Video des des weißrussischen Journalisten und Bloggers Roman Protassewitsch
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Flugzeugaffäre in Weißrussland

Große Sorge um verhafteten Blogger

Weißrussische Telegram-Kanäle haben am späten Montagabend ein „Geständnisvideo“ verbreitet, das den am Sonntag auf dem Minsker Flughafen nach einer erzwungenen Landung verhafteten Oppositionellen Roman Protassewitsch zeigt. Protassewitschs Vater sagte, dass der Regimegegner zu dem Video gezwungen worden sei. Unterdessen verhängte die EU Sanktionen gegen Weißrussland und forderte die Freilassung Protassewitschs.

Der Vater des inhaftierten Journalisten Protassewitsch äußerte sich am späten Montagabend erstmals zur Inhaftierung seines Sohnes. Er glaube, dass sein Sohn in einem Video, das online veröffentlicht wurde, durch Anwendung von Gewalt zu dem Schuldeingeständnis gezwungen worden sei. Seit dem vergangenen Sommer haben weißrussische Strafverfolgungsbehörden wiederholt Videos mit politischen Gegnern veröffentlicht, die in Haft vor laufenden Kameras sich selbst bezichtigten, Verbrechen begangen zu haben.

„Es ist möglich, dass seine Nase gebrochen ist, denn ihre Form ist anders, und es ist eine Menge Make-up darauf. Die ganze linke Seite seines Gesichts ist abgepudert“, sagte Dsmitri Protassewitsch in einem Interview am späten Montag der Nachrichtenagentur Reuters.

Videobotschaft von Roman Protassewitschs Vater
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Der Vater des inhaftierten Regimegegners, Dsmitri Protassewitsch

Vater: Totaler Irrsinn

„Es sind nicht seine Worte, es ist nicht die Art, wie er spricht. Er verhält sich sehr reserviert, und man kann sehen, dass er nervös ist.“ Es sei nicht seine Zigarettenschachtel auf dem Tisch – „die raucht er nicht“. Daher glaube er, dass sein Sohn zu der Aussage, er habe die Proteste in Weißrussland angestachelt, gezwungen wurde. „Mein Sohn kann nicht zugeben, die Massenunruhen verursacht zu haben, weil er so etwas einfach nicht getan hat.“ Die Inhaftierung seines Sohnes sei ein Akt der Vergeltung und soll Regierungskritikern zeigen: „Schaut, wozu wir in der Lage sind.“ „Das ist totaler Irrsinn, was hier passiert.“

Der Oppositionell Blogger Roman Protassewitsch
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Bild aus dem „Geständnis“-Video mit Protassewitsch

Tichanowskaja hält Folter für wahrscheinlich

Die weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hatte sich zuvor besorgt über den Verbleib des Oppositionsaktivisten und Bloggers gezeigt. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass er jetzt von Mitgliedern der Sondereinheiten gefoltert wird“, sagte Tichanowskaja der Agentur BNS am Montag in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Sie stehe in Kontakt mit den Eltern von Protassewitsch.

Auch Tichanowskaja zufolge wurde neben dem Aktivisten auch dessen Freundin festgenommen. Die 23-jährige Studentin Sofia Sapega sei in das berüchtigte Okrestina-Gefängnis in Minsk gebracht worden, sagte die Bürgerrechtlerin unter Berufung auf Angehörige der Frau. Was ihr vorgeworfen werde, sei nicht bekannt. Die russische Botschaft in Minsk hatte zuvor die Festnahmen bestätigt.

Das weißrussische Innenministerium teilte mit, Protassewitsch sei in Untersuchungshaft und habe nicht über gesundheitliche Probleme geklagt. Der stellvertretende polnische Außenminister Pawel Jablonski sagte dem Privatsender TVN24, dass seine Regierung von der in Polen lebenden Mutter des Inhaftierten gehört habe, dass er sich in einem schlechten Gesundheitszustand befinde, nannte aber keine Details. Protassewitsch lebte vor seiner Festnahme im Exil. Sein Social-Media-Kanal war eine der letzten verbleibenden unabhängigen Quellen für Nachrichten über das Land seit der Massenunterdrückung von Dissidenten im letzten Jahr.

Mitstreiter: Erhalte Morddrohungen

Ein Mitstreiter Protassewitschs erhielt unterdessen nach eigenen Angaben Morddrohungen. „Sie schreiben mir, dass wir als Nächstes an der Reihe sind, dass man uns nicht nach Weißrussland entführen, sondern in Warschau erschießen wird“, sagte der Blogger Stepan Putilo der polnischen Zeitung „Rzeczpospolita“ (Dienstag-Ausgabe). Der 22-jährige Putilo war gemeinsam mit Protassewitsch Gründer des Portals Nexta auf Telegram. Die Redaktion hat ihren Sitz in Warschau. Der Telegram-Kanal wurde während der Proteste gegen den autoritären Machthaber Alexander Lukaschenko zur wichtigsten Informationsquelle der Opposition. Protassewitsch schied Ende 2020 aus Nexta aus.

EU-Sanktionen gegen Weißrussland

Auf einem EU-Gipfel in Brüssel sind Sanktionen gegen Weißrussland beschlossen worden. Die Europäische Union fordert die sofortige Freilassung Protassewitschs.

EU beschließt Sanktionen und fordert Freilassung

Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten am Montag weitere Sanktionen gegen Weißrussland beschlossen und die sofortige Freilassung des Regierungskritikers und seiner Begleiterin Sapega gefordert. Zudem solle die Internationale Organisation für Zivilluftfahrt (ICAO) den Vorfall untersuchen.

Minsk hatte am Sonntag eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius unter dem Vorwand einer Bombendrohung der radikalislamischen Hamas und mit einem Kampfjet zur Zwischenlandung in Minsk gezwungen. Nach der Landung wurden der in Polen und Litauen im Exil lebende Oppositionelle Protassewitsch und seine aus Russland stammende Freundin festgenommen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte die Erklärung mit der Bombendrohung „vollkommen unglaubwürdig“. Die Hamas selbst widersprach Minsk und dementierte am Abend, eine Bombendrohung verfasst zu haben.

Berichte aus Brüssel und Moskau

Über die erzwungene Landung eines Passagierflugzeugs in Weißrussland und die Androhung von Sanktionen seitens der EU berichten die ORF-Korrespondenten Roland Adrowitzer aus Brüssel und Carola Schneider aus Moskau.

Der EU-Gipfel vereinbarte auch die Sperrung des Luftraums für Flugzeuge aus Weißrussland sowie ein Landeverbot auf EU-Flughäfen. In ihrer Gipfelerklärung riefen die Staats- und Regierungschefs Airlines aus der EU zudem auf, den Luftraum von Weißrussland nicht mehr zu überfliegen. Den EU-Ministerrat beauftragten sie damit, „gezielte Wirtschaftssanktionen“ gegen das Land zu verhängen. Auch solle die EU-Sanktionsliste gegen weißrussische Vertreter und Organisationen ausgeweitet werden.

AUA fliegt nicht mehr über Weißrussland

Zahlreiche Fluglinien meiden nun den weißrussischen Luftraum. „Aufgrund der aktuell dynamischen Lage setzen wir die Operation im weißrussischen Luftraum vorerst aus“, teilte die deutsche Lufthansa am Montagabend mit. Die Entscheidung betreffe auch die AUA, sagte eine Sprecherin der zur Lufthansa-Gruppe gehörenden österreichischen Fluglinie auf Anfrage der APA. Weitere Fluggesellschaften – darunter Air France und Finnair – erklärten am Dienstag, sie würden den Luftraum über Weißrussland bis auf Weiteres meiden.

Die staatliche weißrussische Fluggesellschaft ihrerseits setzt ihre Flüge nach London und Paris bis Ende Oktober aus. Belavia reagiere damit auf ein Verbot von Frankreich und Großbritannien für Maschinen aus der Ex-Sowjetrepublik, teilte das Unternehmen am Dienstag mit. Man bedauere die aktuelle Situation, „die wir nicht ändern können“.

Biden: „Skandalös“

US-Präsident Joe Biden verurteilte die erzwungene Landung und die Festnahme auf das Schärfste. Mit Blick auf mögliche Sanktionen gegen Weißrussland erklärte Biden, er habe sein Team angewiesen, „angemessene Optionen“ zu entwickeln, „um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“. Der Vorfall sei „skandalös“, sagte Biden am Montagabend (Ortszeit).

Protassewitsch und alle weiteren politischen Gefangenen müssten umgehend freigelassen werden. Das „offenbar unter Zwang“ entstandene Video von Protassewitsch nach seiner Festnahme sei ein „schändlicher Angriff“ auf politisch Andersdenkende und die Pressefreiheit. Der Präsident sagte, er unterstütze die Forderung nach einer internationalen Untersuchung des Vorfalls. Zudem begrüßte er die von der EU am Montag auf den Weg gebrachten Sanktionen gegen Weißrussland.

Rückendeckung bekam Minsk indes von Russland, das sich „schockiert“ über die Reaktion des Westens zeigte. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa schrieb auf Facebook, auch westliche Staaten hätten in der Vergangenheit „Entführungen, erzwungene Landungen und illegale Festnahmen“ begangen.

Kurz: „Absolut inakzeptabel“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich nach dem EU-Gipfel in Brüssel „sehr zufrieden, dass es hier eine klare Reaktion“ seitens der EU gebe. „Es wird nicht nur verlangt, dass der verhaftete Journalist sofort freigelassen wird, sondern es gibt auch eine klare Reaktion mit Listungen, Wirtschaftssanktionen und auch einem Flugverbot“, sagte Kurz. Das Verhalten Weißrusslands sei „absolut inakzeptabel, ist aufs Schärfste zurückzuweisen“.

Wegen der Geschehnisse rund um die Präsidentenwahl und des Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten sind bereits EU-Sanktionen gegen rund 90 Verantwortliche in Weißrussland in Kraft, auch gegen den autoritär regierenden Lukaschenko. Ein weiteres Sanktionspaket gegen rund 40 weitere Weißrussen war bereits für Juni geplant.