Eine Frau riecht an einer Mandarine
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Nach Covid-19

Den Sinn fürs Riechen wiederfinden

Nase taub, Welt nur noch grau: Manche Menschen sind noch viele Monate nach einer Covid-19-Erkrankung von fehlenden oder falschen Geruchseindrücken geplagt. Das schlägt auch aufs Gemüt. Doch es gibt Strategien für Küche und Teller, die helfen, dagegen anzukämpfen und den Geruchssinn wiederzufinden.

Der Duft einer Sellerieknolle ist unverkennbar: intensiv erdig, üppig, vanillig, mit schwefeligen Untertönen. Für die vor 15 Monaten von einer leichten CoV-Infektion genesene Nina M. riecht das Gemüse aber nach verwesendem Fleisch. Eine andere längst genesene Patientin berichtet von „Phantomgerüchen“ verfaulender Zwiebeln. Lisa S., die während ihrer leichten Erkrankung im November schwanger war und nun seit zwei Monaten Mutter ist, weiß nicht, wie ihr eigenes Baby riecht. Ihr Geruchssinn ist nach einem halben Jahr immer noch nicht vollständig zurückgekehrt.

Anosmie, die vollständige Abwesenheit des Geruchssinns, und Parosmie, die Fehlwahrnehmung von Gerüchen, sind mögliche längerfristige Symptome nach einer Covid-19-Erkrankung. „Besonders bitter ist es, wenn mir Leute sagen: ‚Ach, wenn’s weiter nichts ist’“, so S., die vier Tage nach Symptombeginn ihren Geschmacks- und Geruchssinn komplett verlor. Als Erstes war ihr Sinn fürs Salzige zurückgekehrt, dann für Säure – „bei Heidelbeerschokolade konnte ich die säuerliche Füllung schmecken, die Schokolade aber nicht“.

Training für taube Nasen

In den meisten Fällen regeneriert sich das Riechepithel, also die Riechschleimhaut, wieder vollständig. Doch die Zeit bis dahin ist belastend, denn der Geruchssinn ist eng mit dem limbischen System verbunden, das im Gehirn der Verarbeitung von Emotionen dient. Nicht selten leiden Personen, deren Geruchssinn gestört ist, an Ängsten und depressiven Verstimmungen. Üblicherweise warnen uns unangenehme Gerüche vor verdorbenem Essen, doch bei einer Parosmie ist ein Teil der etwa 300 unterschiedlichen Rezeptoren in der Riechschleimhaut gestört, wodurch es zur verzerrten Wahrnehmung kommt.

Die Heilung beschleunigen kann ein gezieltes Riechtraining, sagt Klaus Dürrschmid, Professor für Sensorik an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. „Man nimmt vier Gerüche, die klar unterscheidbar sind, meistens ein floraler Duft wie Rose, ein kühlender wie Minze oder Eukalyptus, ein fruchtiger Duft wie Orange, und dann noch etwas würziges, etwa Kaffee.“ Diese Stoffe sollen mehrmals täglich intensiv gerochen werden, „dabei soll man sich möglichst lebhaft versuchen zu erinnern, wie die Orange nicht nur aussieht, sondern auch, wie sie geschmeckt und gerochen hat“, so Dürrschmid.

Durch die starke Visualisierung hoffen Fachleute, dass die Erholung des Riechepithels rascher vorangeht und man wieder lernt, Gerüche richtig zu identifizieren. Das hat auch S. in den Monaten nach ihrer Erkrankung getan, doch es sind eher andere Reize, die für sie das Essen wieder interessant machten: „Gekochte Erbsen fühlten sich gut an, Nudeln waren einfach nur eine Masse in meinem Mund.“ Auch Chilischärfe ist eine Wahrnehmung, die weiterhin möglich war.

„Wir haben ja vier Nasenlöcher“

Geschmack sei nur ein kleiner Anteil dessen, wonach wir Nahrungsmittel beurteilen, so Dürrschmid. Die gustatorischen Sensationen, die von chemischen Rezeptoren auf der Zunge wahrgenommen werden – süß, sauer, salzig, bitter, umami und fett – sind lediglich ein Aspekt des multisensorischen Erlebnisses. Weiters gehören die trigeminalen Wahrnehmungen dazu, also Schärfe, Kühle, Prickeln, jene Reize, die durch den Nervus trigeminus in der Mundhöhle vermittelt und oft durch Gewürze ausgelöst werden. Dazu kommen Temperatur, Textur – ist das Lebensmittel knusprig, elastisch, cremig? – und, am wichtigsten, die retronasalen Riechwahrnehmungen.

„Aromastoffe, die im Mund in die Gasphase übergehen, steigen nach dem Schluckvorgang durch einen Verbindungsgang zwischen Mundhöhle und Nasenhöhle zum Riechepithel auf“, erläutert Dürrschmid: „In Wahrheit haben wir ja vier Nasenlöcher, nicht nur die nach vorne, sondern auch die nach hinten in den Rachenraum und damit in den Mundraum.“ Wenn diese essenzielle Riechwahrnehmung aufgrund einer Verletzung oder einer Erkrankung fehlt, werden die anderen Parameter um so wichtiger.

Kochen mit bestimmten Zutaten

Genau nach dieser Strategie arbeitet das britische Kochduo Ryan Riley und Kimberley Duke. Gemeinsam haben die beiden nach dem Verlust eines Elternteils durch Krebs begonnen, Kochkurse und -rezepte zu entwickeln, die Patientinnen und Patienten bei Anosmie oder Parosmie im Rahmen einer Chemotherapie helfen können, die sinnliche Lust am Essen wiederzufinden. Dieses Wissen kommt nun auch jenen zugute, die nach einer Covid-19-Erkrankung ihren Geruchssinn nicht oder nur teilweise wiedererlangen.

Immer wieder sind es ähnliche Dinge, die für Rekonvaleszente widerlich riechen, darunter Röstaromen, Zwiebeln, Knoblauch und Eier. Riley und Duke haben Rezepte entwickelt, die ohne diese Zutaten auskommen. Stattdessen setzen sie auf die bei einer Anosmie nach wie vor verfügbaren Wahrnehmungen und kochen viel mit Lebensmitteln, die reich an der Geschmacksrichtung Umami sind, wie Miso, Sojasauce, Parmesan und Schwammerln – alles Zutaten, die wie natürliche Geschmacksverstärker wirken.

„Man muss eben für Betroffene so kochen, dass man darauf setzt, was sie noch wahrnehmen können, ob das Grundgeschmacksarten sind oder trigeminale Reize“, so auch Dürrschmid. Das britische Duo setzt das wissenschaftlich untermauert um: Empfohlene Rezepte sind dann etwa ein vielfältig einsetzbares Dressing mit Miso, Senf, Chili, schwarzem Pfeffer, Ahornsirup und Essig, das voller trigeminaler Reize steckt, und etwa Apfel-Ingwer-Eislutscher mit bröseliger Chiligarnitur – damit Essen und Kochen auch unter erschwerten Umständen wieder Freude machen kann.