Radio-Phono-Kombination „SK 4" von Dieter Rams und Hans Gugelot
Dieter und Ingeborg Rams Stiftung
Dieter Rams

Die Haltbarkeit der Dinge

„Weniger, aber besser.“ Über 350 Produkte hat der deutsche Designer Dieter Rams in seinem Berufsleben entworfen – und damit den Alltag von vielen in Deutschland und auch Österreich mit gestaltet, etwa über die Produkte der Firma Braun. Haltbarkeit apostrophierte Rams als eines der wesentlichen Merkmale guten Designs. Heute sind seine Produkte, etwa der „Schneewittchensarg“, Designklassiker und Sammlerstücke. In Frankfurt hat man Rams, der am Donnerstag Geburtstag feiert, einen eigenen Dauerschrein eingerichtet.

Produkte, so sagt man, erzählen immer etwas über die Zeit, in der sie entstanden sind. Für die Arbeiten von Rams gilt das nur zum Teil. Klassiker wie sein „Regalsystem 606“ könnten der Gegenwart ebenso entstammen wie der Zeit, der sie sich verdanken: den späten 1950er Jahren. Seit dieser Zeit gestaltete Rams mit seiner Designwerkstatt, die gerade auch sehr viele Techniker involvierte, Produkte, die so maßgeblich schön, schlicht und funktional waren, dass sie noch für Jonathan Ive im Entwurf des ersten iPods zum Leitobjekt für einfache Benutzungsführung wurden.

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Taschenradio von Braun
picturedesk.com/Interfoto/TV-yesterday
Braun-Taschenempfänger „T3“: Zusammen mit seinen Nachfolgern „T4“, „T31“ und „T41“ gehört der „T3“ zu den absoluten Designklassikern
Radio-Phono-Kombination „SK 4" von Dieter Rams und Hans Gugelot
Dieter und Ingeborg Rams Stiftung
Der „Schneewittchensarg“ wurde ab 1956 in verschiedenen Varianten weiterentwickelt. Hier in der Edelvariante mit Holz-Seitenteilen.
Skizze für einen Braun-Ausstellungsraum in der Rüsselsheimer Straße in Frankfurt, 1955, Dieter Rams
Dieter Rams Archiv
Skizze für einen Braun-Ausstellungsraum in der Rüsselsheimer Straße in Frankfurt. Im Hintergrund sieht man die erste Idee zum freischwebenden Regalsystem „606“, 1955, Farbstifte auf Papier.
606 Regalsystem, 1960
Dieter Rams Archiv
Modular, felxibel, ikonisch: Das Regalssystem „606“ wurde bereits bei der documenta III ausgestellt und wird bis heute hergestellt
Sessel von Dieter Rams, 1962
Dieter Rams Archiv
Ein Sessel aus der Serie „620“ – Ausführungen mit kurzer Rückenlehne können nach Abnahme des seitlichen Rahmens zu einem Sofa kombiniert werden

Eine neue Zeit fürs Gestalten

Doch andere Produkte von Rams erzählen wieder sehr viel über die Zeit, in der sie entstanden sind. Als Artur und Erwin Braun, damals Geschäftsführer der Elektrogerätefirma Max Braun, beschlossen, das Erscheinungsbild der eigenen Produkte zu verändern und auf Haltbarkeit und Wertigkeit zu trimmen, wurden sie in einem jungen Gestalter fündig. Der am 20. Mai 1932 in Wiesbaden geborene Rams hatte nach einer Tischlerlehre und einem Architekturstudium mit dem Schwerpunkt auf Gestaltung von Innenräumen gerade seine ersten Gehversuche im Frankfurter Architekturbüro von Otto Appel hinter sich. Für Braun sollte Rams aber zum Nukleus für neue Gestaltungsprozesse werden, in denen auch das Wissen deutscher Hochschulen, etwa der maßgeblichen Hochschule für Gestaltung in Ulm einfloss.

Dieter Rams
APA/dpa/Arne Dedert
Dieter Rams, Meister simpler Entwurfszeichnungen und gerader Linien

Konstruktives Design nannte man jene Vorgangsweise, die alle Beteiligten in den Schaffensprozess mit einbanden und deren Ziel die Herstellung wertiger Produkte war, die von allen Seiten ansehnlich und haptisch einwandfrei waren. Die Neudefinition dessen, was man später Stereo-Kompaktanlage nannte, gelang in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur, Architekten und Gestalter Hans Gugelot, der Mitte der 1950er Jahre als Dozent an der Ulmer Gestaltungsschule tätig war. Die Weiterentwicklung der klassischen „Musiktruhe“ zum Braun-Produkt Phonosuper SK 4 erzählt diese besondere Geschichte der Zusammenarbeit, an deren Ende ein Gerät stand, das sich seit seiner Erstausführung 1956 zum Designklassiker entwickelte.

Hohe Kunst unter Acrylglas

Ein Produkt, das von allen Seiten schön anzusehen war, das also auch frei stehen konnte, war einer der Ansprüche. Und eine Abdeckung für den Plattenspieler sollte her. Dachte Gugleot an eine Metallplatte, so wagte sich Rams zu einem neuen Material vor, das gerade auf den Markt gekommen war: Acrylglas. Metall, so die Vermutung von Rams, würde zu sehr den Klang des Geräts beeinflussen, und so setzte er die Acrylglasabdeckung durch (auch wenn es noch eine Sonderausfertigung mit Holz und Metall geben sollte). Unter diesem „Schneewitchensarg“ erstrahlt bis zum Tag ein formschöner, kleiner Plattenspieler und daneben ein Radioempfangsteil. 295 Deutsche Mark, nach heutigem Wert 700 Euro, kostete der erste Braun Kombispieler.

Seit dieser Zeit waren Rams’ Entwürfe untrennbar mit der Marke Braun verbunden. Simple Radios, wertige Rasiergeräte oder Kaffeebrühautomaten, die funktional und zugleich formschön waren, kamen da in die Produktpalette (und bald auch in die Designabteilungen von Museen – eines der ersten war dabei das MoMa in New York). Vom „Braun Design“ war bald die Rede. Von 1961 bis 1995 war Rams „Head of Design“ bei Braun. Seinen Nachfolger Peter Schneider, der das bis in die Gegenwart klar erkennbare Braun-Logo mit dem großen A in der Mitte entworfen hatte, stellte Rams gleich selbst ein. Schneider versuchte aber, wie man es bei der mittlerweile zum Procter & Gamble-Konzern gehörenden Marke formulierte, das „enge Designkonzept“ von Rams zu erweitern.

Braun Radio Exporter 2
Uwe Anspach / dpa / picturedesk.com
Pocketradio Braun Exporter 2: Wenig Farbe, klare, simple Bedienelemente

Bis in die Gegenwart bleiben aber die zehn Prinzipien, manche nennen sie sogar zehn Gebote, von Rams ein Ideal für die Gestaltung von Design. Genau der Umwelt- und Nachhaltigkeitsgedanke in Rams’ Arbeiten lässt sich aus diesen zehn Geboten ablesen.

Die zehn Rams-Gebote

  • 1. Gutes Design ist innovativ.
  • 2. Gutes Design macht ein Produkt brauchbar.
  • 3. Gutes Design ist ästhetisch.
  • 4. Gutes Design macht ein Produkt verständlich.
  • 5. Gutes Design ist unaufdringlich.
  • 6. Gutes Design ist ehrlich.
  • 7. Gutes Design ist langlebig.
  • 8. Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail.
  • 9. Gutes Design ist umwelt­freundlich.
  • 10. Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.

Für Rams war in seinem Arbeitsleben stets klar, dass gutes Design einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Umwelt leisten kann. Weswegen Wertigkeit in seinen Produkten eine sehr große Rolle spielt. Und es sollte in allen Produktionsprozessen stets auf die Schonung der Ressourcen und auf die, wie es hieß, „Minimierung von physischer und visueller Verschmutzung“ geachtet werden.

Designmaßstäbe bei modularen Möbeln

Während sein Anspruch auf Nachhaltigkeit bei den Entwürfen für Braun zwar im Design, aber aufgrund der technischen Entwicklung und des Wandels im Bedürfnis der Konsumenten nicht für die elektronischen Geräte selbst gilt, hat sich Rams mit seinem zweiten Hauptarbeitsfeld verewigt.

Im Frankfurt der späten 1950er lernte der aus Dänemark stammende Möbelhändler Niels Vitsoe den Industriedesigner kennen. 1959 gründete Vitsoe mit Otto Zapf „Vitoe + Zapf“, eine bis heute unter dem Namen „Vitsoe“ weiterbestehende Möbelschmiede zur Umsetzung von Rams’ Entwürfen. Rams setzte für „Vitsoe“ Designmaßstäbe. Seine Entwürfe denken Modularität und Erweiterbarkeit stets mit. So sind beispielsweise zwei kubische Sessel des Programms „620“ zu einem Zweisitzsofa erweiterbar. Dazu müssen lediglich die seitlichen Begrenzungen abgeschraubt und die beiden Sessel verbunden werden.

606 Regalsystem, 1960
Dieter Rams Archiv
Ein Regal für alle Fälle: Das System „606“ wurde seit seiner Markteinführung 1960 ständig erweitert, alle Elemente sind miteinander kompatibel

Während andere ikonische Sitzmöbelentwürfe wie Mies van der Rohes Barcelona-Sessel oder Le Corbusiers, Pierre Jeannerets und Charlotte Perriands kubischer LC2-Sessel immer als Solitäre im freien Raum wirken mussten, sind Rams’ Möbel bewundernswert pragmatisch und flexibel. Für das Vitsoe-Sesselprogramm „606“ bekam Rams 1973 nach einem langjährigen Urheberrechtsstreit 1973 das „künstlerische Urheberrecht“ vom deutschen Bundesgerichtshof zugesprochen. Das war damals, wie Klaus Klemp, emeritierter Professor für Designtheorie und -geschichte an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, in Rams’ Werkverzeichnis schreibt, „ein Umstand, den nach damaliger Rechtsprechung nur eine Handvoll Designprodukte für sich in Anspruch nehmen konnten“.

Buchcover von „Dieter Rams: The Complete Works“
Phaidon

Klaus Klemp: Dieter Rams. The Complete Works, Phaidon, 344 Seiten, Euro 49,95.

„606“: Ein moderner Klassiker

Der wahre Klassiker unter Rams’ Möbelentwürfen ist aber das Regalsystem „606“. Es besteht aus schlichten Seitenprofilen und Regalböden aus eloxiertem Aluminium. Das Regalsystem kann freihängend an der Wand, aber auch freistehend montiert werden – eine Möglichkeit, die es zu einer Ikone werden ließ, der man ständig begegnet. Archive und Museen nutzen das System genauso wie hippe Start-ups, die das Regal mit Tischelementen zum Laptoparbeitsplatz kombinieren. Das Regal war in Rams’ Designkosmos von Anfang an mitgedacht. So sieht man in einer frühen Skizze von 1955 einen für Braun konzipierten Ausstellungsraum. Der Raum ist mit Möbeln von Knoll International und dem Braun Musikschrank ‚PK-G‘ bestückt.

Im Hintergrund erkennt man bereits eine Art Vorläufer des Regalsystems „606“. Schon hier ahnt man Rams’ Intention: Das Regal war immer mehr als minimalistische Rahmung für Medien und Elektrogeräte gedacht, ein schlichtes und flexibles Präsentationsobjekt, das den Dingen darin Aufmerksamkeit verschafft, indem es sich selbst weitestgehend zurücknimmt. Die Maße der modularen Regalelemente waren so konzipiert, dass Braun-Audioanlagen passgenau eingefügt werden konnten. Der Fokus auf Schlichtheit und Erweiterbarkeit verhalf dem „606“ schnell zu Kultstatus: Bereits vier Jahre nach seiner Markteinführung wurde es auf der documenta III in Kassel gezeigt.

Rams im Museum

Bis 8. August ist die Geschichte der Designarbeit von Rams in einer Sonderschau im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt zu sehen. Parallel aber kann man sich über Rams’ Werke im beim Phaidon-Verlag erschienenen Werkverzeichnis ein Bild machen. Wie sehr Rams vor allem der Stolz des gesamten Rhein-Main-Dreiecks ist, lässt sich auch im permanenten „Stilraum“ für Dieter Rams im Frankfurter Museum ablesen. Alljährlich wird an diesem doppelseitigen Altar ein bisschen herumgebaut – und doch ist auch dieser Andachtsschrein wie alle von Rams: klar, schön – und pur funktional.