Zerstörung nach Luftangriff in Gaza
APA/AFP/Mahmud Hams
Nahost-Konflikt

Stunde der Diplomatie bricht an

Die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas hält zumindest großteils. Wie es nun weitergeht, ist eine Frage der Diplomatie. Schon die Kampfpause geht zurück auf internationale Vermittlung. Jetzt wird einmal mehr eine nachhaltige Lösung angestrebt.

Die Feuerpause ist fragil, aber sie hielt am Freitag vorerst an. Nur auf dem Tempelberg kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei. Palästinenser hätten Steine auf israelische Sicherheitskräfte geworfen, die daraufhin mit Gegenmaßnahmen begonnen hätten, so die Polizei. Anderswo wurden vorerst keine Ausschreitungen gemeldet.

Die Waffenruhe war in der Nacht auf Freitag in Kraft getreten. Einmal mehr hatte sich Ägypten als Vermittler angeboten und Israel und radikale Palästinenser dazu gebracht, die Waffen nach elf Tagen der Gefechte ruhen zu lassen. Im Gazastreifen strömten in der Nacht auf Freitag Tausende Menschen auf die Straßen und feierten. Mehr als 230 Menschen waren im Gazastreifen gestorben, zwölf Menschen in Israel.

Gefestigt ist der Zustand nun keineswegs. Der Plan von Israels Premier Benjamin Netanjahu war, die Hamas durch Bombardierungen nachhaltig zu schwächen – sie sollte für längere Zeit keine Angriffe mehr durchführen können. Nun erfolgte die Waffenruhe doch überraschend schnell – aber ohne jegliche Vorbedingungen, wie Netanjahus Sprecher betonte.

Netanjahu spricht von „neuen Spielregeln“

Sollten etwa die Palästinenser ihre Raketenangriffe fortsetzen, sei die Waffenruhe umgehend wieder aufgehoben. Netanjahu sprach zudem von „neuen Spielregeln“ gegenüber der Hamas. Israel werde auf neue Raketenangriffe aus dem Gazastreifen in aller Härte reagieren. „Wir haben die Gleichung nicht nur für die Zeit der Operation, sondern auch für die Zukunft verändert.“

Auch die Hamas ließ wissen, der „bewaffnete Widerstand“ der Palästinenser werde sich so lange an die Waffenruhe halten, solange das die israelische Seite tue. Die Hamas verlangt zudem, dass Israel die Schäden durch die Bombardierung beseitigen und die Vertreibung mehrerer Palästinenser aus ihren Häusern in Ostjerusalem beenden müsse. Die nächste Gerichtsverhandlung zu den Delogierungen, die ursprünglich den Konflikt wieder angefacht hatten, steht noch aus.

Ruf nach Nahost-Quartett

Damit der fragile Frieden nicht erneut aus dem Gleichgewicht gerät, fordern nun internationale Vermittler, das Nahost-Quartett aus USA, Russland, Vereinten Nationen und EU wieder einzusetzen. Die Gruppe solle sich um eine neue Perspektive mit dem Ziel einer Zweistaatenlösung bemühen. Das bleibe „von größter Bedeutung“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Freitag. „Die EU ist bereit, die israelischen und palästinensischen Behörden bei diesen Bemühungen uneingeschränkt zu unterstützen.“ Nach den Worten Borrells wird die EU dafür auch den Austausch mit internationalen Partnern sowie ihr Engagement innerhalb des wiederbelebten Nahost-Quartetts ausbauen.

Korrespondent Cupal zur Waffenruhe

ORF-Korrespondent Tim Cupal berichtet aus Tel Aviv über die Einigung auf eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas.

Auch aus Russland kam der Ruf nach dem Quartett als Vermittler zwischen den beiden Parteien. So könne ein weiterer Konflikt verhindert werden, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Freitag der Agentur Interfax zufolge in Moskau. „Internationale und regionale Bemühungen sollten sich nun darauf konzentrieren, Bedingungen für die Wiederaufnahme direkter politischer Verhandlungen zu schaffen.“

US-Geld soll fließen

In den vergangenen Tagen war der internationale Druck vor allem durch die USA für ein Ende des Blutvergießens immer größer geworden. US-Außenminister Antony Blinken will in Kürze in die Region reisen, wie es aus Israel hieß. Nach der Vereinbarung der Waffenruhe sagte US-Präsident Joe Biden, nun biete sich eine „wirkliche Chance“, im Nahen Osten Fortschritte hin zu einem dauerhaften Frieden zu machen. Die USA stünden zusammen mit den Vereinten Nationen und anderen Partnern bereit, der Palästinensischen Autonomiebehörde mit humanitärer Hilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau zu helfen, sagte Biden am Donnerstag. Er zollte auch Netanjahu Respekt dafür, die Kampfhandlungen nun einzustellen.

Zudem dankte Biden Ägypten für dessen Einsatz bei der Vermittlung der Waffenruhe. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi dankte dem US-Präsidenten für dessen Rolle bei der Durchsetzung der ägyptischen Initiative für eine Feuerpause auf Twitter.

Stabilität als Ziel

Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen begrüßten die Waffenruhe und forderten nun Bemühungen um eine langfristige politische Lösung. Guterres sagte, Israel und die Palästinenser hätten die „Verantwortung über die Wiederherstellung der Ruhe hinaus, um die Ursachen des Konflikts anzugehen“. Von der Leyen forderte beide Seiten auf, die Waffenruhe zu festigen und die Situation auf lange Sicht zu stabilisieren. „Nur eine politische Lösung wird dauerhaften Frieden und Sicherheit für alle bringen“, twitterte sie.

Zerstörung nach Luftangriff in Gaza
Reuters/Ibraheem abu Mustafa
Zerstörung in Gaza: Mehr als 230 starben während des jüngsten Konflikts

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und das österreichische Außenministerium begrüßten die Ankündigung ebenfalls. „Die Menschen in dieser ohnehin schon volatilen Region haben sich ein Leben in Frieden und Sicherheit verdient. Nun gehe es darum, die Voraussetzungen für nachhaltige Sicherheit und Stabilität zu schaffen“, teilte Kurz mit.

Öl ins Feuer

Ob die diplomatischen Bemühungen am Ende erfolgreich sein können, wird sich weisen. Am grundsätzlichen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ändert die Waffenruhe wenig. Zudem gießen bereits manche Akteure neues Öl ins Feuer. Proiranische Gruppen in der arabischen Welt bezeichneten die Waffenruhe als Erfolg für die Hamas und die Palästinenser.

Die libanesische Hisbollah erklärte am Freitag, sie gratuliere dem palästinensischen Volk zu seinem „großen historischen Sieg“ gegen den „zionistischen Feind“. Ein Sprecher der jemenitischen Huthi-Rebellen sagte, der „tapfere Widerstand“ der Palästinenser habe Israel zu einer Waffenruhe gezwungen, wie der Huthi-Sender al-Masira meldete.

UNO warnt vor zu großen Hoffnungen

In Israel wiederum steckt Netanjahu in einer schweren Krise und steht politisch stark unter Druck. Eine neue Regierung brachte er nach der jüngsten Wahl nicht zustande, da ihm die Mehrheiten fehlten. In Israel kritisieren nun nicht nur Hardliner die Ergebnisse des jüngsten Konflikts. Jair Lapid, zuletzt Netanjahus größter politischer Rivale und derzeit mit der Regierungsbildung betraut, twitterte: „Das Militär war bei der Erledigung seiner Aufgaben erfolgreich. Die Regierung aber versagte.“

Das UNO-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) warnte auch vor zu großen Hoffnungen. Die Waffenruhe sei ein erster Schritt, löse aber die eigentlichen Probleme nicht, sagte UNRWA-Direktor Matthias Schmale am Freitag in Genf. „Es wird wieder ein Krieg ausbrechen, solange die fundamentalen Ursachen nicht angegangen werden.“