „Niemand steht über dem Recht, auch Sie nicht, Herr Bundeskanzler“, so Rendi-Wagner. Ob Kurz eine Straftat begangen hat, werde ein unabhängiger Richter entscheiden, nicht das Parlament und nicht die Opposition. „Und wissen Sie, warum nicht? Weil wir in einem Rechtsstaat leben, ob es Ihnen gefällt oder nicht“, sagte sie.

Wesentlich angriffiger war FPÖ-Klubchef Herbert Kickl, dem gleich zwei Ordnungsrufe binnen einer Minute durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) erteilt wurden. Kickl sprach nämlich mit Bezug auf Kurz von „Ceausescu-Methoden“ und vom „unterwürfigen Bestelljournalismus“. Der Bundeskanzler habe ohne „Lockvogel“ einen Fehler begangen, auf den eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren steht. „Sie wandeln auf den Spuren von (Ex-FPÖ-Chef, Anm.) Heinz-Christian Strache“, so Kickl.

ÖVP stellt sich hinter Kurz

ÖVP-Mandatar Hanger kritisierte wie sein Parteichef die Opposition, die alles unternehme, um Kurz loszuwerden. Er wolle aber nicht länger über die Ermittlungen und die Schredderaffäre reden, sondern über das Krisenmanagement während der Pandemie. Hanger kritisierte allerdings am Ende seine Rede, dass die Opposition zu dieser Sondersitzung geladen habe, aber etliche Abgeordnete jener Parteien nicht gekommen seien.

Herbert Kickl (FPÖ) während einer Sondersitzung des Nationalrates zum Thema „Ibiza-U-Ausschuss-Akten“
APA/Robert Jaeger
FPÖ-Klubchef Kickl sagte, dass Kurz auf den Spuren von Strache wandle

NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger sagte, dass aus einer FPÖ-Krise eine „veritable ÖVP-Krise“ geworden sei. Kurz sei kein Verdächtiger mehr, sondern ein Beschuldigter. Für ihn gelte die Unschuldsvermutung, aber für das Kanzleramt gälten andere Regeln, aus Respekt dem Amt gegenüber. Es gehe um die Handlungsfähigkeit. „Eine Anklage und die Regierungsbank passen nicht zusammen“, so Meinl-Reisinger, die es irritierend fand, dass Kurz es offenließ, ob er selbst bei einer Verurteilung aus dem Amt weichen werde.

Aus den Reihen der Grünen blieb es zwar gewohnt ruhig – dennoch erinnerte Klubchefin Sigrid Maurer an die Rechte des Parlaments und kritisierte Finanzminister Blümel. Der Verfassungsgerichtshof sei an der Nase herumgeführt worden, so Maurer. Es sei „hochnotpeinlich“, dass der Finanzminister eine Aufforderung des Bundespräsidenten gebraucht habe, um die Akten an den U-Ausschuss zu liefern. Einzelne Akten, die zuvor wegen der hohen Sicherheitsstufe in Papierform geliefert wurden, werden laut Maurer nun elektronisch übermittelt.

Krainer zählte Erfolge von U-Ausschuss auf

Vor der Beantwortung durch Kurz schilderte Krainer, was der U-Ausschuss seiner Meinung nach ans Tageslicht gebracht hatte. So seien die Verbindungen zwischen ÖVP und Novomatic wesentlich „dichter“ als jene zwischen dem Glücksspielkonzern und der FPÖ. Der Untersuchungsausschuss habe auch „detektivisch“ nachgewiesen, dass die Vernichtung von fünf Festplatten (Schredderaffäre) aus dem Kanzleramt keineswegs ad acta gelegt werden könne. Die WKStA hat bereits Ermittlungen gegen Kurz-Kabinettsmitarbeiter aufgenommen.

Kai Jan Krainer und Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Robert Jaeger
Krainer stellte die „Dringliche“ und kritisierte Kurz scharf

Darüber hinaus warf Krainer der ÖVP vor, ein zunehmendes Problem mit Justiz und Rechtsstaat zu haben. Wenn es zu einer Anklage wegen Verdachts auf Falschaussage komme, müsse er, Kurz, zurücktreten, so der SPÖ-Abgeordnete zu Beginn der Debatte im Nationalrat.

Eine mögliche Anklage gegen Kurz könnte sich im Herbst entscheiden. Der Wirtschaftsstrafrechtsexperte Robert Kert von der Wirtschaftsuniversität Wien rechnete in der ZIB2 am Sonntag mit etwa sechs Monaten. Auf jeden Fall müsse die WKStA den Beschuldigten – also Kurz – vernehmen, auch mit Zeugenbefragungen sei zu rechnen. Damit werde es nicht „wenige Wochen“, sondern „schon einige Monate dauern“, so Kert.