Benjamin Netanyahu
APA/AFP/Sebastian Scheiner
Israel

Netanjahu vor dem Aus

Eine Ära geht in den nächsten Tagen wohl zu Ende: Die Gegenspieler von Langzeitpremier Benjamin Netanjahu wollen eine Koalition bilden. Dazu bekannte sich Sonntagabend auch der Chef der ultrarechten Partei Jamina, Naftali Bennett. Das Bündnis, das Links-, Mitte- und Rechtsparteien vereinen würde, würde Israels Innenpolitik neu sortieren. Inhaltlich verbindet die Koalition wenig außer die Gegnerschaft zu Netanjahu.

Bennett, der für die Mehrheit in der Knesset von mehr als 60 Mandaten entscheidend ist, sagte am Sonntagabend im Fernsehen, dass er alles unternehmen werde, um ein Bündnis aus rechtsorientierten, gemäßigten und linksgerichteten Parteien mit dem Liberalen Jair Lapid zu schließen. Damit wolle man verhindern, dass Netanjahu erneut an die Macht kommt. Der 71-Jährige regiert seit 2009 und ist damit der am längsten amtierende Ministerpräsident Israels.

Den Plänen zufolge soll zunächst Bennett – dessen Jamina über lediglich sechs Mandate verfügt – das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen und später an Lapid übergeben. Israel ist innenpolitisch seit Jahren gelähmt und tief gespalten. Binnen zwei Jahren gab es vier Parlamentswahlen, die alle bisher die innenpolitische Lähmung nicht überwinden konnten.

Yair Lapid
APA/AFP/Jack Guez
Jair Lapid steht kurz davor, sein jahrelanges Ziel zu erreichen: die Entmachtung von Netanjahu

Rotierend regieren

Bereits die letzte Koalition – zwischen Netanjahu und Zentrumspolitiker Benni Ganz – hatte wegen des tiefen Misstrauens zwischen den Politikern ein Rotationsprinzip an der Regierungsspitze vorgesehen. Netanjahu hatte aber einen Wechsel von ihm zu Ganz taktisch unterlaufen und stattdessen die Entscheidung in der vierten Wahl gesucht, freilich vergebens.

Lapid, der mit der Regierungsbildung beauftragt ist und dessen liberale Jesch Atid nach Netanjahus Likud zweitstärkste Partei ist, machte offenbar weitere weitgehende Zugeständnisse an Bennett. So sollen koalitionsintern die Stimmen gewichtet werden – es zählt also nicht die Zahl der Mandate, da in diesem Fall Bennetts kleine Jamina-Partei immer unterlegen wäre.

Lapid hat bis Mittwoch Regierungsbildungauftrag

Die Frist für Lapid läuft am Mittwoch ab. Zuvor hatte Netanjahu wochenlang vergeblich versucht, innerhalb der gesetzlich gesetzten Frist eine Regierung zu bilden. Die Bündnispläne von Netanjahus Gegenspielern waren Medienberichten zufolge bereits so gut wie abgemacht, als der Nahost-Konflikt zwischen Israel und der radikalislamischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen am 10. Mai wieder voll ausbrach. Angesichts der Gewalt brach Bennett die Gespräche ab und erklärte, eine breitere Einheitsregierung anzustreben. Das hatte die Chancen von Netanjahu auf den Machterhalt wieder erhöht.

Netanjahus Gegenvorschlag abgelehnt

Dieser verurteilte Bennetts Ankündigung als „Betrug des Jahrhunderts“. Netanjahu machte am Sonntag einen Gegenvorschlag, um die Regierungsgeschäfte doch weiterführen zu können. Er plädierte für ein Bündnis mit drei rotierenden Ministerpräsidenten. Er wolle zunächst einem anderen rechtsgerichteten Politiker, Gideon Saar, Platz machen, sagte Netanjahu. Saar hatte sich von Netanjahus Likud abgespalten.

Saar solle die ersten 15 Monate als Ministerpräsident regieren, dann würde er selber für zwei Jahre übernehmen. Jamina-Chef Bennett solle dann für die restliche Zeit der Legislaturperiode die Regierungsgeschäfte führen. Saar lehnte den Vorschlag umgehend ab.

Kaum noch Möglichkeiten für Netanjahu

Netanjahu, dessen Likud die stärkste Partei ist, hat nun kaum noch Möglichkeiten, seine Ablöse zu verhindern. Einzige Chance wäre, zwei Abgeordnete der künftigen Koalition zum Überlaufen zu bewegen. Das gilt aber als unwahrscheinlich, da Bennetts Jamina dessen Entscheidung am Sonntag einstimmig unterstützte. Allerdings erschien einer der Abgeordneten nicht zur Sitzung. Trotzdem: Sollte Bennett – der weit rechts von Netanjahu steht – nun nochmals umschwenken, würde das sein Image wohl nachhaltig beschädigen.

Zudem dürfte in der Anti-Netanjahu-Front praktisch alles fixiert sein. Auch darüber, wer welchen Minister- und Ministerinnenposten erhalten soll, wird in israelischen Medien bereits konkret spekuliert. Ganz würde laut den Berichten Verteidigungsminister bleiben und der Rechtspolitiker Avigdor Lieberman Finanzminister werden. Auch wirtschaftspolitisch – das Land wird derzeit ohne ordentliches Budget regiert – ist unklar, wie die höchst unterschiedlichen Positionen – von sozialdemokratischen Linksparteien bis zu thatcheristisch angehauchten neoliberalen Positionen – unter einen Hut gebracht werden könnten.

Am Mittwoch – dem Tag, an dem Lapids Mandat für eine Regierungsbildung ausläuft – wird in der Knesset auch ein neuer Staatspräsident gewählt. Dieser entscheidet darüber, wer den Regierungsbildungsauftrag erhält. Allerdings bleibt der derzeitige Amtsinhaber Reuven Rivlin noch bis Mitte Juli im Amt.

Netanjahu wegen Bestechung und Korruption angeklagt

Sollte am Ende keine neue Regierung zustande kommen, dürfte es Neuwahlen geben – die fünften binnen zwei Jahren. Netanjahu ist der erste amtierende Regierungschef des Landes, der wegen Bestechung und Machtmissbrauchs angeklagt ist. Er weist die Vorwürfe zurück und bezeichnet sich als Opfer einer „Hexenjagd“. Anfang April musste er wegen Korruptionsverdachts vor Gericht erscheinen.