Erdölfässer
Reuters/Regis Duvignau
„Letzte Runde“

IEA orientiert sich weg von fossiler Energie

Die Internationale Energieagentur (IEA), jene Gruppe, die gegründet wurde, um die Ölversorgung zu gewährleisten und zu schützen, hat ihre zentrale Botschaft geändert und einen Stopp neuer Öl-, Gas- und Kohleprojekte gefordert. Gleichzeitig warnte sie aber auch, dass zusätzliche Rohstoffe benötigt würden – insbesondere für E-Autos. Beobachterinnen und Beobachter sprechen von einer Trendwende.

„Die Ära der fossilen Brennstoffe wird effektiv beendet“, analysierte Mark Lewis, Chefstratege für Nachhaltigkeit bei BNP Paribas Asset Management, diesen Schritt gegenüber der „Financial Times“ („FT“). „Es ist wie der Gastwirt, der die letzte Runde ausruft.“ Nur bei einem Stopp neuer Öl-, Gas- und Kohleprojekte könne die Welt den Temperaturanstieg noch auf 1,5 Grad begrenzen – so lautet das Fazit der IEA in dem Bericht für den UNO-Klimagipfel im November in Glasgow.

Der Weg zum Nullemissionsziel sei „schmal, aber erreichbar“, sagte IEA-Chef Fatih Birol am Dienstag in Paris. Der dafür nötige Umbau der Wirtschaft sei die vielleicht größte Herausforderung, vor der die Menschheit je gestanden sei. Die IEA listete in ihrem Bericht mehr als 400 Zwischenziele auf dem Weg zum Nullemissionsziel 2050 auf. Jetzt schon dürfe es keine Genehmigungen mehr zur Erschließung neuer Öl- oder Gasfelder geben.

Ein Arbeiter zwischen Solarpanelen
Reuters/Athit Perawongmetha
Saubere Energiequellen würden der Menschheit auch Wohlstand bringen, so die IEA

Bis 2030 müssten alle ineffizienten Kohlekraftwerke schließen, bis 2035 müsse der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor enden. Auch fossiler Wasserstoff sei nur ein Übergangsmodell. Die Energieeffizienz müsse in diesem Jahrzehnt jährlich um vier Prozent steigen – und damit dreimal so schnell wie aktuell geplant.

Ausbau von Erneuerbaren und neue Technologien gefordert

Nötig ist laut IEA-Bericht der kräftige Ausbau erneuerbarer Energiequellen. Das berge auch die Chance von Wohlstandsgewinn für die Menschheit. Saubere Energie könne den Tod von 2,5 Millionen Menschen jährlich bis 2050 verhindern. Kombiniert mit höherer Energieeffizienz könne die weltweite Energienachfrage bis 2050 um rund acht Prozent im Vergleich zu heute sinken – obwohl dann zwei Milliarden mehr Menschen Zugang zu einer Stromversorgung haben. Der Anteil fossiler Energiequellen an der Energieversorgung kann laut Bericht von derzeit vier Fünftel auf ein Fünftel 2050 sinken.

Die meisten CO2-Reduktionsziele bis 2030 können der IEA zufolge mit den derzeit verfügbaren Technologien erreicht werden. Für die Hälfte der bis 2050 nötigen Reduktionen aber seien Technologien notwendig, die es aktuell nur in der Demonstrations- oder Prototypphase gebe. Als Beispiele nennt die IEA die Gewinnung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid (CO2) direkt aus der Umgebungsluft – diese Technologie könnte „besonders wirkungsvoll“ sein, so die IEA.

„Messer ins Herz der Brennstoffindustrie“

Es ist eine drastische Kehrtwende seit der Ölpreiskrise und der Gründung der IEA in den frühen 1970er Jahren. Die Aufgabe der Agentur war es damals, sicherzustellen, dass im Falle von Versorgungsunterbrechungen, wie dem ersten Golfkrieg, Hurrikan „Katrina“ und der Libyen-Krise 2011, genügend Öl vorrätig ist. Aber so wie Regierungen und Unternehmen unter Druck stehen, die Klimakrise zu bekämpfen, muss sich laut Expertinnen und Experten auch die IEA einem Wandel unterziehen:

„Sie mussten sich verändern, weil die politischen Entscheidungsträger so schnell beschlossen, etwas gegen die globale Erwärmung zu tun, und weil die Kosten für erneuerbare Energien so schnell gesunken sind“, sagte etwa Kingsmill Bond vom Thinktank Carbon Tracker zur „FT“. Die Denkfabrik beschäftigt sich mit dem Einfluss des Klimawandels auf die Finanzmärkte.

Dave Jones vom Thinktank Ember nannte den Bericht gar eine 180-Grad-Wende verglichen mit der IEA vor fünf Jahren. „Das ist wirklich ein Messer ins Herz der Industrie der fossilen Brennstoffe.“ Analystinnen und Analysten warnen jedoch gleichzeitig davor, dass die Gruppe mit dem Sinneswandel ihre Daseinsberechtigung riskiere.

Erneuerbare vervielfachen Bedarf an kritischen Mineralien

Doch durch den Umbau des Energiesystems weg von Öl, Gas und Kohle hin zu Wind und Solar sowie die Forcierung der Elektromobilität wird sich der Bedarf nach Rohstoffen wie Kupfer, Lithium, Nickel, Kobalt und seltenen Erden in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten vervielfachen, warnte die IEA erst kürzlich in einem anderen Bericht. Die Regierungen müssten deshalb schon jetzt Maßnahmen setzen, damit keine Versorgungsengpässe in diesem Bereich entstehen, empfahl die Agentur.

E-Auto an einer Ladestation
ORF.at/Christian Öser
Für E-Autos werden zahlreiche Ressourcen benötigt – auch fossile

Für ein typisches Elektroauto etwa würden sechsmal so viele mineralische Rohstoffe benötigt wie für ein Auto mit Verbrennungsmotor. Für einen Windpark an Land brauche man neunmal so viele mineralische Ressourcen wie für ein Gaskraftwerk ähnlicher Größe. Regierungen sollten deshalb Forschung und Entwicklung fördern und Recycling vorantreiben, um den Druck von der Produktion von Primärrohstoffen zu nehmen. Gleichzeitig müssten die Regierungen auch auf die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards achten und die internationale Zusammenarbeit zwischen Produzenten und Verbrauchern stärken.

„Die aktuellen Daten zeigen ein drohendes Ungleichgewicht zwischen den ehrgeizigen Klimazielen der Welt und der Verfügbarkeit kritischer mineralischer Rohstoffe, die für das Erreichen der Klimaziele von entscheidender Bedeutung sind“, so Birol. „Wenn Regierungen jetzt gemeinsam handeln, können sie das Risiko von Preisschwankungen und Versorgungsunterbrechungen deutlich verringern.“ Sollte man dieses Problem ignorieren, könnte das die Entwicklung hin zu sauberer Energie bremsen und verteuern, warnte der IEA-Chef.

Staaten verlieren durch Umstieg auf E-Autos Milliarden

Weltweit wird der Umstieg auf Elektroautos gefördert. Die Regierungen sollten aber bedenken, dass dieser Umstieg zu massiven Steuerausfällen führen wird, warnte die IEA. Im Jahr 2030 könnten so den Staatshaushalten 40 bis 55 Mrd. Dollar (bis zu 45 Mrd. Euro) an Einnahmen entgehen, je nachdem, wie schnell der Umstieg über die Bühne gehe.

Der Rückgang der Steuereinnahmen sei dabei nicht auf eine geringere Besteuerung von Strom im Vergleich zu Mineralölprodukten zurückzuführen, sondern vor allem auf den geringeren Energieverbrauch beim Betrieb der Elektrofahrzeuge, schrieb die IEA im Bericht „Global EV Outlook 2021“. Die Regierungen weltweit sollten sich darauf einstellen und Maßnahmen überlegen, um dem Einkommensausfall entgegenzuwirken.

2020 haben nach IEA-Berechnung E-Autos weltweit zur Einsparung von 50 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenz an Treibhausgasen geführt. Wie die Einsparung weitergeht, hängt vor allem davon ab, wie rasch die Stromerzeugung dekarbonisiert werden kann, wie rasch also erneuerbare Quellen an die Stelle von Kohle, Öl und Gas treten.

Auch E-Autos verursachen Emissionen

Sinkt die Kohlenstoffintensität der Stromproduktion bis 2030 um 20 Prozent, wie die IEA in ihrem Durchschnittsszenario annimmt, dann würden E-Autos im Vergleich zu konventionellen Verbrennungsmotoren ein Drittel der Treibhausgase einsparen. In einem nachhaltigeren Szenario geht die IEA davon aus, dass die Kohlenstoffintensität der Stromproduktion um 55 Prozent zurückgeht – in diesem Fall würden E-Autos im Vergleich zu Autos mit Verbrennungsmotoren sogar zwei Drittel der Treibhausgase einsparen.

Von null Emissionen ist aber bei E-Autos keine Rede. Die von der IEA erwartete Elektroautoflotte dürfte 2030 im Standardszenario 230 Mio. Tonnen CO2 (Äquivalent) ausstoßen. Das wären aber immerhin 120 Mio. Tonnen CO2 weniger als gleich viele Autos mit Verbrennungsmotoren.