Antony Blinken und Mahmoud Abbas
Reuters
Außenminister in Nahost

USA üben sich in diplomatischem Spagat

Die USA wollen wieder ein eigenständiges Konsulat für die Palästinenser in Jerusalem eröffnen. Er habe dies sowohl dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu als auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas mitgeteilt, sagte US-Außenminister Antony Blinken am Dienstag in Ramallah im Westjordanland. Er sicherte den Palästinensern zudem Hilfen in Millionenhöhe zu – die Hamas soll davon nicht profitieren.

Das Konsulat in Jerusalem hatte seit dem Friedensabkommen von Oslo in den 90er Jahren als US-Vertretung für die Palästinenser gedient. Es wurde im März 2019 unter dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump trotz scharfer internationaler Kritik geschlossen und in die US-Botschaft eingegliedert, die von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt worden war.

Trump hatte eine deutliche Verschlechterung der Beziehungen zu den Palästinensern während seiner Präsidentschaft in Kauf genommen. Das macht die Regierung unter Präsident Joe Biden nun rückgängig. Blinken sagte, die Wiedereröffnung des US-Generalkonsulats in Jerusalem sei „ein wichtiger Weg für unser Land, sich mit dem palästinensischen Volk zu engagieren und es zu unterstützen“.

Israel betrachtet ganz Jerusalem, einschließlich des östlichen Sektors, den es im Nahost-Krieg 1967 eroberte und in einem international nicht anerkannten Schritt annektierte, als seine ungeteilte Hauptstadt.

Gebäude der US-Botschaft in Jerusalem
Public Domain
Dem derzeit stillgelegten US-Konsulat in Jerusalem soll neues Leben eingehaucht werden

USA machen Sofort- und Entwicklungshilfe locker

Biden hat keine Pläne, die Verlegung der Botschaft rückgängig zu machen, bemühte sich aber in den ersten Monaten seiner Amtszeit, die Beziehungen zu den Palästinensern zu verbessern. Im April stellte Biden Hunderte von Millionen Dollar an Palästinenserhilfe wieder her, die von Trump gekürzt worden waren.

Nach einem Gespräch mit Palästinenserpräsident Abbas kündigte Blinken am Dienstag an, er werde den US-Kongress über zusätzliche Wirtschafts-und Entwicklungshilfen für die Palästinenser in Höhe von 75 Millionen Dollar (61 Mio. Euro) informieren. Zudem würden 5,5 Millionen Dollar als Soforthilfe für den Gazastreifen freigegeben. Weitere 32 Millionen erhalte das UNO-Büro für palästinensische Flüchtlinge.

„Wir werden eng mit unseren Partnern zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Wiederaufbauhilfe nicht der Hamas zugutekommt“, hatte Blinken zuvor dem israelischen Regierungschef Netanjahu versichert. Dieser drohte der Hamas mit einer „sehr starken Antwort“ Israels, sollte sie die Waffenruhe brechen.

Antony Blinken und Benjamin Netanjahu
APA/AFP/Alex Brandon
Netanjahu erinnerte daran, dass es keinen Frieden geben werde, bis die Palästinenser Israel als „jüdischen Staat“ anerkennen

Blinken: „Sehr produktiver Tag“

Blinken war zu Gesprächen über eine Festigung der Waffenruhe zwischen Israel und militanten Palästinensergruppen im Gazastreifen nach Israel und ins Westjordanland gereist. Ein Treffen mit der Hamas, die von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft wird, stand nicht auf der Agenda. Blinkens weitere Nahost-Reise bis Donnerstag wird ihn ins Westjordanland, nach Ägypten und Jordanien führen.

Am Dienstag sagte er nach seinen offiziellen Terminen, er habe einen „sehr produktiven Tag“ gehabt, nun müssten die Repräsentanten sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite an echten Verbesserungen im Leben der Menschen arbeiten.

Spannungen wegen Iran

Es ist Blinkens erster Besuch als Außenminister im Nahen Osten. Die seit Jänner amtierende US-Regierung hatte ihren außenpolitischen Fokus bisher eher auf andere Themen als den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern gerichtet. So ist etwa die Stelle des Botschafters in Israel seit Jänner unbesetzt.

Biden ließ sich zudem mehrere Wochen – also ungewöhnlich lange – Zeit, bevor er erstmals mit Netanjahu sprach. Für Spannungen zwischen Israel und den USA sorgt zudem die mögliche Wiederherstellung des Atomabkommens mit dem Iran, für die sich die Regierung in Washington einsetzt. Bidens Vorgänger Donald Trump hatte einen sehr israelfreundlichen Kurs verfolgt, dies lastete auf den Beziehungen der USA zur im Westjordanland regierenden Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Abbas – Politiker der größten Palästinenserorganisation Fatah – steht der PA vor.

Schlimmster Gewaltausbruch seit Jahren

Die Reise findet vor dem Hintergrund der schlimmsten Gewalt zwischen Israel und der Hamas seit Jahren statt. Israelische Angriffe während des jüngsten Konflikts töteten mindestens 248 Palästinenser, darunter 66 Kinder, wie die Hamas mitteilte, mehr als 1.900 Menschen wurden verwundet. Mindestens 13 Israelis, darunter zwei Kinder, wurden nach Angaben des israelischen Militärs und des Rettungsdienstes durch den Beschuss militanter Palästinenser aus Gaza getötet.

Auslöser waren wochenlange Zusammenstöße in Jerusalem zwischen der israelischen Polizei und palästinensischen Demonstranten in und um das Gelände der Al-Aksa-Moschee, einer von Juden und Muslimen verehrten Stätte, die in den letzten Jahren wiederholt Ausgangspunkt von Gewaltausbrüchen war. Die Proteste richteten sich gegen Israels polizeiliche Überwachung des Geländes während des muslimischen heiligen Monats Ramadan und die angedrohte Vertreibung von Dutzenden palästinensischer Familien durch jüdische Siedler.

Brüchiger Waffenstillstand

Der Waffenstillstand ist nach wie vor brüchig – die Spannungen in Jerusalem sind immer noch hoch, das Schicksal der palästinensischen Familien ist weiter nicht geklärt. Die Räumungen wurden kurz vor dem Ausbruch der Kämpfe im Gazastreifen auf Eis gelegt, aber das Gerichtsverfahren soll in den kommenden Wochen wieder aufgenommen werden.

Israel und die Hamas hatten sich am vergangenen Freitag nach elf Tagen Konflikt auf den Waffenstillstand geeinigt. Blinken sagte am Dienstag, die Verluste auf beiden Seiten im Konflikt zwischen Israel und der Hamas seien „tiefgreifend“. „Die Verluste werden oft auf Zahlen reduziert. Aber hinter jeder Zahl steht ein Mensch – eine Tochter, ein Sohn, ein Vater, eine Mutter, ein Großelternteil, ein bester Freund. Und wie der Talmud lehrt, bedeutet der Verlust eines Lebens den Verlust der ganzen Welt, egal ob dieses Leben palästinensisch oder israelisch ist“, sagte Blinken.

Friedensverhandlungen in der Schwebe

Blinken sagte, er und Netanjahu hätten ein ausführliches Gespräch über Israels Sicherheitsbedürfnisse geführt, einschließlich der Nachrüstung des Luftabwehrsystems „Iron Dome“ mit Raketenabfanggeräten. Blinken sprach auch über das Recht von Israelis und Palästinensern, die es gleichermaßen verdienten, „sicher zu leben, ein gleiches Maß an Freiheit, Chancen und Demokratie zu genießen und mit Würde behandelt zu werden“. Nicht ausdrücklich deutete er aber an, dass umfassende Friedensverhandlungen unmittelbar bevorstehen würden.

Gleichzeitig gab Blinken aber zu verstehen, dass er die Zweistaatenlösung als einzigen Weg zum Frieden zwischen Israel und den Palästinensern betrachte – „zur Umsetzung der Bemühungen“ gebe es auch einen Ansatz. Die USA seien „noch immer der Ansicht“, dass die Zweistaatenlösung der einzige Weg sei, „um die Zukunft Israels als jüdischem und demokratischem Staat wirklich sicherzustellen und natürlich den Palästinensern den Staat zu geben, auf den sie Anspruch haben“, sagte Blinken. Beide Konfliktparteien müssten jedoch bessere Voraussetzungen für eine Annäherung schaffen.