Flugzeug der Fluglinie Ryanair bei seiner Landung in Vilnius
Reuters/Andrius Sytas
Erzwungene Landung

EU verhängt Sanktionen gegen Weißrussland

Die erzwungene Landung eines Ryanair-Flugzeugs in Minsk und die Festnahme eines bekannten Oppositionellen haben für Weißrussland Konsequenzen: Die EU-Staats- und -Regierungschefs brachten am Montagabend neue Sanktionen gegen das autoritär regierte Land auf den Weg. Minsk zeigte im Staatsfernsehen ein „Geständnis“ des Regimekritikers Roman Protassewitsch.

Der EU-Gipfel vereinbarte die Sperrung des Luftraums für Flugzeuge aus Weißrussland (Belarus) sowie ein Landeverbot auf EU-Flughäfen und forderte die sofortige Freilassung des Oppositionellen Protassewitsch. In ihrer Gipfelerklärung riefen die Staats- und Regierungschefs Airlines aus der EU zudem auf, den Luftraum von Weißrussland nicht mehr zu überfliegen.

Den EU-Ministerrat beauftragten sie damit, „gezielte Wirtschaftssanktionen“ gegen das Land zu verhängen. Auch solle die EU-Sanktionsliste gegen weißrussische Vertreter und Organisationen ausgeweitet werden. Minsk hatte am Sonntag eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius unter dem Vorwand einer Bombendrohung und mit einem Kampfjet zur Zwischenlandung in Minsk gezwungen. Dort wurden der in Polen und Litauen im Exil lebende Oppositionelle Protassewitsch und seine aus Russland stammende Freundin festgenommen.

„Sofortige Freilassung“ gefordert

Der EU-Gipfel verurteilte das Vorgehen „auf das Schärfste“ und verlangte die „sofortige Freilassung“ von Protassewitsch und seiner Partnerin Sofia Sapega. Die internationale Zivilluftfahrtorganiation ICAO riefen die Staats- und Regierungschefs auf, „diesen beispiellosen und inakzeptablen Vorfall dringend zu untersuchen“. Die ICAO hat für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung einberufen.

Weißrussland hatte die erzwungene Landung mit einer Bombendrohung gegen das Flugzeuges durch die radikalislamische Hamas begründet. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte diese Erklärung „vollkommen unglaubwürdig“. Die Hamas selbst widersprach Minsk und dementierte am Abend, eine Bombendrohung verfasst zu haben.

Veröffentlichtes „Geständnis“

Die Festnahme Protassewitschs haben die Behörden in Minsk mittlerweile bestätigt. Das Staatsfernsehen veröffentlichte am Montag ein Video, in dem der Journalist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe scheinbar gesteht. „Ich werde weiter mit den Ermittlern zusammenarbeiten und gestehe, Massenproteste in der Stadt Minsk organisiert zu haben“, sagt der 26-Jährige in der Aufnahme.

Der Oppositionell Blogger Roman Protassewitsch
Reuters TV
Bild aus dem „Geständnis“-Video mit Protassewitsch

Protassewitsch war früher Chefredakteur des oppositionellen Telegram-Nachrichtenkanals Nexta. Über Nexta waren nach der von massiven Betrugsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl in Weißrussland im vergangenen August Hunderttausende Demonstranten mobilisiert worden. Protassewitsch wird vorgeworfen, Massenproteste ausgelöst zu haben, worauf in dem autoritär regierten Land bis zu 15 Jahre Haft stehen.

Protassewitschs Vater: „Totaler Irrsinn“

Protassewitschs Vater Dmitri Protassewitsch sagte am Montag der Nachrichtenagentur Reuters, er glaube, dass sein Sohn in einem Video, das online veröffentlicht wurde, zu einem Schuldeingeständnis durch Anwendung von Gewalt gezwungen worden sei. „Es ist möglich, dass seine Nase gebrochen ist, denn ihre Form ist anders, und es ist eine Menge Make-up darauf. Die ganze linke Seite seines Gesichts ist abgepudert.“

„Es sind nicht seine Worte, es ist nicht die Art, wie er spricht. Er verhält sich sehr reserviert, und man kann sehen, dass er nervös ist“, so Dmitri Protassewitsch weiter. Und es sei nicht seine Zigarettenschachtel auf dem Tisch – „die raucht er nicht“. Daher glaube er, dass sein Sohn zu der Aussage, er habe zu Protesten angestachelt, gezwungen wurde. „Mein Sohn kann nicht zugeben, die Massenunruhen verursacht zu haben, weil er so etwas einfach nicht getan hat.“ Die Inhaftierung seines Sohnes sei ein Akt der Vergeltung und soll Regierungskritikern zeigen: „Schaut, wozu wir in der Lage sind.“ „Das ist totaler Irrsinn, was hier passiert.“

Das weißrussische Innenministerium teilte mit, Protassewitsch sei in Untersuchungshaft und habe nicht über gesundheitliche Probleme geklagt. Der stellvertretende polnische Außenminister Pawel Jablonski sagte dem Privatsender TVN24, dass seine Regierung von der in Polen lebenden Mutter des Inhaftierten gehört habe, dass er sich in einem schlechten Gesundheitszustand befinde, nannte aber keine Details.

Biden: „Skandalös“

US-Präsident Joe Biden verurteilte die erzwungene Landung und die Festnahme auf das Schärfste. Mit Blick auf mögliche Sanktionen gegen Weißrussland erklärte Biden, er habe sein Team angewiesen, „angemessene Optionen“ zu entwickeln, „um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“. Der Vorfall sei „skandalös“, sagte Biden am Montagabend (Ortszeit).

Protassewitsch und alle weiteren politischen Gefangenen müssten umgehend freigelassen werden. Das „offenbar unter Zwang“ entstandene Video von Protassewitsch nach seiner Festnahme sei ein „schändlicher Angriff“ auf politisch Andersdenkende und die Pressefreiheit. Der Präsident sagte, er unterstütze die Forderung nach einer internationalen Untersuchung des Vorfalls. Zudem begrüßte er die von der EU am Montag auf den Weg gebrachten Sanktionen gegen Weißrussland.

Rückendeckung bekam Minsk indes von Russland, das sich „schockiert“ über die Reaktion des Westens zeigte. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa schrieb auf Facebook, auch westliche Staaten hätten in der Vergangenheit „Entführungen, erzwungene Landungen und illegale Festnahmen“ begangen.

Kurz: „Absolut inakzeptabel“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich nach dem EU-Gipfel in Brüssel „sehr zufrieden, dass es hier eine klare Reaktion“ seitens der EU gebe. „Es wird nicht nur verlangt, dass der verhaftete Journalist sofort freigelassen wird, sondern es gibt auch eine klare Reaktion mit Listungen, Wirtschaftssanktionen und auch einem Flugverbot“, sagte Kurz. Das Verhalten Weißrusslands sei „absolut inakzeptabel, ist aufs Schärfste zurückzuweisen“.

Wegen der Geschehnisse rund um die Präsidentenwahl und des Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten sind bereits EU-Sanktionen gegen rund 90 Verantwortliche in Weißrussland in Kraft, auch gegen den autoritär regierenden Alexander Lukaschenko. Ein weiteres Sanktionspaket gegen rund 40 weitere Weißrussen war bereits für Juni geplant.

Einige Fluglinien meiden weißrussischen Luftraum

Der Luftraum über Weißrussland soll künftig für alle in Litauen startenden oder landenden Flugzeuge tabu sein. Alle Füge zu oder von litauischen Flughäfen via weißrussischen Luftraum „werden verboten“, sagte Verkehrsminister Marius Skuodis am Montag bei einem Regierungstreffen in Vilnius. Die neue Regel gelte ab Dienstag.

Berichte aus Brüssel und Moskau

Über die erzwungene Landung eines Passagierflugzeugs in Weißrussland und die Androhung von Sanktionen seitens der EU berichten die ORF-Korrespondenten Roland Adrowitzer aus Brüssel und Carola Schneider aus Moskau.

Die lettische Fluggesellschaft Air Baltic kündigte an, bis auf Weiteres den weißrussischen Luftraum zu meiden, bis die Situation klarer wird oder die Behörden eine Entscheidung treffen, teilte eine Sprecherin des Unternehmens in Riga mit. Auch ein Flug der ungarischen Fluggesellschaft Wizz Air von Kiew nach Tallinn umflog Weißrussland. Die AUA änderte im Verlauf des Montags ihre Position und wird nun wie ihre Mutter Lufthansa den weißrussischen Luftraum meiden.