Zikade in Maryland, USA
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Invasion in den USA

Kulinarische Lösung für Zikadenplage

Sie sind laut, sie sind viele und sie wollen wirklich nur das eine: Im Osten der USA hat eine Invasion von Zikaden begonnen – ein Schauspiel, das sich nur alle 17 Jahre wiederholt. Mehrere Milliarden Insekten sorgen ein paar Wochen lang für einen Ausnahmezustand. Gefährlich sind sie nicht, auch haben sie gar keine Zeit, etwas zu fressen. Aber bei der Partnersuche macht das Zirpen der Männchen einen Höllenlärm von bis zu über 90 Dezibel. Doch es gibt ein Rezept gegen die Tiere: aufessen.

Das Mysteriöseste an den Zikaden ist ihr plötzliches Auftreten. 17 Jahre leben sie in der Erde, ehe sie ans Tageslicht kommen: Sobald die Bodentemperatur rund 18 Grad erreicht, schlüpfen Milliarden Tiere und sorgen vier bis sechs Wochen lang für viel Lärm.

Wie durch eine innere Uhr gesteuert, kommen die Puppen an die Luft, wenn die Erde wärmer wird. Die Haut, die sie im Untergrund geschützt hat, fällt ab. Das ausgewachsene Insekt ist zwei, drei Zentimeter lang, geflügelt und hat die charakteristischen roten Augen. Die Tiere lassen sich auf Bäumen und Sträuchern nieder und haben nur noch eines im Sinn: Fortpflanzung.

Summen, Surren, Zirpen

Die Männchen suchen unverzüglich eine Partnerin und signalisieren ihr Interesse durch den eigentümlichen Gesang, der als Summen, Surren oder Zirpen beschrieben wird. Und die Masse lässt sie dann ziemlich laut werden: 2004 maß der Insektenforscher Gene Kritsky Zikaden mit einer Lautstärke von 97 Dezibel. Immerhin muss man sich nicht um einen gestörten Schlaf sorgen: Nach Sonnenuntergang haben auch die Insekten Ruhepause.

Zikaden in einer Wiese
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Die Zikaden sind an den roten Augen leicht erkennbar

Ist für die Fortpflanzung gesorgt, beginnt das Massensterben. Vorher machen die Weibchen aber noch kleine Einschnitte in Baumzweige und legen darin ihre Eier ab, jeweils bis zu 600 Eier an bis zu 50 verschiedenen Stellen. Die aus den Eiern entstandenen Larven lassen sich dann auf den Boden fallen und graben sich ins Erdreich ein.

Heurige Brut ist die größte

Die Zikadengattung der Magicicada gibt es nur in den östlichen Teilen der USA, die Unterarten unterscheiden sich vor allem durch ihren Lebenszyklus: Neben den 17-jährigen Zikaden gibt es auch solche, die alle 13 Jahre auftauchen. Zudem werden sie nach mit lateinischen Nummern bezeichneten Bruten unterschieden, je nachdem, wann und wo sie beheimatet sind.

Heuer ist es Brut X („Great Eastern Brood“), die die größte Population darstellt und zuletzt 2004 an die Oberfläche kam. Sie ist in Delaware, Illinois, Georgia, Indiana, New York, Kentucky, Maryland, North Carolina, New Jersey, Ohio, Pennsylvania, Tennessee, Virginia, West Virginia, Michigan und Washington DC zu beobachten. Brut II („East Coast Brood“) gilt als Population mit den zweitmeisten Tieren, die tauchte zuletzt 2013 auf.

Das Geheimnis der Primzahlen

Dass ausgerechnet 13 und 17 Jahre als Reproduktionszyklus existieren, ist freilich kein Zufall, sondern eine Folge der Selektion: Die Populationen von Jäger und Beute korrelieren in der Natur. In Jahren, in denen die Zahl der natürlichen Feinde groß ist, überleben weniger Tiere. Und da stellten sich die Primzahlen 13 und 17 als Lebenszeit unter der Erde offenbar als besonders erfolgreich heraus. Für Insektenforscherinnen und -forscher sind die wenigen Wochen ihres Erscheinens quasi ein Jackpot: Noch viel an den Singzikaden ist unerforscht, wie der Sender NPR berichtet.

Kaum Schäden – aber lästig

Schäden richten die Insekten kaum an: Anders als bei einem Heuschreckenschwarm ist der Großteil der Zikaden ausschließlich mit der Fortpflanzung beschäftigt und nimmt während dieser Zeit keine Nahrung auf. Auch stechen oder beißen können sie nicht.

Zikadenschwarm an einem Baum
Reuters/Cheney Orr
Gegen ihre Fressfeinde haben die Insekten nur eine Strategie: Sie sind viele

Allerdings sind sie abgesehen von ihrer Lautstärke enorm lästig: Bei den letzten großen Invasionen bewaffneten sich Einwohner mit Tennisschlägern, um die Tiere abwehren zu können. Viele flüchteten allerdings in die Häuser. Veranstaltungen im Freien wurden weitgehend abgesagt. Zudem ist es um die Flugkünste der Insekten nicht gut bestellt, deshalb sind Kollisionen programmiert. Und besonders lästig wird es, wenn sie Menschen mit Bäumen verwechseln, auch das kommt vor.

Die „Shrimps des Landes“

Ein Festmahl bietet die Invasion anderen Tieren: Vögel, Eichhörnchen, Waschbären und Mäuse schlagen sich die Bäuche voll – und genau dem Beispiel sollten auch Menschen folgen, meinen Expertinnen und Experten: Shrimps, Krabben und Hummer würde man ja auch essen – und Zikaden seien quasi die Shrimps des Landes, sagt Insektenforscherin Isa Betancourt.

Zikaden werden zu Nahrungsmitteln verarbeitet
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Gewaschene Zikaden vor der Zubereitung

Mit viel Protein und wenig Fett seien sie äußert nahrhaft, meint auch Jessica Fanzo, Professorin an der Johns Hopkins University gegenüber NPR. Am besten eignen würden sich die frisch aus dem Boden geschlüpften Nymphen, die noch keine Flügel ausgebildet haben.

Eine Frage der Gewohnheit

Während der vergangenen Invasionen stießen die kulinarischen Lösungsvorschläge noch auf wenig Gegenliebe – auch wenn etwa das „Smithsonian Magazine“ schon vor einigen Jahren Rezeptsammlungen präsentierte und der Insektenforscher Mike Raupp von der University of Maryland schon 2004 gemeinsam mit seinen Studierenden gar ein eigenes Kochbuch veröffentlichte. Heuer sorgte der Koch Bun Lai mit einer Variation von Zikadensushi für Aufmerksamkeit – mehr dazu in oe3.ORF.at.

Zikaden auf Cookies
AP/Carolyn Kaster
Cookies mit Insekt

Fanzo meint, es sei eine Frage der Kultur und Gewohnheit, Insekten zu essen. Auch die Welternährungsorganisation (FAO) predigt schon lange, dass mit der Aufnahme von Insekten in den Speiseplan viele Probleme gelindert werden könnten. Und mit steigendem Umwelt– und Klimabewusstsein sowie dem Wissen, wie die Fleischproduktion zur Erderwärmung beiträgt, gibt es mittlerweile wohl mehr Bereitschaft, sich auf das Experiment einzulassen und Insekten zu essen.