Feuerwehrleute neben dem Wrack einer Seilbahngondel
APA/AFP/Vigili del Fuoco
Gondelabsturz

Betreiber schalteten Notbremse aus

Nach dem tödlichen Seilbahnunglück in Italien sind am Mittwoch drei Männer festgenommen worden, die für eine absichtliche Abschaltung des Notbremssystems verantwortlich sein sollen. Bei den Verdächtigen handle es sich um den Chef und zwei weitere hochrangige Vertreter des Seilbahnbetreibers Ferrovie del Mottarone, teilte die italienische Polizei mit.

„Es gab eine Störung an der Seilbahn, das Beförderungsteam hat das Problem nicht oder nur teilweise gelöst“, sagte Carabinieri-Vertreter Alberto Cicognani nach Angaben italienischer Nachrichtenagenturen dem Sender RAI Radio 3. Angesichts des Besucherandrangs – es war ein Wochenende der Lockerungen in Italien – wollten sie offenbar keine weitere Verzögerung in Kauf nehmen.

Auch die Wartungsfirma habe die Störungen durch die Notbremse nicht völlig beseitigen können. Daher hätten die Seilbahnbetreiber beschlossen, einen Bügel zwischen die Bremsbacken zu schieben, der verhindert, dass sich die Bremsbacken schließen und die Seilbahn immer wieder anhält.

Bügel nur erlaubt, wenn Gondel leer

Im Notfall – etwa beim Riss des Zugseils, wie am Wochenende passiert – verhindern diese Bremsen, dass die Gondel talwärts rast. Eine Reparatur hätte allerdings bedeutet, dass die Bahn längere Zeit stillsteht, so der öffentlich-rechtliche Sender RAI. Das Ausschalten des Notbremssystems sei in der Überzeugung beschlossen worden, „dass das Seil niemals reißen würde“, hieß es vonseiten der Ermittler.

Derlei Bügel dürfen laut RAI eigentlich nur verwendet werden, wenn die Gondel leer ist. Ihr Zweck bestehe darin zu verhindern, dass jemand zur leeren Gondel aufsteigen und die Bremse lösen muss, wenn sie nach einem Stromausfall oder einem Defekt der Hydraulik auf dem Weg zwischen den beiden Stationen stehen bleibt.

Verhaftete geständig

Firmenchef Gabriele Tadini und die anderen beiden Festgenommenen gestanden laut Cicognani, dass die Notbremse absichtlich ausgeschaltet worden war. Staatsanwältin Olimpia Bossi sagte italienischen Medien zufolge, die Beschuldigten hätten gewusst, dass das bereits seit dem 26. April, dem Tag der Wiederaufnahme des Seilbahnbetriebs, der Fall gewesen sei.

Abgedeckte Unglücksgondel im Nebel
AP/LaPresse/Piero Cruciatti
Die nach dem Unglück abgedeckte Gondel

Fünfjähriger als einziger Überlebender

Bei dem Seilbahnunglück auf dem Monte Mottarone am Lago Maggiore waren am Sonntag 14 Menschen ums Leben gekommen, darunter fünf Israelis. Eine Seilbahnkabine war kurz vor Erreichen der Gipfelstation abgestürzt, nachdem das Zugseil gerissen war. Nur ein Insasse, ein fünfjähriger israelischer Bub, überlebte schwer verletzt. Er verlor seine Eltern und seinen Bruder.

Am Mittwoch hätten die Ärzte den Beatmungsschlauch entfernt, der Bub sei kurz bei Bewusstsein gewesen, sagte der Direktor des Krankenhauses am Mittwoch vor Journalisten. Dabei habe er auch kurz die Augen aufgemacht. Seine Tante und Großmutter sowie ein Psychologe waren bei ihm, weitere Familienmitglieder planten die Anreise.

Die israelischen Opfer wurden am Mittwoch mit einem Sonderflug in ihr Heimatland gebracht. Eine Sondermaschine der israelischen Fluggesellschaft El Al landete am Abend laut Flugübersicht auf dem internationalen Flughafen bei Tel Aviv. Bei einem der Opfer, dem 81-jährigen Großvater, soll es sich Medienberichten zufolge um eines der Gründungsmitglieder der Fluggesellschaft handeln.

Bei anderer Gondel funktionierte Notbremse

Die Gondel rollte nach dem Riss des Zugseils laut dem öffentlich-rechtlichen Sender RAI wieder abwärts und dürfte wegen der hohen Geschwindigkeit bei einem Träger aus der Führung gerissen worden sein. Bei der talwärts fahrenden Gondel dagegen funktionierte des Notbremssystem und stoppte diese.

Am Dienstag hatten die Carabinieri mehrere Menschen verhört und die sichergestellten Trümmer untersucht. Daraus ging hervor, dass „das Notbremssystem der abgestürzten Kabine manipuliert worden war“ und dass die „Gabel“, die Vorrichtung zur Deaktivierung der Bremse, eingesteckt worden war.

Eine abgestürzte Gondel der Seilbahnstrecke Stresa-Mottarone
AP/Italian Vigili del Fuoco Firefighters
Die Seilbahn stürzte in Gipfelnähe ab

„Bewusst durchgeführter Akt“

Laut den Ermittlern handelte es sich um einen „bewusst durchgeführten materiellen Akt“, um „Unterbrechungen und das Anhalten der Seilbahn zu vermeiden“, während „die Anlage Anomalien aufwies, die einen radikaleren Eingriff mit einem konsequenten Anhalten“ der Anlage erfordert hätten. Laut Staatsanwaltschaft waren technische Eingriffe „angefordert und durchgeführt worden“, darunter einer am 3. Mai, aber „sie haben das Problem nicht gelöst“.

Video von Unglück beschlagnahmt

Die Staatsanwaltschaft hatte am Dienstag das Video einer Überwachungskamera beschlagnahmt, das den Unfall zeigt. Darauf sei zu sehen, wie sich die Gondel am Sonntag kurz vor der Bergstation auf dem Monte Mottarone westlich des Lago Maggiore befunden habe, als plötzlich ein Seil riss und die Kabine talwärts abstürzte, hieß es.

Leitner: Keine Unregelmäßigkeiten

An der Seilbahn Funivia Stresa-Mottarone führt das Südtiroler Unternehmen Leitner gemäß einem Wartungsvertrag Kontrollen durch. Einer Mitteilung der Firma von Montagnacht zufolge war die hydraulische Bremsanlage der Fahrzeuge zuletzt am 3. Mai dieses Jahres gewartet worden.

Am 1. Dezember 2020 wurde laut Leitner der Unglücksfall vom Wochenende in einer Simulation getestet: Ein Zugseilriss sei simuliert und das anschließende Einfallen der Tragseilbremse durchgeführt worden. Die täglichen und wöchentlichen Kontrollen liegen laut Leitner in der Verantwortung der Betreibergesellschaft Ferrovie del Mottarone.