Ryanair-Maschine und Feuerwehrautos auf dem Flughafen Minsk (Weißrussland)
APA/AFP
Regimegegner an Bord verhaftet

Weißrussland leitete Linienflug um

Ein Linienflug von Griechenland nach Litauen ist am Sonntag in der weißrussischen Hauptstadt Minsk zur Landung gezwungen worden. An Bord befand sich mit Roman Protassewitsch einer der prominentesten oppositionellen Blogger Weißrusslands, er wurde nach der Landung festgenommen. Erzwungen wurde die Landung möglicherweise mit einem Trick.

Der Fall sorgte unmittelbar für heftige internationale Reaktionen: Litauen forderte eine umgehende Reaktion von EU und NATO. Die EU verurteilte das Vorgehen noch am Nachmittag. Die NATO sprach von einem „ernsthaften und gefährlichen Vorfall“. Berlin forderte eine sofortige Erklärung von Minsk.

Österreich kritisierte die Umleitung. Offenbar befand sich auch ein Österreicher an Bord der Maschine. Der Oppositionelle wollte gar nicht nach Weißrussland reisen, befindet sich aber nun in der Gewalt des Regimes. Polen sprach daher von „Staatsterrorismus“, Griechenland von „staatlicher Luftpiraterie“.

Wenige Minuten bevor die Boeing 737 der irischen Fluggesellschaft Ryanair kurz vor 13.00 Uhr Ortszeit den weißrussischen Luftraum wieder verlassen und über Litauen mit dem Landeanflug auf Vilnius begonnen hätte, hatte sie überraschend abgedreht und war schließlich in Minsk gelandet.

Minsk soll von Bombenalarm gesprochen haben

Es habe Informationen über eine Bombe an Bord gegeben und Präsident Alexander Lukaschenko habe deshalb den Befehl erteilt, den Flug umzuleiten und zu empfangen, berichtete der regimenahe weißrussische Telegramkanal Pul Pervogo am Nachmittag. Explosive Stoffe seien jedoch nicht gefunden worden, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Belta. Unklar ist, ob es die angebliche Bombenwarnung tatsächlich gab oder ob sie vom Regime fingiert wurde, um einen Vorwand zu haben, die Maschine zur Landung zu zwingen.

Ryanair-Maschine und Feuerwehrautos auf dem Flughafen Minsk (Weißrussland)
APA/AFP
Ein Ryanairflug wurde wohl per Trick zur Notlandung gezwungen – und ein Regimegegner an Bord verhaftet

Prominenter Oppositioneller verhaftet

An Bord des Flugzeugs befand sich mit Roman Protassewitsch, dem ehemaligen Chefredakteur des führenden oppositionellen Telegramkanals NEXTA, einer der bekanntesten Blogger Weißrusslands. Er wurde nach der Landung festgenommen.

Zur Begleitung des Passagierflugzeugs sei auch ein Kampfjet vom Typ MiG-29 aufgestiegen, wie der Flughafen bestätigte. Flughafensprecher teilten in Staatsmedien mit, dass die Piloten an Bord der Passagiermaschine um die Landeerlaubnis gebeten hätten. Später habe sich die Information über die mutmaßliche Bombe als Fehlalarm herausgestellt. Der Schichtleiter des Airports, Maxim Kijakow, sagte im Staatsfernsehen, dass die 123 Passagiere im Transitbereich auf ihren Weiterflug warteten.

Ryanair bestätigte nur Umleitung

Ryanair bestätigte, dass einer ihrer Flieger auf dem Weg von Athen in die litauische Hauptstadt Vilnius nach Minsk umgeleitet wurde. Die Besatzung des Fluges sei von belarussischer Seite über eine mögliche Sicherheitsbedrohung an Bord in Kenntnis gesetzt und angewiesen worden, zum nächstgelegenen Flughafen in Minsk zu fliegen, teilte die Airline am Sonntag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Bei einer Untersuchung an Bord sei nichts Bedrohliches gefunden worden. Zur berichteten Verhaftung des Oppositionellen machte Ryanair keinerlei Angaben. Am Abend durfte das Flugzeug den Flug nach Vilnius fortsetzen.

Der frühere Kulturminister Pawel Latuschko, der in der EU als Oppositioneller im Exil ist, sagte, dass neben dem in Minsk festgenommenen Protassewitsch mehrere Passagiere nicht die Weiterreise angetreten hätten, darunter auch ein Bürger aus Belarus und vier Russen. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.

Aufrufe zu Protesten gegen Regime

Die Behörden in Weißrussland hatten NEXTA als extremistisch eingestuft. Der Kanal hatte im vergangenen Jahr nach der umstrittenen Präsidentenwahl immer wieder zu Massenprotesten gegen Lukaschenko aufgerufen. Der Geheimdienst KGB soll den Journalisten Protassewitsch auf eine Liste mit Menschen gesetzt haben, denen die Beteiligung an terroristischen Handlungen vorgeworfen werde, wie das Portal Tut.by auf Telegram berichtete.

Der litauische Präsident Gitanas Nauseda protestierte am Sonntag umgehend gegen die erzwungene Zwischenlandung und Protassewitschs Festnahme. Nauseda forderte die Verbündeten Litauens in EU und NATO zu umgehenden Reaktionen auf.

EU: „Absolut inakzeptabel“

Die EU-Spitzen kritisierte die Umleitung scharf und forderte die Freilassung aller Passagiere. „Es ist absolut inakzeptabel, den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius zu zwingen, in Minsk zu landen“, schrieb EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Sonntag auf Twitter. Alle Passagiere – gemeint damit offenbar auch der verhaftete weißrusslische Blogger – müssten in der Lage sein, ihre Reise nach Vilnius unverzüglich fortzusetzen, und ihre Sicherheit müsse sichergestellt werden. Verletzungen der internationalen Luftverkehrsregeln müssten Konsequenzen haben.

EU-Ratschef Charles Michel forderte entsprechende Untersuchungen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation. Der Belgier forderte, so wie auch EU-Parlamentspräsident David Sassoli, Minsk dazu auf, alle Passagiere unverzüglich freizulassen. Er sei sehr besorgt über die Berichte, so Michel auf Twitter. Der am Montag beginnende EU-Gipfel wird wohl auch über eine Reaktion auf Weißrusslands Vorgehen beraten.

Festnahme des weißrussischen Journalisten und Bloggers Roman Protassewitsch im Jahr 2017
AP/Sergei Grits
Der verhaftete Oppositionelle Protassewitsch im Bild bei einem Protest im Jahr 2017.

Wien fordert internationale Untersuchung

Auch das Außenministerium sprach von „alarmierenden Berichten“ und forderte „eine unabhängige internationale Untersuchung dieses Vorfalls“. Alle Passagiere müssten ihre Reisen fortsetzen dürfen, forderte das Außenministerium auf Twitter und „dringend die Freilassung des Aktivisten Roman Protassewitsch“.

Offenbar befand sich auch ein Österreicher unter den insgesamt 171 Passagieren an Bord der Maschine, wie der litauische Außenminister am Sonntag auf Twitter mitteilte. Das Außenministerium in Wien bestätigte gegenüber der APA, dass die österreichische Botschafterin in Minsk auf dem Flughafen sei, um sich ein Bild der Lage zu machen. Dass sich ein Österreicher unter den Passagieren befinde, sei ihr bisher von den weißrussischen Behörden nicht bestätigt worden, hieß es.

Die deutsche Regierung forderte ebenfalls eine „sofortige Erklärung“ von Weißrussland. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Miguel Berger, schrieb am Sonntag im Onlinedienst Twitter, eine „sofortige Erklärung“ sei nötig.

Tichanowskaja: Geheimdienstoperation zur Entführung

„Es ist absolut offensichtlich, dass dies eine Geheimdienstoperation zur Flugzeugentführung war, um den Aktivisten und Blogger Roman Protassewitsch zu verhaften“, kritisierte die im Exil lebende weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Ab dem heutigen Tag sei klar, dass sich niemand, der über Weißrussland fliegt, in Sicherheit wiegen könne, sagte sie.

Oppositionspolitiker Pawel Latuschko ergänzte, dass dem Blogger in seiner Heimat die Todesstrafe drohe. Er forderte eine sofortige internationale Aufklärung des Zwischenfalls und eine Untersuchung, ob der internationale zivile Flugverkehr über Weißrussland einstweilen eingestellt werden soll.