Das Europagebäude in Brüssel
Rat der Europäischen Union/Philippe Samyn and Partners
EU-Gipfel

CoV-, Klima- und Beziehungskrise

Am Montag und Dienstag findet in Brüssel eine Sondertagung der 27 EU-Staats- und Regierungschef statt. Einmal mehr steht die Coronavirus-Krise im Fokus der Gespräche – nicht zuletzt wegen des EU-Zertifikats, mit dem das Reisen in den Sommermonaten erleichtert werden soll. Auf der Agenda stehen aber auch die Klimakrise und die angespannten Beziehungen zu Großbritannien und zu Russland. Die erzwungene Umleitung eines Linienflugs durch Weißrussland wird ebenfalls Thema sein.

Rechtzeitig vor dem Gipfel haben sich die EU-Länder und das EU-Parlament vergangene Woche auf Details eines europaweiten Zertifikats zum Nachweis von Coronavirus-Impfungen, -Tests und überstandenen Covid-19-Erkrankungen geeinigt. Das digital lesbare Dokument soll bis Ende Juni eingeführt werden und ab 1. Juli das grenzüberschreitende Reisen innerhalb der EU erleichtern.

Seit Anfang des Jahres war darüber debattiert worden, in welchem Ausmaß EU-Länder Reiseerleichterungen und Restriktionen selbst bestimmen können. Der Kompromiss sieht vor, dass nicht in die Hoheit der Mitgliedsstaaten eingegriffen wird, aber zusätzliche Beschränkungen wie Quarantäne für negativ Getestete, Geimpfte oder Geheilte nur eingeführt werden sollen, wenn es etwa die Infektionslage erfordert.

Touristen in Venedig
Reuters/Manuel Silvestri
Das Reisen in europäische Staaten, etwa nach Italien, soll dank des EU-Zertifikats erleichtert werden

Mit der Einigung auf EU-Ebene bekommen die Mitgliedsstaaten eine Schnittstelle, an der sie ihre nationalen digitalen Nachweise aufsetzen können. In Österreich wäre das der „Grüne Pass“, der schon mit April hätte eingeführt werden sollen. Nun ist der Plan, dass er bis 4. Juni kommt. Dann soll das Testergebnis oder die Bestätigung einer Genesung oder des Impfschutzes elektronisch erfasst werden und über einen QR-Code zur Verfügung stehen. Inzwischen gibt es aber erneut erhebliche Zweifel, ob dieser „Grüne Pass“ bis dahin tatsächlich auch technisch umgesetzt werden kann.

Wie weiter mit dem EU-Klimaziel?

Auch mit der Umsetzung des neuen EU-Klimaziels wird sich der Sondergipfel befassen. Einig sind sich die 27 Staaten, die Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen – bisher anvisiertes Ziel waren 40 Prozent. Umstritten ist, wie das geschehen soll und welches Land wie viel einsparen muss. Die EU-Kommission will Mitte Juli dazu Vorschläge machen, in einem Paket namens „Fit für 55“.

So könnte etwa der Ausstoß von Kohlendioxid verteuert werden. Einen entsprechenden Vorschlag hatten die Grünen im Europaparlament vergangene Woche gemacht. „Ein CO2-Preis von 150 Euro bis 2030 ist hierfür der Grundstein“, hieß es etwa. Für jede Tonne Kohlendioxid, die in die Atmosphäre gelangt, brauchen Verursacher eine Berechtigung. Diese Zertifikate können gehandelt werden. Jährlich sinkt die erlaubte Gesamtmenge, sodass Zertifikate teurer werden.

Rauchende Schlote einer Fabrik
APA/AFP/Ina Fassbender
Auf dem EU-Gipfel wird die Umsetzung der Klimaziele debattiert

Beteiligt sind bisher Fabriken, Kraftwerke und Fluggesellschaften. Je höher der Preis, desto eher lohnt sich der Umstieg auf Technik ohne CO2, also ohne Kohle, Öl oder Gas. Zuletzt stieg der Zertifikatspreis wegen Verknappung und Spekulation auf rund 50 Euro je Tonne. Kommissionsvize Frans Timmermans hat bereits angekündigt, dass der Emissionshandel nachgeschärft und möglicherweise auch ausgeweitet wird auf den Verkehr und auf Gebäude.

Beziehung zu Moskau krisenhaft, zu London belastet

Nicht weniger heikel werden die Beratungen zum großen EU-Nachbarn Russland. Die EU-Spitzen werden eine „strategische Debatte“ zu den bilateralen Beziehungen führen, heißt es in der offiziellen Agenda. Moskau hatte vor wenigen Wochen Sanktionen gegen acht EU-Vertreter und -Vertreterinnen verhängt. Darunter befinden sich Parlamentspräsident David Sassoli und die für Grundwerte zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission, Vera Jourova. Moskau reagierte damit auf EU-Sanktionen gegen russische Verantwortliche wegen der Inhaftierung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny.

Anzunehmen ist, dass auch die Spannungen zwischen Tschechien und Russland ein Thema sein werden. Prag machte im April russische Geheimdienste für Explosionen in einem Munitionslager im Osten des Landes im Jahr 2014 verantwortlich und wies deshalb 18 Diplomaten aus. Moskau bestritt alle Vorwürfe und reagierte ebenfalls mit der Verfügung von Ausweisungen. An dem Konflikt beteiligten sich die baltischen Staaten und die Slowakei. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis forderte mehr Solidarität vonseiten der EU: „Jeder Angriff auf ein Mitgliedsland bedeutet einen Angriff auf uns alle.“

Und nicht zuletzt wird die erzwungene Landung einer Ryanair-Maschine in Minsk und die Festnahme eines an Bord befindlichen prominenten Regimekritikers ein großes Thema sein. Die EU-Chefinnen und -Chefs werden über eine Verschärfung der Sanktionen beraten. Im Vorfeld des Gipfels gab es von EU-Vertretern und -Vertreterinnen bereits scharfe Kritik an der erzwungenen Landung.

Zwei Bildschirme zeigen den  russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny im Gefängnis
AP/Babuskinsky District Court Press Service
Wegen der Inhaftierung Nawalnys belegte die EU russische Staatsfunktionäre mit Sanktionen

Auf dem Plan steht außerdem die Beziehung zu Großbritannien, die seit dem Inkrafttreten des Brexit-Handelspakts am 1. Mai quasi auf neue Beine gestellt werden sollte. Doch zuletzt gab es bitteren Streit über den Coronavirus-Impfstoff von AstraZeneca. Zudem warf die EU Großbritannien Vertragsbruch vor, weil Sonderregeln für das britische Nordirland im bereits gültigen Austrittsvertrag nicht umgesetzt würden. Brüssel hatte deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Italien urgiert weiteren Debattenpunkt

Am Ende könnte noch ein Punkt auf die Agenda des EU-Gipfels gelangen, der eigentlich gar nicht vorgesehen ist: Angesichts der zunehmenden Zahl von Geflüchteten, die seit Jahresbeginn in Italien eingetroffen sind, will Italien auf die Einführung eines europäischen Umverteilungsmechanismus für Bootsflüchtlinge drängen. Befürchtet wird, dass die Zahl der Menschen auf Sizilien und Lampedusa in den Sommermonaten zunehmen könnte.