Sicherheitskräfte am Rollfeld des Flughafens in Minsk
Reuters
Überflüge über Weißrussland

Moskau schießt sich auf EU ein

Moskau hat am Freitag vor einem Treffen zwischen dem weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Empfehlung der EU, den Luftraum über Weißrussland zu meiden, kritisiert. Russland verteidigte indes die Nichterteilung von Genehmigungen alternativer Flugrouten. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, machte am Freitagvormittag die EU für die Probleme verantwortlich.

„Was die Westler da gemacht haben – Flüge durch den Luftraum von Weißrussland aus politischen Gründen zu verbieten – ist eine völlige Verantwortungslosigkeit, die die Sicherheit der Passagiere in Gefahr bringt“, schrieb sie auf Facebook. Ungeachtet der Trägheit in anderen wichtigen Fragen könne die „feine europäische Politgesellschaft“ riesige Probleme für die Menschen schaffen, indem man innerhalb eines Tages die Routen für Hunderte Flüge sperre, erklärte die Diplomatin.

Russland will jedoch nach den Verwirrungen um einige nicht genehmigte Flüge aus der EU offenbar die Verbindungen nach Moskau weiter erlauben. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Freitag, es handle sich um „technische Probleme“, die ausgelöst worden seien durch die Empfehlung der EU, den Luftraum über Weißrussland zu umfliegen. „Die Luftfahrtbehörden arbeiten in diesen Tagen angestrengt daran, sie (die Probleme) zu beseitigen“, sagte Peskow weiter. Die französische Pilotengewerkschaft SNPL hatte zuvor beklagt, dass solche Anfragen normalerweise sofort akzeptiert würden. Allerdings habe in den letzten zwei Tagen Funkstille geherrscht.

Alexander Lukaschenko und Vladimir Putin
AP/EPA
Lukaschenko und Putin begrüßen einander – hier auf einem Bild von 2017

Angespanntes Verhältnis zu Moskau und Minsk

Die Moskauer Tageszeitung „Kommersant“ berichtete, die Flugstreichungen hätten auch bei russischen Fluggesellschaften für Verwirrung gesorgt. Die russische Luftfahrtbehörde Rosawiazija teilte mit, die Genehmigung von Alternativrouten dauere derzeit aufgrund der vielen Anfragen länger. Innerhalb der vergangenen 24 Stunden hätten aber insgesamt 53 Maschinen Russland auf neuen Routen anfliegen können.

Die Konfrontation zwischen Weißrussland und dem Westen spitzte sich zuletzt zu, weil Lukaschenko eine Ryanair-Passagiermaschine am Sonntag auf dem Weg von Griechenland nach Litauen mit einem Kampfjet vom Typ MiG-29 zur Landung gezwungen hatte, um einen seiner Gegner festnehmen zu lassen.

Eine angebliche Bombendrohung stellte sich bald als nicht existent heraus. Mehr als 100 Menschen waren an Bord. Der Oppositionsaktivist und Blogger Roman Protassewitsch kam nach der erzwungenen Landung in Haft. Mit ihm festgenommen wurde seine Freundin Sofia Sapega, die russische Staatsbürgerin ist. Die Flugzeugumleitung hatte international große Empörung ausgelöst. Die EU erließ wegen des Eingriffs in den Luftverkehr neue Sanktionen gegen Minsk und forderte die Freilassung von Protassewitsch, Sapega und Hunderten anderen politischen Gefangenen. Doch auch das Verhältnis zwischen der EU und Moskau ist angespannt.

AUA: Alternative Route nach Moskau

Am Mittwoch und Donnerstag hatten Air France und AUA ihre Direktflüge nach Moskau auf einer Weißrussland umgehenden Route offenbar wegen fehlender Genehmigung aus Moskau storniert. Am Freitag erteilte Russland der AUA jedoch die Genehmigung, ihre Moskau-Flüge auf einer alternativen Route, die offenbar nicht über weißrussischen Luftraum führt, wieder aufzunehmen. Als „wichtiges und richtiges Signal“ bewertete Luftfahrtstaatssekretär Magnus Brunner (ÖVP), dass die AUA die Genehmigung für den Flug am Freitag nach Moskau erhielt: „Es ist im österreichischen und russischen Interesse, dass alle Flüge nach und über Russland problemlos durchgeführt werden.“

Das österreichische Außenministeriums hatte zuvor Moskau wegen der fehlenden Genehmigung kritisiert und mitgeteilt, dass die russische Reaktion „absolut nicht nachvollziehbar“ sei. In einer Stellungnahme hieß es, Russland werde dringend aufgefordert, „den freien Luftverkehr zwischen Russland und Europa nicht künstlich zu behindern“.

Alexander Lukaschenko und Mikhail Mishustin
APA/AFP/Dmitry Astakhov
Lukaschenko traf am Freitag vor seinem Besuch bei Putin den russischen Regierungschef Michail Mischustin

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte am Freitag am Rande eines EU-Verteidigungsministertreffens in Lissabon laut dpa, er wisse noch nicht, ob es sich um Einzelfallentscheidungen oder um eine allgemeine neue Regelung der russischen Behörden handle. Es habe einige Flugzeuge gegeben, die nicht hätten landen können, und einige, die nicht hätten starten können. Man müsse nun erst einmal abwarten und die Lage beobachten, bevor man Maßnahmen ergreife. Auf die Frage, ob eine weitere Eskalation der Spannungen zwischen der EU und Russland drohe, sagte Borrell: „Die Gefahr einer Eskalation besteht immer.“

EU verspricht Weißrussland bei demokratischem Kurs Geld

Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) will die erzwungene Umleitung des Ryanair-Fluges untersuchen. Der Rat der UNO-Organisation betonte nach einer Sitzung am Donnerstag „die Wichtigkeit, die Fakten zu ermitteln und zu verstehen, ob ein ICAO-Mitgliedsstaat gegen internationales Luftverkehrsrecht verstoßen hat“.

Die EU-Kommission stellte der Bevölkerung in Weißrussland indes hohe Wirtschaftshilfe in Aussicht, wenn das durch den autokratischen Präsidenten regierte Land einen demokratischen Kurs einschlägt. Die Behörde stellte am Freitag ein drei Milliarden Euro schweres Paket aus Hilfen und Darlehen „für ein künftiges demokratisches Belarus“ vor.

Gefördert werden sollen Unternehmen, Verkehrsprojekte, Digitalisierung, klimafreundliche Energievorhaben und demokratische Reformen. Litauen wies indes am Freitag zwei weißrussische Diplomaten aus. Bei ihnen handle es sich um „Geheimdienstagenten“, begründete das Außenministerium in Vilnius den Schritt. Sie müssten wegen „Aktivitäten, die nicht mit dem Status eines Diplomaten vereinbar“ seien, ausreisen.

Weißrussland am Tropf Moskaus

Unter dem Druck der EU-Sanktionen und der wachsenden Konfrontation mit dem Westen trifft Lukaschenko am Freitag Putin. In Sotschi am Schwarzen Meer solle es um Fragen der weiteren bilateralen Entwicklung beider Länder gehen, teilte der Kreml mit. Es ist bereits das dritte Treffen Putins und Lukaschenkos in diesem Jahr.

Lukaschenko will, wie er sagte, mit Putin über die Folgen der Sanktionen der EU und der USA sprechen, die Weißrussland wirtschaftlich zu schaffen machen. Schon jetzt steht Minsk mit Milliardenbeträgen bei Moskau in der Kreide. Ungeachtet der wachsenden Kosten für Russland hatte Putin zuletzt immer wieder betont, Lukaschenko weiter zu unterstützen. Minsk hängt wirtschaftlich am Tropf Russlands. Lukaschenko ist auch politisch abhängig von Moskau.

Der Oppositionell Blogger Roman Protassewitsch
Reuters TV
Bild aus dem „Geständnis“-Video mit Protassewitsch

Protassewitsch durfte Anwältin sehen

Nach Berichten von Journalistenverbänden hat sich die Situation von Medienschaffenden in Weißrussland seit der von schweren Betrugsvorwürfen überschatteten Präsidentschaftswahl 2020 und den darauffolgenden Massenprotesten dramatisch verschlechtert. Reporter ohne Grenzen (RSF) reichte in Litauen wegen des Ryanair-Vorfalls Klage gegen Lukaschenko ein.

Der inhaftierte Oppositionelle Protassewitsch durfte indes am Donnerstag nach vier Tagen erstmals seine Anwältin sehen. „Alles ist gut, er ist guter Dinge, positiv und fröhlich“, sagte Inessa Olenskaja der unabhängigen Nachrichtenagentur Belapan am Donnerstagabend. Aus Verschwiegenheitsgründen könne sie nicht mehr sagen. Protassewitschs im polnischen Exil lebende Eltern hatten zuvor betont, in einem von der weißrussischen Staatspropaganda verbreiteten Video Spuren von Misshandlung im Gesicht ihres Sohnes entdeckt zu haben. Auch ein mutmaßliches Geständnis Protassewitschs über die Organisation von Massenunruhen hielten sie für erzwungen.