Pressekonferenz der Dokumentationsstelle Politischer Islam mit der Direktorin der Dokumentationsstelle Lisa Fellhofer, Integrationsministerin Susanne Raab, Vors. Mouhanad Khorchide (Wissenschaftlicher Beirat Dokumentationsstelle), Elham Manea (Mitglied Wissenschaftlicher Beirat Dokumentationsstelle) und Ednan Aslan (Universität Wien)
APA/Georg Hochmuth
Dokumentationsstelle Politischer Islam

„Kein Generalverdacht gegen Muslime“

Die vor einem Jahr gegründete Dokumentationsstelle Politischer Islam hat am Donnerstag einen ersten Überblick über islamische Vereine in Österreich vorgestellt. Das von der Regierung eingesetzte Projekt ist umstritten, Kritikerinnen und Kritiker orten die Gefahr der Stigmatisierung. Dem entgegnete Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP): Man hege keinen „Generalverdacht gegen Muslime“.

Vorgestellt wurde etwa eine „Islam-Landkarte“ mit muslimischen Organisationen und Kultusgemeinden in Österreich. Über 600 derartige Einrichtungen wurden darin erfasst, Daten (ausgewiesen werden etwa Namen von Vertreterinnen und Vertretern bis hin zu den genauen Adressen). Ziel sei es, einen Überblick über diese Vereine zu geben und jene zu identifizieren, die dem „politischen Islam“ zuzurechnen seien, hieß es bei der Präsentation.

Es sei aber keine Landkarte, die nur den „politischen Islam“ zeige, wie der Leiter des Forschungsprojekts der Universität Wien, Ednan Aslan, betonte: „Wir haben 623 Verbände, Organisationen und Moscheen erfasst und beschrieben.“ Dabei habe man sich zum Ziel gesetzt, „Leistungen“ und gleichsam „Schwächen“ sichtbar zu machen, darunter etwa auch Leistungen für die Integrationsarbeit.

„Gefährliche Tendenzen“ für Politik darstellen

Doch zeige man auch „gefährliche Tendenzen“ auf, so Aslan: „Wir wollen die Politik darauf aufmerksam machen.“ Schließlich leide auch die Mehrheit der Muslime letztlich unter radikalen Tendenzen. Die Landkarte gebe eine Kurzbeschreibung der jeweiligen Organisation, wer ihre Akteure sind, wer sie nach außen vertritt, welchem Dachverband sie zuzurechnen ist und ob Verbindungen ins Ausland bestehen, sagte der Wissenschaftler.

Pressekonferenz der Dokumentationsstelle Politischer Islam
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Bei der Pressekonferenz wurde die Startseite der neuen Website eingeblendet

Dossiers der größten Dachverbände islamischer Vereine

Neben der Karte habe die Dokumentationsstelle auch drei Dossiers der größten Dachverbände islamischer Vereine in Österreich erarbeitet, nämlich ATIB, Milli-Görüs und Graue Wölfe, erläuterte Mouhanad Khorchide, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Dokumentationsstelle. In diesen Papieren werden neben der Herkunft und dem ideologischen Verständnis auch die Strukturen und Netzwerke bzw. etwaige Verbindungen der Dachverbände ins Ausland analysiert.

Bei ATIB, dem mehr als 60 Moschee-Einrichtungen zuzuordnen sind, stelle sich etwa die Frage nach der Unabhängigkeit von der türkischen Politik. Und Milli-Görus sei der prominenteste Vertreter des „politischen Islam“ mit Nähe zur Muslimbruderschaft, so Khorchide. Milli-Görus ist laut dem Dossier in Österreich aktuell mit 48 Einrichtungen vertreten, 29 Moscheevereine sind den Grauen Wölfen zuzurechnen.

„Inhaltlicher Diskurs“ mit Vereinen

Im Zuge der Forschungsarbeit habe man alle Verbände und Vereine um Stellungnahmen gebeten und sie gefragt, wie sie sich einen Islam europäischer Prägung vorstellen, sagte Khorchide: „Damit wollen wir einen inhaltlichen Diskurs anstoßen.“ Auch Aslan brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass durch die Landkarte die öffentliche Debatte angestoßen und somit Reformbewegungen auch innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaft ermöglicht werden.

Unter „Generalverdacht“ stehe niemand, so Raab, doch dürfe man auch nicht „auf einem Auge blind sein“ und „gefährliche Entwicklungen des politischen Islam“ ignorieren. Diese Tendenzen seien nämlich „eine Gefahr für unser Wertesystem und unsere liberale Demokratie“. Die Politik müsse dafür sorgen, dass nicht in Hinterzimmern und Hinterhöfen derartige Ideologien „unter dem Deckmantel der Toleranz“ verbreitet werden.

Raab: Infos können auch für Behörden relevant sein

Die in der „Islam-Landkarte“ abgebildeten Informationen können laut Raab auch für Behörden relevant sein, etwa für Entscheidungen darüber, welcher Verein Partner für die Integration sein kann und welche Organisation Fördergeld bekommt. Auch für Sicherheitsbehörden könnten sie von Interesse sein, ebenso für die Muslime in Österreich selbst, so die Integrationsministerin.

Die Karte ist ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt der Universität Wien – doch gibt es hierbei neue Entwicklungen: so unteragte der Uni-Rektor die Verwendung des Uni-Wien-Logos. Projektleiter Aslan verwies auf einen bestehenden Vertrag mit der Universität. Das Projekt sei zwar mit dem Rektorat koordiniert, die Verwendung des Logos der Uni aber nicht explizit geregelt worden.

Aktuell gibt es mehr als 600 muslimische Einrichtungen, davon mit 230 die meisten in Wien, gefolgt von Niederösterreich (86) und Oberösterreich (78). Weil sich die Vereinslandschaft ständig ändert, werde das Projekt als ein lebendiges begriffen, das einem steten Diskurs und einer laufenden Überarbeitung unterliege, wie bei der Präsentation betont wurde.

IMÖ: „Eine Art Überwachungsmechanismus“

Der Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ), Tarafa Baghajati, übte scharfe Kritik an dem Projekt. Die Auflistung stelle die aufgelisteten Vereine und Organisationen sehr wohl unter einen „Generalverdacht“ und sei „eine Art Überwachungsmechanismus“, wie Baghajati gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal sagte. Es sei eine Abkehr vom System, das stets auf Dialog ausgelegt war.

Ein gefährliches Beispiel für den Generalverdacht gegen Muslime ortete auch die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ). Die „Islam-Landkarte“ stelle einen weiteren gefährlichen Tiefpunkt dar, so MJÖ-Vorsitzender Adis Serifovic. Unter dem Deckmantel von Transparenz und Dialogbereitschaft würden islamische Organisationen und Einrichtungen einem großen Sicherheitsrisiko ausgesetzt, so die Argumentation. Zudem kritisierte Serifovic die Arbeit der Dokumentationsstelle als „sehr intransparent“.

Lob von ÖVP – Kritik von Grünen

Begrüßt wurde die Überblickskarte hingegen von ÖVP-Integrationssprecher Ernst Gödl. Anhand dieser sollten nun auch problematische Netzwerke und Vereine aufgezeigt werden. Die Ereignisse im letzten Jahr hätten gezeigt, „wie notwendig der Kampf gegen die gefährliche Ideologie des politischen Islam für unsere Gesellschaft in Österreich ist“, so der ÖVP-Mandatar.

Indes kommt vom Koalitionspartner Kritik: „Dieses Projekt ist das Gegenteil davon, wie Integrationspolitik und Dialog auf Augenhöhe aussehen sollten“, hieß es in einer Aussendung des grünen Klubs. Muslimische Einrichtungen würden „vorweg mit islamistischen vermischt“. Die Stigmatisierung der muslimischen Communitys sei „massiv“, so Faika El-Nagashi, Integrationssprecherin der Grünen. Man sei „über dieses Projekt jedenfalls irritiert“ und halte es für „kontraproduktiv“, so Grünen-Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr.

NEOS ortet Ablenkungsmanöver

Kritik an dem Projekt übte auch NEOS: „Es scheint so, als würde die Volkspartei wieder ihre ,Ausländer-sind-böse’-Langspielplatte auflegen, um von den Korruptionsvorwürfen und von den Ermittlungen gegen Kanzler (Sebastian, Anm.) Kurz abzulenken“, teilte NEOS-Integrationssprecher Yannick Shetty per Aussendung mit. Hinter der Arbeit der Dokumentationsstelle verberge sich „parteipolitisches Kalkül“, „der Generalverdacht gegen Musliminnen und Muslime wird befeuert“, so Shetty.

Indes sah sich die FPÖ in ihren Warnungen vor den Gefahren der „überschießenden und zum überwiegenden Teil illegal stattfindenden Migration aus dem islamischen Kulturkreis“ bestätigt. Mit den über 600 Einrichtungen auf der „Islam-Landkarte“ sei sichtbar geworden, „wie stark der Islam und damit auch islamistische Strömungen“ in Österreich bereits verbreitet seien, so FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer. Zwar biete die Karte einen Gesamtüberblick, es fehlten aber inhaltlich zu den einzelnen Moscheen, Vereinen und Kultusgemeinden noch „sehr viele Informationen“.

IGGÖ: „Massives Sicherheitsrisiko“ für Muslime

Die „Landkarte“ erkläre Muslime zur Zielscheibe feindlicher Attacken und stelle alle in Österreich lebenden Muslime unter Generalverdacht, übten die Wiener SPÖ-Gemeinderatsmitglieder Aslihan Bozatemur, Safak Akcay und Omar Al-Rawi harsche Kritik. Sie sprachen von einem „weiteren Angriff der ÖVP auf die muslimische Glaubensgemeinschaft“.

Für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) zeugt die „Islamlandkarte“ nach dem Anti-Terror-Paket erneut von der „evidenten Absicht der Regierung, pauschal alle in Österreich lebenden Muslime und Musliminnen als potenzielle Gefahr zu stigmatisieren“. Die Kampagne befeuere den Rassismus und setze die muslimischen Bürger und Bürgerinnen „einem massiven Sicherheitsrisiko aus“, betonte IGGÖ-Präsident Ümit Vural.

Die seit Gründung der Dokumentationsstelle bestehende Befürchtung einer politischen Einflussnahme und Instrumentalisierung der Wissenschaft hat sich für ihn bestätigt. Vural kritisierte auch, dass die IGGÖ nie in das seit 2012 laufende Projekt – das teils stark veraltete und unrichtige Informationen enthalte – eingebunden gewesen und ihre jetzt eingeholte Stellungnahme nicht berücksichtigt worden sei: „Eine tatsächliche Dialogbereitschaft darf daher angezweifelt werden.“