Screenshot von https://www.islam-landkarte.at/ zeigt einen Überblick über muslimische Einrichtungen in Österreich
Screenshot https://www.islam-landkarte.at/
Uni Wien entzieht Logo

Weiter scharfe Kritik an „Islam-Landkarte“

Die Kritik an der schon nach ihrer Vorstellung heftig kritisierten „Islam-Landkarte“ der regierungsnahen Dokumentationsstelle Politischer Islam reißt nicht ab. Nun distanzierte sich auch die Universität Wien von dem Projekt, indem sie die Verwendung ihres Logos auf der Website untersagte. Kritisiert wird auch, dass bei der Landkarte nicht differenziert wird, ob eine Einrichtung bedenklich ist oder nicht. Auch die Veröffentlichung von Privatadressen sorgt für Wirbel.

Der Leiter des Projekts, Ednan Aslan, konnte gegenüber der APA das Vorgehen der Uni Wien nicht nachvollziehen und verwies auf den Kooperationsvertrag mit der Uni. Ziel der online abrufbaren Landkarte ist laut Dokumentationsstelle, einen Überblick über muslimische Einrichtungen zu geben und jene zu identifizieren, die dem „politischen Islam“ zuzurechnen seien.

Allerdings äußerte der Rektor der Universität Wien, Heinz Engl, Probleme mit dem Projekt. Er distanzierte sich „insbesondere vom ‚Impressum‘, in dem zur Meldung von ‚Informationen zu einzelnen Vereinen oder Moscheen‘ aufgefordert wird“. Und weiter: „Da dort auch darauf hingewiesen wird, dass die Berichte und Informationen nicht für inhaltliche Positionen der Universität Wien stehen, habe ich die Verwendung des Logos der Universität Wien untersagt.“

Nicht die erste Kritik an Aslan

Projektleiter Aslan verwies auf einen bestehenden Vertrag mit der Universität. Das Projekt sei mit dem Rektorat koordiniert worden. Die Verwendung des Logos der Uni sei in dem unterzeichneten Vertrag aber nicht explizit geregelt. Laut Aslan ist die Verwendung des Logos aber ohnehin nicht entscheidend. Freitagmittag fand es sich nicht mehr auf der Startseite der „Islam-Landkarte“, auf den Subseiten war das Logo auch nicht mehr zu sehen. Stattdessen wurde der Hinweis „Ein Projekt der Universität Wien – Institut für islamisch-theologische Studien – Islamische Religionspädagogik“ platziert.

Es ist nicht der erste Konflikt Aslans mit der Uni Wien: Eine Studie zu islamischen Kindergärten hatte 2017 für viel Kritik gesorgt, es gab den Vorwurf methodischer Mängel. 2019 wurde der Religionspädagoge als Leiter des Instituts für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien abberufen.

Privatadressen rechtswidrig veröffentlicht?

Der Vorsitzende der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ), Adis Serifovic, kritisierte, dass auch Jugendvereine und Kinderorganisationen mit Privatadressen verzeichnet seien. Er ortete am Freitag im Ö1-Mittagsjournal ein „enormes Sicherheitsrisiko“ und befürchtete rassistische Anfeindungen und Übergriffe. Diese hätten ohnehin zuletzt deutlich zugenommen.

Im Integrationsministerium sah man kein Problem mit der Veröffentlichung der Adressen: Gegenüber Ö1 hieß es, diese seien aus dem Vereinsregister, dort könne man sie auch abrufen. Dem widersprach die Anwältin Maria Windhager in Ö1. Sammelabfragen seien nach Vereinsgesetz nicht zulässig. Sie ist sich sicher, dass das Persönlichkeitsrecht verletzt wurde und Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden könnten. Dass so schlampig gearbeitet worden sei, mache betroffen.

Khorchide verweist auf Dossiers

Mouhanad Khorchide, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Dokumentationsstelle, verteidigte im Ö1-Mittagsjournal die Landkarte. Er finde es sehr wichtig, muslimisches Leben sichtbar zu machen. Die Transparenz schaffe auch Vertrauen in der Bevölkerung. Die Kritik, dass die Landkarte zwischen möglicherweise problematischen und völlig unbedenklichen Einrichtungen nicht unterscheide, konnte Khorchide nicht nachvollziehen: Man müsse einfach die Dossiers und Informationen zu den Einrichtungen lesen. All jenen, die mit Privatadressen verzeichnet sind, riet er, sich bei Aslan zu melden, um diese löschen zu lassen. Der Wissenschaftler erhielt indes, wie die „Krone“ (Onlineausgabe) berichtete, Drohungen per Video – offenbar aus dem salafistischen Milieu in Deutschland.

Grüne distanzieren sich

Schon am Donnerstag war laute Kritik geäußert worden: Von den Grünen hieß es in einer Aussendung, ihre Regierungsmitglieder oder ihr Klub seien weder eingebunden noch im Vorfeld informiert gewesen. Man sei „irritiert“ über das Projekt und halte es für kontraproduktiv. Im Wissen darum, wie viele rechtsextreme Gefährder es in Österreich gibt, und um die steigenden Angriffe auf muslimische Gruppen nannte Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr die Vorgangsweise unverantwortlich.

Die Stigmatisierung der muslimischen Gemeinden durch diese Liste sei „massiv“. Um im Sinn eines besseren Zusammenlebens echten Dialog zu ermöglichen, kündigte Integrationssprecherin Faika El-Nagashi einen eigenen runden Tisch mit den Communitys und Experten an.

IGGÖ beklagt fehlende Einbindung

Für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) zeugt die „Islam-Landkarte“ nach dem Anti-Terror-Paket erneut von der „evidenten Absicht der Regierung, pauschal alle in Österreich lebenden Muslime und Musliminnen als potenzielle Gefahr zu stigmatisieren“. Die Kampagne befeuere den Rassismus und setze die muslimischen Bürger „einem massiven Sicherheitsrisiko aus“, sagte IGGÖ-Präsident Ümit Vural in einer Aussendung.

Die seit Gründung der Dokumentationsstelle bestehende Befürchtung einer politischen Einflussnahme und Instrumentalisierung der Wissenschaft hat sich für ihn bestätigt. Vural kritisierte auch, dass die IGGÖ nie in das seit 2012 laufende Projekt der Landkarte – das teils stark veraltete und unrichtige Informationen enthalte – eingebunden gewesen und ihre jetzt eingeholte Stellungnahme nicht berücksichtigt worden sei: „Eine tatsächliche Dialogbereitschaft darf daher angezweifelt werden.“

SPÖ und NEOS mit scharfer Kritik

Die „Landkarte“ erkläre Muslime zur Zielscheibe feindlicher Attacken und stelle alle in Österreich lebenden Muslime unter Generalverdacht, übten die Wiener SPÖ-Gemeinderatsmitglieder Aslihan Bozatemur, Safak Akcay und Omar Al-Rawi harsche Kritik. Sie sprachen von einem „weiteren Angriff der ÖVP auf die muslimische Glaubensgemeinschaft“. Mit der „Landkarte“ würden sensible Daten wie Adressen und Namen öffentlich gemacht. „Das birgt eine große Gefahr für Institutionen, Jugendvereine, Bildungseinrichtungen“, warnte Al-Rawi. Eine mögliche Gefährdung von Muslimen in Österreich befürchtet auch die Organisation SOS Mitmensch.

NEOS erachtet die „Islam-Landkarte“ als das „nächste türkise Ablenkungsmanöver“ angesichts der Korruptionsvorwürfe und Ermittlungen gegen Kanzler Sebastian Kurz. Für NEOS-Integrationssprecher Yannick Shetty hat sich die Befürchtung bestätigt, „dass parteipolitisches Kalkül hinter der Arbeit der Dokumentationsstelle steckt und der Generalverdacht gegen Musliminnen und Muslime befeuert wird“. Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) teilte er mit: Ihr Amt sei „nicht dafür da, eine ganze Religionsgruppe herauszupicken, unter Generalverdacht zu stellen und den Rechtsextremen in die Hände zu spielen, um von den Machenschaften der ÖVP abzulenken und die ‚türkise Familie‘ zu schützen“.

ÖVP zufrieden, FPÖ sieht sich bestätigt

Die FPÖ sah sich hingegen in ihren Warnungen vor den Gefahren der „überschießenden und zum überwiegenden Teil illegal stattfindenden Migration aus dem islamischen Kulturkreis“ bestätigt. Mit den über 600 Einrichtungen auf der „Islam-Landkarte“ sei sichtbar geworden, „wie stark der Islam und damit auch islamistische Strömungen“ in Österreich bereits verbreitet seien, so FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer. Er begrüßte, dass die Karte einen Gesamtüberblick biete. Ihm fehlten aber inhaltlich zu den einzelnen Moscheen, Vereinen und Kultusgemeinden noch „sehr viele Informationen“.

Begrüßt wurde die Karte auch von ÖVP-Integrationssprecher Ernst Gödl. Anhand dieser sollten nun auch problematische Netzwerke und Vereine aufgezeigt werden. Die Ereignisse im letzten Jahr hätten gezeigt, wie notwendig der Kampf gegen die gefährliche Ideologie des „politischen Islam“ sei, so der ÖVP-Mandatar.

Kurz und Raab verteidigen Projekt

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wurde bei der Öffnungspressekonferenz ebenfalls auf das Thema angesprochen. Er meinte, das Projekt bringe Transparenz, und diese solle und werde einen Beitrag zum positiven Miteinander leisten.

Auch Raab verteidigte das Projekt. „Es stehen hier namhafte Wissenschafter dahinter, die hier umfassend recherchieren und gewissenhaft arbeiten“, hieß es in einem schriftlichen Statement und weiter: „Dafür braucht es auch Mut, denn die Widerstände und Anfeindungen reichen bis zu Morddrohungen aus dem salafistischen Milieu.“ Die Ministerin sagte, sie wolle „dennoch den Kampf unbeirrt fortführen, denn es geht darum, Fakten, Verbindungen und Einflüsse aus dem Ausland offenzulegen“.

Kritik aus der Evangelischen Kirche

Die evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka kritisierte am Freitag das Projekt. Er forderte Raab auf, das Projekt vom Netz zu nehmen, und meinte, die Religionsagenden wären im Bildungsministerium besser aufgehoben. Auch die Evangelische Kirche würde sich „eine Landkarte verbieten, in der ihre Einrichtungen, oder gar Einrichtungen, die mit ihr nichts zu tun haben, vom Staat in die Öffentlichkeit gebracht werden“, sagte Chalupka im Evangelischen Pressedienst. „Das Integrationsministerium findet, so scheint es, nicht die richtige Haltung zur Religionsfreiheit“, so der Bischof.

623 Einrichtungen eingezeichnet

In der Landkarte mit muslimischen Organisationen und Kultusgemeinden in Österreich wurden über 600 Einrichtungen erfasst. Ziel sei es, einen Überblick zu geben und jene zu identifizieren, die dem „politischen Islam“ zuzurechnen seien, hieß es bei der Präsentation.

Es sei aber keine Landkarte, die nur den „politischen Islam“ zeigt, wie Aslan sagte: „Wir haben 623 Verbände, Organisationen und Moscheen erfasst und beschrieben.“ Dabei habe man sich zum Ziel gesetzt, Schwächen und Stärken sichtbar zu machen, darunter etwa auch Leistungen für die Integrationsarbeit.

Pressekonferenz der Dokumentationsstelle Politischer Islam
APA/Georg Hochmuth
Bei der Pressekonferenz wurde die Startseite der neuen Website eingeblendet

Auf der anderen Seite zeige man „gefährliche Tendenzen“ auf, so Aslan: „Wir wollen die Politik darauf aufmerksam machen.“ Schließlich leide auch die Mehrheit der Muslime letztlich unter radikalen Tendenzen. Die Landkarte gebe eine Kurzbeschreibung der jeweiligen Organisation, wer ihre Akteure sind, wer sie nach außen vertritt, welchem Dachverband sie zuzurechnen ist und ob Verbindungen ins Ausland bestehen, so der Wissenschaftler, der eine Erstversion der Landkarte schon 2012 präsentiert hatte, wie der „Standard“ erinnerte.

Dossiers über drei Gruppierungen

Neben der Karte habe die Dokumentationsstelle auch drei Dossiers der größten Dachverbände islamischer Vereine in Österreich erarbeitet, nämlich ATIB, Milli-Görüs und Graue Wölfe, so Khorchide. In diesen Papieren werden neben der Herkunft und dem ideologischen Verständnis auch die Strukturen und Netzwerke bzw. etwaige Verbindungen ins Ausland der Dachverbände analysiert.

Bei ATIB, dem mehr als 60 Moschee-Einrichtungen hierzulande zuzuordnen sind, stelle sich etwa die Frage nach der Unabhängigkeit von der türkischen Politik. Und Milli-Görus sei der prominenteste Vertreter des „politischen Islam“ mit Nähe zur Muslimbruderschaft, so Khorchide. Milli-Görus ist laut dem Dossier in Österreich aktuell mit 48 Einrichtungen vertreten, 29 Moscheevereine sind den Grauen Wölfen zuzurechnen. Dabei gelten die Grauen Wölfe nicht unbedingt als islamische Gruppe, sondern vielmehr als nationalistische und rechtextreme Gruppierung.

Im Zuge der Forschungsarbeit habe man alle Verbände und Vereine um Stellungnahmen gebeten und sie gefragt, wie sie sich einen Islam europäischer Prägung vorstellen, so Khorchide: „Damit wollen wir einen inhaltlichen Diskurs anstoßen.“ Auch Aslan hofft, dass durch die Landkarte die öffentliche Debatte angestoßen und somit Reformbewegungen auch innerhalb der islamische Glaubensgemeinschaft ermöglicht werden.

Raab: Kein Generalverdacht

Keinesfalls wolle man alle Muslime damit unter „Generalverdacht“ stellen, sagte Raab. Doch dürfe man auch nicht „auf einem Auge blind sein“ und „gefährliche Entwicklungen des ‚politischen Islam‘“ ignorieren. Diese Tendenzen seien nämlich eine Gefahr für „unser Wertesystem und unsere liberale Demokratie“. Die Politik müsse dafür sorgen, dass nicht in Hinterzimmern und Hinterhöfen derartige Ideologien „unter dem Deckmantel der Toleranz“ verbreitet werden.

Die in der Karte abgebildeten Informationen können laut Raab auch für Behörden relevant sein. Etwa für Entscheidungen darüber, welcher Verein Partner für die Integration sein kann und welche Organisation Fördergeld bekommt. Auch für Sicherheitsbehörden könne sie von Interesse ein, ebenso für die Muslime in Österreich selbst, so die Integrationsministerin.