Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit FFP2-Maske im Nationalrat
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Kurz in Parlament

Opposition bekräftigte „rote Linie“

Die Sondersitzung des Nationalrats ist mit Spannung erwartet worden – ging es doch um die Ermittlungen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). 50 Fragen stellte die SPÖ dem Kanzler, seine Beantwortung dauerte nur wenige Minuten. Umso länger allerdings war die Debatte, in der die Opposition einmal mehr ihre „rote Linie“ bekräftigte.

Wenn die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Anklage gegen den Bundeskanzler erhebt, sei das nicht mehr mit der Regierungsbank zu vereinbaren, sagte NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger. SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner betonte, dass in der Frage, ob jemand angeklagt wird oder nicht, die Staatsanwaltschaft die Entscheidung treffe. Das entscheide nicht Parlament, sagte sie mit Blick auf Kurz’ Vorwurf, dass die Opposition ihn unbedingt weghaben wolle. Aus der FPÖ trommelte Klubchef Herbert Kickl zum Teil heftige Attacken gegen den Kanzler und legte ihm den Rücktritt nahe.

Kurz gab sich bedrückt ob der Angriffe der Opposition. Vieles sei er gewohnt gewesen, doch die letzten Monate hätten einen neuen Höhepunkt gebracht. Es gehe nicht mehr um den Wettbewerb der besten Ideen, nicht einmal mehr nur um das gegenseitige Kritisieren, sondern bloß noch um „Diffamieren, Beschädigen und Vernichten“, so der ÖVP-Chef. Er sah sich mit den Wählerinnen und Wählern in einem Boot. Die wollten wissen, wie man aus der Pandemie herauskomme. Es genüge ihnen nicht, „andere herabzuwürdigen“.

„Wort im Mund umdrehen“

Kurz hatte in den vergangenen Tage öfters die Opposition und den „Ibiza“-U-Ausschuss, vor dem er laut WKStA falsch ausgesagt hatte, kritisiert. Dort gehe es nicht mehr um die Wahrheitsfindung, sondern nur noch um „Diffamierung“. Er habe nach „bestem Wissen und Gewissen“ ausgesagt. Es sei versucht worden, ihm „das Wort im Mund umzudrehen“, so der Kanzler. Das sahen die Opposition und auch die Grünen freilich anders und warfen Kurz mangelnden Respekt vor.

Beate Meinl-Reisinger (NEOS) während einer Sondersitzung des Nationalrates zum Thema „Ibiza-U-Ausschuss-Akten“
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Für NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger ist klar: Rücktritt bei Anklage

Eigentlich war die Sondersitzung initiiert worden, weil Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) die vom U-Ausschuss angeforderten Unterlagen erst geliefert hatte, nachdem der Verfassungsgerichtshof (VfGH) Bundespräsident Alexander Van der Bellen zur Exekution aufgefordert hatte. Allerdings brachte die SPÖ eine Dringliche Anfrage an Kanzler Kurz ein. Dem ÖVP-Chef wird vorgeworfen, die Politik an einen persönlichen und moralischen Tiefpunkt geführt zu haben. Misstrauensanträge gegen Kurz und Blümel fanden keine Mehrheit.

In der vom SPÖ-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Kai Jan Krainer, erstgezeichneten „Dringlichen“ werden Angriffe aus allen möglichen Sektoren zusammengezogen. Angeführt wird die Liste von dem Vorgehen der WKStA gegen Kurz selbst wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss bezüglich der ÖBAG-Bestellungen. Dazu kommen die Ermittlungen derselben Behörde gegen Blümel in Sachen Novomatic, die Schredderaffäre und die Causa um den suspendierten Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek.

„Mit bestem Wissen und Gewissen“

Die 50 Fragen beantwortete Kurz im Schnelldurchlauf. Er habe „mit bestem Wissen und Gewissen“ im U-Ausschuss ausgesagt. Von seinem Beschuldigtenstatus wisse er seit Dienstagabend – am Mittwoch trat er dann selbst vor die Presse. Im Großen und Ganzen wiederholte Kurz seine Aussagen der vergangenen Tage. Der Finanzminister sei gesetzlich für die Bestellung der Aufsichtsräte der ÖBAG zuständig. Er werde für gewöhnlich im Nachhinein davon informiert, manchmal davor um eine Meinung gebeten.

Bundeskanzler Sebastian Kurz während einer Sondersitzung des Nationalrates zum Thema „Ibiza-U-Ausschuss-Akten“
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Bundeskanzler Kurz beantwortet 50 Fragen im Schnelldurchlauf

Wichtig sei, dass die Personen qualifiziert sind, so Kurz. Auch andere Bestellungen sind gesetzlich geregelt und werden laut dem Kanzler von den zuständigen Gremien auch wahrgenommen. Auf die Frage, worauf er sich bezieht, wenn er behaupte, er habe sich nie bereichert, antwortete Kurz sinngemäß: Er habe sich nie bereichert, und das sei eine Tatsache. Eine weitere Erklärung brauche es dazu nicht.

Dass er Chatnachrichten und Kalendereinträge gelöscht habe, sodass sie nicht mehr an den U-Ausschuss geliefert werden können, sei rechtlich gedeckt, so der Kanzler. Ein Dossier über andere Abgeordnete habe er nie in Auftrag gegeben, sagte Kurz. Zuletzt hatte ja ÖVP-Mandatar Andreas Hanger unbeabsichtigt eine E-Mail an NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper geschickt. Diese E-Mail beinhaltete Aussagen der Abgeordneten im „Ibiza“-U-Ausschuss. Hanger nannte es „Fakten“, die offenbar der ÖVP-Klub zusammengestellt hat. NEOS bezeichnete die Zusammenstellung als „Sudel-Dossiers“.

Rendi-Wagner: „Wir leben in einem Rechtsstaat“

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte umgehend die „mangelnde Beantwortung“ der Fragen durch den Bundeskanzler. Es habe in den vergangenen Wochen „besorgniserregende Entwicklungen“ gegeben, die „ihren traurigen Höhepunkt in ÖVP-Attacken gegenüber der Justiz“ hatten. „Niemand steht über dem Recht, auch Sie nicht, Herr Bundeskanzler“, so Rendi-Wagner. Ob Kurz eine Straftat begangen habe, werde ein unabhängiger Richter entscheiden, nicht das Parlament und nicht die Opposition. „Und wissen Sie, warum nicht? Weil wir in einem Rechtsstaat leben, ob es Ihnen gefällt oder nicht“, sagte sie.

Heftige Debatte über Kurz im Nationalrat

Die Weigerung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), bei einer möglichen Anklage wegen Falschaussage im U-Ausschuss Konsequenzen zu ziehen, sorgt für Ärger bei der gesamten Opposition.

Wesentlich angriffiger war FPÖ-Klubchef Herbert Kickl, dem gleich zwei Ordnungsrufe binnen einer Minute durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) erteilt wurden. Kickl sprach nämlich mit Bezug auf Kurz von „Ceausescu-Manier“ und vom „unterwürfigen Bestelljournalismus“. Der Bundeskanzler habe ohne „Lockvogel“ einen Fehler begangen, auf den eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren steht. „Sie wandeln auf den Spuren von (Ex-FPÖ-Chef, Anm.) Heinz-Christian Strache“, so Kickl. Kurz habe lediglich beim Schreddern auf das Handy des nunmehrigen ÖBAG-Chefs Thomas Schmid vergessen.

ÖVP stellt sich hinter Kurz

ÖVP-Mandatar Hanger kritisierte wie sein Parteichef die Opposition, die alles unternehme, um Kurz loszuwerden. Er wolle aber nicht länger über die Ermittlungen und die Schredderaffäre reden, sondern über das Krisenmanagement während der Pandemie. Hanger kritisierte allerdings am Ende seiner Rede, dass die Opposition zu dieser Sondersitzung geladen habe, aber etliche Abgeordnete jener Parteien nicht gekommen seien.

Herbert Kickl (FPÖ) während einer Sondersitzung des Nationalrates zum Thema „Ibiza-U-Ausschuss-Akten“
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FPÖ-Klubchef Kickl sagte, dass Kurz auf den Spuren von Strache wandle

NEOS-Parteichefin Meinl-Reisinger sagte, dass aus einer FPÖ-Krise eine „veritable ÖVP-Krise“ geworden sei. Kurz sei kein Verdächtiger mehr, sondern ein Beschuldigter. Für ihn gelte die Unschuldsvermutung, aber für das Kanzleramt gälten andere Regeln, aus Respekt dem Amt gegenüber. Es gehe um die Handlungsfähigkeit. „Eine Anklage und die Regierungsbank passen nicht zusammen“, so Meinl-Reisinger, die es irritierend fand, dass Kurz es offenließ, ob er selbst bei einer Verurteilung aus dem Amt weichen werde. Ähnlich äußerte sich Meinl-Reisinger im ZIB2-Interview am Montagabend. Dort wies die NEOS-Parteichefin auch darauf hin, dass ein Rücktritt des Bundeskanzlers nicht automatisch eine Neuwahl bedeuten müsse: Dann sei der „Ball bei der ÖVP“, die sich die Frage stellen müsse, ob sie „integeres Personal“ zur Verfügung stellen könne, so Meinl-Reisinger.

NEOS-Chefin Meinl-Reisinger zum Konflikt mit der Regierung

Im ZIB2-Interview nimmt NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger zu den Ereignissen rund um die Ermittlungen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Stellung.

Aus den Reihen der Grünen blieb es zwar gewohnt ruhig – dennoch erinnerte Klubchefin Sigrid Maurer an die Rechte des Parlaments und kritisierte Finanzminister Blümel. Der Verfassungsgerichtshof sei an der Nase herumgeführt worden, so Maurer. Es sei „hochnotpeinlich“, dass der Finanzminister eine Aufforderung des Bundespräsidenten gebraucht habe, um die Akten an den U-Ausschuss zu liefern. Einzelne Akten, die zuvor wegen der hohen Sicherheitsstufe in Papierform geliefert wurden, werden nun elektronisch übermittelt.

Krainer zählte Erfolge von U-Ausschuss auf

Vor der Beantwortung durch Kurz schilderte Krainer, was der U-Ausschuss seiner Meinung nach ans Tageslicht gebracht hatte. So seien die Verbindungen zwischen ÖVP und Novomatic wesentlich „dichter“ als jene zwischen dem Glücksspielkonzern und der FPÖ. Der Untersuchungsausschuss habe auch „detektivisch“ nachgewiesen, dass die Vernichtung von fünf Festplatten (Schredderaffäre) aus dem Kanzleramt keineswegs ad acta gelegt werden könne. Die WKStA hat bereits Ermittlungen gegen Kurz-Kabinettsmitarbeiter aufgenommen.

Kai Jan Krainer und Bundeskanzler Sebastian Kurz
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Krainer stellte die „Dringliche“ und kritisierte Kurz scharf

Darüber hinaus warf Krainer der ÖVP vor, ein zunehmendes Problem mit Justiz und Rechtsstaat zu haben. Wenn es zu einer Anklage wegen Verdachts auf Falschaussage komme, müsse er, Kurz, zurücktreten, so der SPÖ-Abgeordnete zu Beginn der Debatte im Nationalrat.

Für die Oppositionsparteien brachte der Freiheitliche Christian Hafenecker einen Misstrauensantrag gegen Blümel ein, der am Ende der Sitzung mit Koalitionsmehrheit abgeschmettert wurde. Der Misstrauensantrag der FPÖ gegen Kanzler Kurz fand außerhalb der eigenen Reihen keine Unterstützung.