Der Gang ins Kaffeehaus, das Work-out im Fitnessstudio, das Konzert der Lieblingsband – nach sieben Monaten pandemiebedingter Schließungen ist Österreich weitgehend zur Normalität zurückgekehrt. Fachleute sind zuversichtlich, dass sich die Virusausbreitung in Zukunft dank der fortschreitenden Immunisierung der Bevölkerung mit weniger rigiden Mitteln als Lockdowns kontrollieren lässt.
Die Nachwirkungen der CoV-Krise auf die Gesundheit werden die Gesellschaft allerdings noch länger beschäftigen. Das betrifft einerseits Symptome, die bei manchen Betroffenen noch lange nach der überstandenen Erkrankung anhalten, bekannt als „Long Covid“. Andererseits rechnen Fachleute damit, dass es in den nächsten Jahren „sehr wahrscheinlich“ zu einem Anstieg psychischer Belastungsstörungen kommen wird, wie es jüngst bei einem von der Österreichischen Gesellschaft für Public Health (ÖGPH) organisierten Vortrag hieß.
Angst um sich selbst und seine Liebsten
Besonders hoch ist das Risiko nach Einschätzung von Fachleuten für Jüngere, sozioökonomisch schlechter gestellte Personen und Menschen, die bereits an einer psychischen Vorerkrankung leiden. Aber auch die Erkrankung selbst kann einen langen Schatten auf die Psyche werfen.
In vielen österreichischen Spitälern konnten und können Covid-19-Patientinnen und -Patienten professionelle psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen. Die Themen, die Betroffene beschäftigten, variierten je nach Stadium der Erkrankung, so Rosemarie Sigmund, Klinische und Gesundheitspsychologin und Verhaltenstherapeutin am Wiener AKH, gegenüber ORF.at.
Der Verlauf einer Covid-19-Erkrankung ist oftmals unberechenbar. Entsprechend groß sei die Sorge akut Erkrankter um die eigene Gesundheit, sagt Sigmund. Hinzu komme bei vielen die Angst um ebenfalls erkrankte Angehörige. Ein großes Thema sei auch die Einsamkeit: Akut Erkrankte können keinen Besuch empfangen, der Kontakt mit der Außenwelt erfolgt über Telefon und Videochat. Viele werden von Schuldgefühlen geplagt, weil sie der Überzeugung sind, Verwandte angesteckt zu haben.
Die Furcht vor der Intubation
Schwerkranke Covid-19-Patientinnen und -Patienten liegen im Schnitt fast zwei Wochen auf der Intensivstation. Viele Betroffene leiden am „Durchgangssyndrom“, sagt Sigmund. Sie haben Probleme mit der Orientierung, ihre Wahrnehmung ist verschoben. Mithilfe von Medikamenten verschwinde dieses Syndrom nach einiger Zeit wieder, so die Psychologin.
Viele Patientinnen und Patienten haben zudem Angst davor, wieder intubiert werden zu müssen, berichtet die Musiktherapeutin Saskia Laher, die am Landesklinikum Amstetten in Niederösterreich tätig ist. „Mir wird oft berichtet, dass sie schlecht schlafen und Alpträume haben“, sagt Laher. Andere Betroffene hätten von „Nahtoderlebnissen“ erzählt und hätten Angst gehabt vor dem Einschlafen.

Sehr belastend sei auch das Gefühl, keine Luft zu bekommen. „Eine befreundete Krankenpflegerin hat einmal zu mir gesagt: Das Schlimmste für einen Menschen ist nicht, wenn er einen Fuß verliert, sondern wenn er keine Luft kriegt“, sagt Lager im Gespräch mit ORF.at.
Die Angst vor der Atemnot sei vielen Patientinnen und Patienten ins Gesicht geschrieben. Oft dauere es Wochen, bis sich der Zustand der Betroffenen bessert. „Sie sind dankbar, wenn man bei ihnen sitzt und die Hand hält. Oder wenn sie einmal weinen dürfen“, sagt Laher.
Mit Stimmübungen zurück ins Leben
Laher ist Teil eines interdisziplinären Teams aus physikalischen Medizinerinnen und Medizinern und Fachleuten aus Ergo- und Physiotherapie. Die Ärztinnen und Ärzte auf der Station entscheiden, bei welchen Personen der Einsatz von Musiktherapie sinnvoll sei, sagt Laher. „Etwa bei sehr ängstlichen Patienten. Oder wenn man mit dem Lungenfunktionstraining beginnen kann.“
Bei Betroffenen, die bereits CoV-negativ sind, darf Laher Instrumente mitbringen, Gitarre oder Harfe etwa. Bewährt habe sich für sie der Einsatz von Klangschalen. „Die Atmung von Covid-Patienten sieht oft sehr paradox aus, sehr verkrampft und schwer. Die sanft vibrierende Klangschale auf der Brust wird von ihnen als sehr angenehm und entspannend empfunden.“
Wenn sich der Zustand der Patientinnen und Patienten bessert, führt Laher stimmliche Übungen mit ihnen durch. Sie sollen bei der Stärkung der Lungenfunktion helfen. Lässt es die körperliche Verfassung der Betroffenen zu und besteht Interesse, singt Laher mit ihnen.
Schmerzvoller Verlust der körperlichen Belastbarkeit
Die körperliche Schwäche nach einem langen Spitalsaufenthalt hat bei vielen Genesenen auch Auswirkungen auf die Psyche. „Dieses Bemerken des Verlusts der körperlichen Belastbarkeit – Covid-Patienten leiden da ganz stark darunter“, sagt Gesundheitspsychologin Sigmund. Eine Belastung stelle auch der bei einer Infektion häufig auftretende Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns dar, der oft über Wochen und Monate anhält.
Die Psychologinnen und Psychologen des AKH sind auch an der spitalseigenen „Long Covid“-Spezialambulanz tätig. Hier werden Menschen betreut, die nach drei bis sechs Monaten immer noch Symptome der Erkrankung verspüren. Betroffene plagt häufig eine psychische Erschöpfung, hinzu komme „der Umgang mit Schmerzen, die nur schlecht oder gar nicht zugeordnet werden können“ und „die Frage der Unwägbarkeit des weiteren Verlaufes“, wie Sigmund erklärt.