US-Präsident Joe Biden
APA/AFP/Nicholas Kamm
Biden verschärft Ton

USA drängen Israel zu sofortiger Deeskalation

US-Präsident Joe Biden hat den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu im Konflikt mit den Palästinensern zu einer sofortigen „bedeutsamen Deeskalation“ gedrängt. Das Weiße Haus erklärte am Mittwoch, Biden habe Netanjahu in einem Telefonat übermittelt, „dass er heute eine bedeutsame Deeskalation auf dem Weg zu einer Waffenruhe erwartet“.

Damit verschärft Biden den Ton gegenüber Israel. Am Montag hatte er nach Angaben des Weißen Hauses in einem Telefonat mit Netanjahu seine „Unterstützung für einen Waffenstillstand zum Ausdruck gebracht“. Am Mittwoch führte Biden sein viertes Telefonat mit Netanjahu seit Beginn der Gewalteskalation zwischen Israel und militanten Palästinensern.

Die USA sind ein historischer Verbündeter Israels. Im UNO-Sicherheitsrat blockierte Washington zuletzt Bemühungen für eine gemeinsame Erklärung zu der Gewalt zwischen Israel und Palästinensern.

Steigender Druck aus eigenen Reihen

Zuletzt wuchs aber der Druck auf Biden aus der eigenen Demokratischen Partei, angesichts der vielen Opfer in der palästinensischen Zivilbevölkerung eine härtere Gangart gegenüber Israel einzuschlagen. Unter anderem forderten 28 Senatoren in einem von Jon Ossoff initiierten Statement einen sofortigen Stopp der bewaffneten Auseinandersetzungen, damit nicht noch mehr unschuldige Zivilisten in dem Konflikt mit ihrem Leben bezahlen müssten.

Das Weiße Haus hatte das eigene Vorgehen am Montag gegen Kritik verteidigt und betont, die Regierung sei der Ansicht, mit „stiller intensiver Diplomatie“ aktuell am meisten erreichen zu können. Eine Sprecherin der US-Regierungszentrale sagte auch am Mittwoch, man halte das weiter für den richtigen Ansatz.

Netanjahu verteidigt Gaza-Einsatz

Netanjahu und die islamistische Hamas dementierten am Mittwoch indes gleichermaßen Berichte über eine am Donnerstag anstehende Waffenruhe. Das israelische Fernsehen hatte berichtet, im Rahmen internationaler Vermittlungsbemühungen könnten ab morgen 6.00 Uhr Ortszeit (5.00 MESZ) die Waffen schweigen.

Korrespondent Cupal aus Israel

ORF-Korrespondent Tim Cupal berichtet aus der israelischen Stadt Lod, wo die jüngsten Spannungen begonnen haben, über die aktuelle Situation.

Der israelische Premier verteidigte vielmehr erneut die Fortsetzung des hart geführten Militäreinsatzes im Gazastreifen. „Ich bin entschlossen, diese Operation fortzusetzen, bis ihr Ziel erreicht ist“, teilte der Politiker unmittelbar nach Bekanntwerden von Bidens Forderung über Twitter mit. Auf die von Biden geäußerte Erwartung nach Deeskalation ging er nicht direkt ein. Er dankte dem US-Präsidenten lediglich, dass er sich für das Selbstverteidigungsrecht Israels aussprach.

Bei dem Militäreinsatz gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen gehe es darum, dem Staat Israel und seinen Bürgern eine möglichst lange Ruheperiode zu verschaffen und die islamistische Hamas-Organisation in Gaza entscheidend zu schwächen, sagte Netanjahu am Mittwoch zudem vor rund 70 Diplomaten im Militärhauptquartier in Tel Aviv. „Wir versuchen, die Zeit der Ruhe für Israel zu maximieren.“ Man schließe aber auch eine Eroberung des von der islamistischen Hamas beherrschten Küstenstreifens nicht vollständig aus.

Ein hochrangiger Armeevertreter sprach am Mittwoch vor Journalisten mit Blick auf den Militäreinsatz von „sehr, sehr wichtigen Erfolgen“, die dazu beitrügen, den Süden des Landes zu stabilisieren. Es werde nun geprüft, ob diese ausreichten. Sicherheitskreise rechneten in diesem Zusammenhang in den kommenden Tagen mit einem möglichen Ende der Kampfhandlungen. Internationale Staats- und Regierungschefs appellieren seit Tagen an die Konfliktparteien, die wechselseitigen Angriffe einzustellen. Einen „sofortigen Stopp der Gewalt“ forderten am Dienstag auch 26 der 27 EU-Außenminister.

Erneut Raketenalarm in Haifa

Im Norden Israels wurde unterdessen am Mittwoch erneut Raketenalarm ausgelöst. Aus dem Libanon seien vier Raketen abgeschossen worden, teilte die israelische Armee dazu mit: Artillerie habe daraufhin Ziele unter Beschuss genommen, von denen aus die Raketen abgefeuert worden seien. Im Umkreis der Städte Haifa und Akko heulten Alarmsirenen. Die israelische Raketenabwehr fing nach Militärangaben eines der Geschoße ab. Die weiteren seien in offenen Gebieten eingeschlagen.

Die UNO-Friedensmission (UNIFIL) bestätigte, dass Raketen aus dem Süden des Libanon auf Israel abgefeuert wurden und dass die israelischen Streitkräfte mit Vergeltungsschlägen antworteten. UNO-Soldaten würden die Lage gemeinsam mit der libanesischen Armee prüfen. Die Blauhelme überwachen seit 1978 das Grenzgebiet der beiden Länder.

Israel: Hilfslieferung gestoppt

Israelischen Angaben zufolge ist den zweiten Tag in Folge auch ein Übergang zum Gazastreifen beschossen worden. Während eine Lieferung humanitärer Hilfsgüter in das Palästinensergebiet gefahren sei, seien drei Mörsergranaten in das Gebiet von Kerem Schalom abgefeuert worden, teilte die zuständige israelische Cogat-Behörde am Mittwoch mit. Daraufhin seien Warnsirenen aktiviert worden. „Es wurde beschlossen, die Einfuhr der Güter bis auf Weiteres zu stoppen.“

Bereits am Dienstag waren zwei Grenzübergänge zum Gazastreifen nach ihrer vorübergehenden Öffnung unter Beschuss durch militante Palästinenser geraten. In der Nähe des Eres-Übergangs für Personen wurde nach Angaben der israelischen Armee ein Soldat leicht bei Mörsergranatenbeschuss verletzt. Die Hamas äußerte sich nicht zu den Berichten über den Beschuss.

Über 1.000 Ziele im Gazastreifen beschossen

Seit Beginn einer neuen Eskalation vor neun Tagen feuerten militante Palästinenser im Gazastreifen mehr als 3.700 Raketen auf israelische Ortschaften ab. Israels Luftwaffe beschoss daraufhin nach Militärangaben rund 1.000 Ziele im Gazastreifen.

Infolge des Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen sind in Israel bisher zwölf Menschen getötet worden, Hunderte weitere wurden verletzt. Das Gesundheitsministerium in Gaza bezifferte die Zahl der Getöteten bei israelischen Angriffen auf 213, unter ihnen 61 Kinder. Verletzt worden seien 1.442 Menschen. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben mehr als 52.000 Palästinenser durch die israelischen Luftangriffe ihr Zuhause verloren.

Die schwersten Kämpfe zwischen Israel und radikalen Palästinensern seit Jahren gingen aus heftigen Auseinandersetzungen an der Al-Aksa-Moschee in Ostjerusalem hervor. Am Montag vergangener Woche reagierte die Hamas darauf mit Raketenangriffen. Verschärft wurden die Spannungen durch Pläne, Häuser palästinensischer Familien in Ostjerusalem zu räumen. Das Land wird von jüdischen Siedlern beansprucht. Jerusalem ist seit jeher umkämpft.