Der weißrussische Präsident Alexander Lukashenko
AP/BelTA Pool Photo/Sergei Shelega
Weißrussland

Machthaber verteidigt erzwungene Landung

Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko hat die Umleitung eines Ryanair-Flugzeugs nach Minsk als „rechtmäßig“ verteidigt. „Ich habe rechtmäßig gehandelt, um die Menschen zu schützen, in Übereinstimmung mit allen internationalen Vorschriften“, sagte er am Mittwoch laut der staatlichen Nachrichtenagentur Belta vor dem weißrussischen Parlament. Es sei eine „Lüge“, dass die Passagiermaschine von einem Kampfjet zur Landung in Minsk gezwungen worden sei.

Der autoritär regierende Staatschef verwahrte sich gegen Kritik an seiner Regierung. Weißrussland werde von „unseren Feinden im In- und Ausland“ attackiert, sagte Lukaschenko. „Sie haben viele rote Linien sowie die Grenzen des gesunden Menschenverstands und der menschlichen Moral überschritten.“ Weißrussland nicht wohlgesinnte Menschen hätten die Absicht, das Land zu erwürgen, sagte er.

Lukaschenko drohte, auf sämtliche Sanktionen oder „Provokationen“ scharf zu reagieren. Er sagte ohne nähere Erläuterung, Weißrussland habe aus der Schweiz die Information bekommen, dass sich ein Sprengsatz an Bord des Flugzeugs befinde. Deshalb sei das Flugzeug, das auf dem Weg nach Litauen war, mit Unterstützung eines Kampfjets nach Minsk umgeleitet worden. Der Kreml in Moskau erklärte, man sehe keinen Grund, Lukaschenkos Darstellung des Falls zu misstrauen.

Der Oppositionell Blogger Roman Protassewitsch
Reuters TV
Bild aus dem „Geständnis“-Video mit Protassewitsch

Schweiz: Gab keine Meldung

Die Schweiz trat den Äußerungen Lukaschenkos entgegen. „Die Schweizer Behörden hatten und haben keine Kenntnisse über eine Bombendrohung auf dem Ryanair-Flug Athen – Vilnius“, sagte das Außenministerium am Mittwoch. „Es gab dementsprechend auch keine Meldung der Schweiz an die belarussischen Behörden.“ Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Montag die Erklärung mit der Bombendrohung „vollkommen unglaubwürdig“ genannt. Die Hamas widersprach ebenfalls Minsk und dementierte, eine Bombendrohung verfasst zu haben.

Weißrussland hatte am Sonntag eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius unter dem Vorwand einer Bombendrohung der radikalislamischen Hamas und mit einem Kampfjet zur Zwischenlandung in Minsk gezwungen. Nach der Landung wurden der in Polen und Litauen im Exil lebende Oppositionelle Roman Protassewitsch und seine aus Russland stammende Freundin Sofia Sapeg festgenommen.

Ryanair-Maschine und Feuerwehrautos auf dem Flughafen Minsk (Weißrussland)
APA/AFP
Der Ryanair-Flug wurde zur Notlandung gezwungen – und ein Regimegegner an Bord verhaftet

Protassewitsch als „Terrorist“ bezeichnet

Zur Festnahme von Protassewitsch sagte Lukaschenko laut der russischen Nachrichtenagentur TASS, der Oppositionelle habe eine „blutige Rebellion“ in Weißrussland geplant. Er habe nicht gewusst, dass Protassewitsch an Bord des Flugzeugs gewesen sei. Hätte er es jedoch gewusst, so hätte er den Befehl gegeben, die Maschine am Weiterflug zu hindern, sagte Lukaschenko.

Er bezeichnete Protassewitsch als „Terroristen“. „Sie sollten die Hauptsache hier verstehen: An Bord des Flugzeugs war ein Terrorist“, sagte Lukaschenko laut der Zeitung des Präsidentenamtes, „Belarus Segodnja“. Das sei über die Grenze von Weißrussland hinaus bekannt gewesen, meinte er mit Blick auf Russland.

Damit räumte Lukaschenko das erste Mal ein, dass er die Ryanair-Maschine am Sonntag auf den Boden brachte, um seinen Gegner festnehmen zu lassen. Dass Weißrussland seinen Bürger und dessen russische Begleiterin, die in dem Land einen Aufenthaltsstatus habe, festnahm, sei das souveräne Recht des Landes gewesen.

Empörung und Sanktionen

Das Umleiten der Maschine rief internationale Empörung hervor. Westliche Länder werteten die Erklärungen der Behörden als Vorwand für die Festnahme Protassewitschs. Kritiker und Kritikerinnen werfen Lukaschenko auch einen gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr vor. Die EU-Staats- und -Regierungschefs vereinbarten die Sperrung des Luftraums für Flugzeuge aus Weißrussland sowie ein Landeverbot auf EU-Flughäfen.

Mehrere europäische Fluggesellschaften änderten inzwischen ihre Flugrouten und kündigten an, den weißrussischen Luftraum vorerst zu meiden. Lettland und Tschechien stellten am Mittwoch als Reaktion auf den Vorfall den Flugverkehr mit Weißrussland komplett ein. Die Regierung in Riga setzte die Betriebserlaubnis für die staatliche weißrussische Fluggesellschaft am Mittwoch aus.

Zugleich verhängte das EU-Land ein Luftraum- und Landeverbot für Airlines, die in Weißrussland zugelassen sind. Umgekehrt dürfen auch lettische Gesellschaften wie die nationale Air Baltic nicht mehr nach Weißrussland fliegen. Auch Tschechien entzog der staatlichen weißrussischen Fluggesellschaft Belavia die Start- und Landeerlaubnis. Das Verbot soll von Freitag an gelten.

Van der Bellen: „Staatliche Entführung“

Kritik gab es am Mittwoch auch von der estnischen Präsidentin Kersti Kaljulaid und Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Rahmen von Kaljulaids Staatsbesuch in Wien. Es sei eine „staatliche Entführung“ gewesen, sagte Van der Bellen auf der gemeinsamen Pressekonferenz. Das sei ebenso wie die Gewalt nach der offensichtlich gefälschten Präsidentschaftswahl in Weißrussland „inakzeptabel“. Man verlange die sofortige Freilassung Protassewitschs und seiner Freundin.

Sechs Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates haben die von Weißrussland erzwungene Landung des Passagierflugs verurteilt. Die USA, Großbritannien, Frankreich, Irland, Norwegen und Estland sprachen am Mittwoch in einer gemeinsamen Erklärung von einem „eklatanten Angriff auf die internationale zivile Flugsicherheit und die europäische Sicherheit“. Zudem forderten sie die Freilassung Protassewitschs.

Keine Dialogbereitschaft

Bisher habe das weißrussische Regime alle Dialogbemühungen verweigert. Man werde andere internationale Foren wie die Vereinten Nationen einbeziehen und auch mit Russland sprechen müssen. Dieser Akt des Staatsterrorismus sei schockierend, sagte Kaljulaid und forderte weitere Maßnahmen gegenüber Minsk. Klar sei, dass es einer gemeinsamen Strategie der EU gegenüber Moskau bedürfe. Estland sei jedenfalls bereit, die Opposition in Weißrussland weiter zu unterstützen.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bezeichnete den Fall als einzigartig in der europäischen Geschichte. Er sei auf keinen Fall zu akzeptieren, sagte Nehammer, angesprochen auf eine Vergleichbarkeit mit dem 2013 in Wien zur Landung bewegten Flugzeug mit Boliviens Präsident Evo Morales an Bord. Internationales Recht müsse tatsächlich gelten. Es könne nicht dazu führen, dass mutwillige Entscheidungen getroffen würden, noch dazu mit Waffengewalt – denn als solche sei die per Kampfjet erzwungene Landung zu werten.

Haftstrafen für Aktivisten und Journalisten

Protassewitsch selbst wurde offenbar zu einem Geständnis gezwungen, so sein Vater nach dem Ansehen des entsprechenden Videos. Die weißrussische Opposition geht davon aus, das der junge regimekritische Blogger gefoltert wurde. Protassewitsch war früher Chefredakteur des Telegram-Nachrichtenkanals Nexta. Über Nexta waren nach der von Betrugsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl im vergangenen August Hunderttausende Demonstranten mobilisiert worden.

Protassewitsch wird vorgeworfen, Massenproteste ausgelöst zu haben, worauf in Weißrussland bis zu 15 Jahre Haft stehen. In den vergangenen Monaten waren gegen Dutzende Aktivisten und Journalisten in dem Land Haftstrafen verhängt worden. Am Dienstag wurden sieben weitere Angeklagte im Zusammenhang mit den Massenprotesten zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt.

Opposition kündigt neue Proteste an

Im November hatten die weißrussischen Behörden offenbar Protassewitsch auf eine „Terroristenbeobachtungsliste“ gesetzt. Zuvor war es im Sommer zu zahlreichen Massenprotesten gegen die umstrittene Wiederwahl Lukaschenkos gekommen. Im Zuge des harten Einschreitens der Behörden und Sicherheitskräfte verloren diese jedoch an Schwung.

Am Mittwoch kündigte die weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja eine neue Phase der Antiregierungsproteste an. „Es gibt nichts mehr abzuwarten. Wir müssen den Terror ein für allemal stoppen“, sagte sie. Lukaschenko sagte, er rechne nicht mit einer Wiederholung der Massenproteste von 2020.

Tichanowskaja fordert mehr Druck auf Lukaschenko

Tichanowskaja appellierte am Mittwoch auch an das EU-Parlament, mehr Druck auf Lukaschenko auszuüben. „Die Botschaft an Belarus muss klar sein“, so Tichanowskaja in einer Rede vor dem Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments. Sie kritisierte die bisherige zögerliche Haltung der EU gegenüber Weißrussland (Belarus) und forderte umgehend eine internationalen Konferenz zu Lösung der Krise in ihrem Land.

„Die frühere EU-Strategie abzuwarten und zu schauen funktioniert einfach nicht mehr. Der neue Ansatz, langsam den Druck auf das Lukaschenko-Regime zu erhöhen, hat auch nicht dazu beigetragen, das Verhalten zu ändern, sondern hat einfach nur zu mehr Unterdrückung und Straffreiheit des Regimes geführt“, sagte die weißrussische Oppositionsführerin.

"Bedrohung für internationalen Frieden und Sicherheit

Mit dem jüngsten Vorfall der Zwangslandung einer Passagiermaschine zur Festnahme eines Regimegegners habe Lukaschenko eine Linie überschritten und sei „eine Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit geworden“. Daher sei die internationale Antwort darauf gerechtfertigt. „Aber die Weißrussen leben seit mehr als neun Monaten unter diesen Bedingungen,“, sagte Tichanowskaja. Deshalb dürfe sich die internationale Reaktion nicht auf den Ryanair-Vorfall beschränken, sondern müsse die Lage in Weißrussland als Ganzes im Blick haben, forderte sie.

Die EU müsse die Politik der Nichtanerkennung Lukaschenkos fortsetzen, so die im Exil in Litauen lebende Bürgerrechtlerin. „Meine Bitte ist: Sehen Sie von allen internationalen Investitionen“ in Weißrussland ab, so Tichanowskaja. Es sollten keine Produkte aus Weißrussland – vor allem Holzprodukte – unterstützt werden. Zudem solle die EU die Zivilgesellschaft und die Medien in ihrem Land unterstützen, forderte sie.