Junge Frau mit Smartphone
ORF.at/Lukas Krummholz
„Grüner Pass“

Zweifel an Umsetzung bis Anfang Juni

Die „drei Gs“ – genesen, getestet, geimpft – sollen ab 4. Juni von jedem individuell elektronisch erfasst werden können und über einen QR-Code zur Verfügung stehen. Das ist der Plan der Politik. Es gibt aber erhebliche Zweifel, ob dieser „Grüne Pass“ bis dahin tatsächlich auch technisch umgesetzt werden kann. Das zeigt ein internes Papier der Sozialversicherung.

Zuständig für die Umsetzung des „Grünen Passes“ ist der IT-Dienstleister des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. In dem Papier, das dem „Standard“ vorliegt, erklären die Geschäftsführer der IT-Services der Sozialversicherung, dass der 4. Juni ein „Wunsch“ der Politik gewesen sei: „Aus technischer Sicht ist dieser Starttermin mutmaßlich nicht zu halten.“ Sobald die Anforderungen geklärt seien, könne eine „gesicherte Timeline“ kommuniziert werden. Man gehe aber nicht davon aus, dass die Probleme bis Anfang Juni ausgeräumt werden könnten.

Zum einen fehle die Rechtssicherheit für Betroffene. Zum anderen stehe der geplante QR-Code in einem „möglichen Widerspruch“ zum EU-Projekt. Schon zuvor hatte die Sozialversicherung in einer offiziellen Stellungnahme zur geplanten Novelle des Epidemie- und Covid-19-Maßnahmengesetzes Kritik geübt. Der Zweck, der Umfang und die Dauer der Datenverarbeitung seien im Gesetz nicht definiert. Auf Basis dieser Rechtsgrundlage lehnt der Dachverband die Übermittlung von Daten der Versicherten ab.

„Sicherheit der Daten nicht mehr zu garantieren“

Bei Weitergabe von Daten „aus dem Verantwortungs- und Kontrollbereich der Sozialversicherung können die Sozialversicherungsträger und der Dachverband die Sicherheit dieser Daten nicht mehr garantieren“, hieß es.

Auch die ELGA GmbH wies am Donnerstag auf die Risiken einer personenbezogenen Speicherung aller Daten in einem Register hin – trotz Pseudonymisierung. Datenschützer hatten kritisiert, dass aufgrund der großen Menge an Daten Menschen anhand der Kombination eindeutig identifizierbar wären. ELGA argumentierte zudem, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen ein zentrales Impfregister nicht aus ELGA ausgegliedert werden dürfe.

Umfassende Datensammlung

Die Regelung soll bereits kommende Woche vom Nationalrat beschlossen werden. Für Mittwoch ist eine Sondersitzung nur zu diesem Thema geplant. Begründet wird die Eile damit, dass die Novelle Voraussetzung für den QR-Code sein soll, der Impfung, Testung oder Genesung nachweist. Änderungen gegenüber den ursprünglichen Plänen sind nicht ausgeschlossen.

Mit der in Begutachtung geschickten Novelle soll nicht nur der „Grüne Pass“ umgesetzt werden. Es ist auch eine großangelegte Sammlung von Daten fast aller Bürger und Bürgerinnen vorgesehen. Die von der ELGA-Infrastruktur vorgenommenen Impfungen werden in ein anderes Register, das Epidemiologische Meldesystem (EMS), kopiert. In der geplanten Datenbank sollen die Daten von Covid-19-Erkrankten mit jenen der -Geimpften zusammengeführt werden. Darüber hinaus sollen aktuelle und historische Daten über das Erwerbsleben, das Einkommen, etwaige Arbeitslosigkeit, den Bildungsweg, Rehaaufenthalte und Krankenstände verbunden werden.

„Fast alle unserer Lebensbereiche werden in dieser Datenbank durchleuchtet werden“, kritisierte die Datenschutzplattform epicenter.works. Sollte dieses Gesetz beschlossen werden, drohte die NGO mit einer Verfassungsklage. Auf europäischer Ebene gebe es bereits eine Klarstellung, dass etwa Bewegungsprofile nicht von zentraler Stelle abgerufen werden können. Das brauche es in Österreich auch, forderte Datenschützer Thomas Lohninger von epicenter.works am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal.

Speicherung auch im Statistikregister

Die Datenschützer kritisierten auch, dass das Gesundheitsministerium ermächtigt werden soll, per Verordnung weitere Daten aus allen Ministerien anzufordern und anzulegen. So dürfte der Gesundheitsminister etwa „zum Zweck der epidemiologischen Überwachung sowie des Monitorings der Wirksamkeit“ der CoV-Maßnahmen Daten wie die Dauer von Krankenständen, Rehaaufenthalte und höchste abgeschlossene Ausbildungsstufe verarbeiten und mit den von ELGA übermittelten Daten mit dem Register verknüpfen.

Diese dürften für die Ermittlung von Impfdurchbrüchen, Kontaktnachverfolgung und Ausbruchsmanagement verwendet werden. Da diese Daten auch im Statistikregister gespeichert werden, würde der Kreis der Zugriffsberechtigten immens erweitert, beklagten Datenschützer.

Verwendung der Daten nicht spezifiziert

Der Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) vermisste bei dem Gesetzesentwurf die gebotenen Verhältnismäßigkeitserwägungen in Hinblick auf den Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz. Es werde die Verwendung der Daten nicht spezifiziert und die von der EU vorgeschriebene Datensparsamkeit nicht eingehalten.

Auch die Ärztekammer lehnte „unnötiges Datensammeln“ ab. „Es steht außer Frage, dass die Verknüpfung von Gesundheitsdaten Vorteile hat, wenn es etwa darum geht, neue Einsatzbereiche für Medikamente zu identifizieren. Die aktuellen Pläne des Gesundheitsministeriums gehen aber deutlich zu weit“, so Präsident Thomas Szekeres.

Wenig erfreut zeigte sich am Donnerstag auch der Gemeindebund über die geplante Novelle. Zum einen wurden datenschutzrechtliche Gründe angeführt, zum anderen wurde kritisiert, dass der Gemeindebund nicht eingebunden worden sei – obwohl auch die Gemeinden Zutrittszertifikate zur Verfügung stellen sollen. Das müsse der Ausnahmefall bleiben, wurde betont.

Mückstein: „Brauchen die Daten“

Mit der geplanten Datensammlung will das Gesundheitsministerium „effektives Pandemiemanagement“ ermöglichen. „Datenschutz ist uns sehr wichtig“, sagte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) am Donnerstag: „Wir werden eine datenschutzkonforme Lösung finden.“ Aber die Wissenschaft sei auf diese Daten angewiesen, und in der Vergangenheit sei das Ministerium dafür kritisiert worden, ebendiese nicht liefern zu können. „Klar muss auch sein, dass wir Daten brauchen, um politische und medizinische Entscheidungen zu treffen“, verteidigte Mückstein das Vorhaben.

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein
APA/Roland Schlager
Mückstein: „Brauchen die Daten für politische und medizinische Entscheidungen“

Es sei möglich, einen Datenzugang für die Forschung zu ermöglichen, ohne dabei den Datenschutz gänzlich zu opfern, argumentierte hingegen NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker. Es müsse nun das „Datenchaos“ beseitigt werden. Die FPÖ befürchtet mit dem „Pass“ einen „gläsernen Bürger“. Ohne Zustimmung jedes einzelnen Menschen dürfe dieses „inhumane“ Projekt keinesfalls umgesetzt werden, so FPÖ-Chef Norbert Hofer.

Der Wiener SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sprach prinzipiell lobend über den „Grünen Pass“ und die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Gerade Gesundheitsdaten seien aber besonders zu schützen: „Darum wäre es sinnvoll, die Datenverschneidung in ELGA zu belassen.“

Österreich bestand technischen EU-Probelauf

Unterdessen bestand Österreich einen technischen Probelauf für den „Grünen Pass“ auf EU-Ebene erfolgreich. Sofern die nationale Rechtslage das zulasse, könnte Österreich ab 1. Juni – zumindest was die Anbindung an die zentrale Infrastruktur betrifft – loslegen, hieß es am Donnerstag seitens der zuständigen Stellen. Auf EU-Ebene befinden sich unterdessen die Verhandlungen zum „Grünen Zertifikat“ auf den letzten Metern.

Die Testphase, an der auch zahlreiche andere EU-Staaten teilnehmen, dauert noch bis Freitag an. Dabei werden „nur künstliche Dummydaten verwendet“, versicherte das Gesundheitsministerium in Wien Ende April nach Bekanntwerden der Teilnahme Österreichs. Ziel sei, die „Überprüfung von in anderen Mitgliedsstaaten ausgestellten Nachweisen durch die eigenen Lösungen zu simulieren, beziehungsweise die Funktionalität der entwickelten Lösungen“ inklusive des Gateways zu testen.

Zum EU-Zertifikat gab es am Donnerstagabend einen Beschluss: Die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament einigten sich auf Details eines europaweiten Zertifikats zum Nachweis von Coronavirus-Impfungen, -Tests und überstandenen Covid-19-Erkrankungen. Damit wächst die Chance auf weitere Reiseerleichterungen in der EU.