Angela Merkel
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US-dänische Spionage

„Karten müssen auf den Tisch“

Der US-Geheimdienst NSA soll jahrelang europäische Spitzenpolitikerinnen und -politiker – darunter Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel – bespitzelt haben. Hilfe erhielten die US-Spione von Dänemark, berichteten mehrere Medien am Montag. Zahlreiche Länder fordern von Kopenhagen Aufklärung, darunter Deutschland und Frankreich. „Die Karten müssen auf den Tisch gelegt werden“, sagte Schwedens Verteidigungsminister Peter Hulqvist.

Am Montag hatten der Dänische Rundfunk (DR), die „Süddeutsche Zeitung“ und andere Medien publik gemacht, dass die National Security Agency (NSA) Politikerinnen und Politiker aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Schweden und Norwegen abhörte. Prominentestes Opfer des Lauschangriffs war die deutsche Kanzlerin Merkel.

Bei ihrer Abhöraktion erhielt die NSA laut den Medienberichten Hilfe aus Dänemark. Der dänische Auslands- und Militärgeheimdienst Forsvarets Efterretningstjeneste (FE) habe dem Geheimdienst die Nutzung der Abhörstation Sandagergardan in der Nähe von Kopenhagen ermöglicht, berichtete der DR.

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Deutschlands Kanzlerin Merkel: Die NSA hatte offenbar Zugriff auf SMS und Nachrichten aus Messengerdiensten

Laut den gemeinsamen Recherchen der Sender und Zeitungen konnte der US-Geheimdienst in den Jahren 2012 bis 2014 dort einen wichtigen Internetknotenpunkt verschiedener Unterseekabel anzapfen. Dem DR zufolge hatte die NSA Zugriff auf SMS, Telefonanrufe und Internetaktivitäten, darunter Recherchen, Chats und Messengerdienste.

Untersuchungskommission in Dänemark eingesetzt

Den Recherchen zufolge wurde die Kooperation der NSA und des dänischen Geheimdienstes bei der Überwachung europäischer Nachbarländer 2015 in einem internen Bericht des FE dokumentiert. Die dänische Verteidigungsministerin Trine Bramsen, die seit Juni 2019 im Amt ist, wurde laut DR im August 2020 darüber informiert. Sie sagte dem Sender, „das systematische Abhören von engen Verbündeten“ sei inakzeptabel.

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Dänisches Parlament: Ein Untersuchungsausschuss soll die Vorwürfe klären

Die dänische Regierung habe daraufhin eine Untersuchungskommission zur Klärung der Vorwürfe eingesetzt und die Führung des Militärgeheimdienstes suspendiert, hieß es. Unklar sei allerdings, ob die NSA-Spionage gegen die Nachbarländer auch Gegenstand dieser Untersuchungen ist.

Der Skandal wirft ein neues Licht auf die im August 2020 erfolgte Entlassung von FE-Chef Lars Findsen und drei weiteren Agenten durch Bramsen. Der genaue Grund für deren Entlassung wurde nie öffentlich gemacht. Die Regierung lastete ihnen an, „wesentliche und entscheidende Informationen“ zurückgehalten zu haben. Dem Dienst wurde außerdem vorgeworfen, sich „unbefugt“ Informationen über dänische Staatsbürger zu beschaffen.

Macron: „Inakzeptabel“ – Merkel will Aufklärung

Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderten Aufklärung durch die USA und Dänemark. Spionage zwischen Verbündeten sei „inakzeptabel“, sagte Macron am Montag nach dem deutsch-französischen Ministerrat in einer Videopressekonferenz. Man erwarte „vollständige Offenheit und Klärung des Sachverhalts von unseren dänischen und amerikanischen Partnern“.

Merkel sagte, sie könne sich Macrons Worten „nur anschließen“. An der Haltung der Bundesregierung zu den NSA-Vorgängen habe sich nichts geändert. „Das, was damals richtig war, gilt auch heute.“ Damit spielte die Kanzlerin offensichtlich auf ihre Aussage beim Bekanntwerden der NSA-Affäre vor einigen Jahren an. Damals hatte sie gesagt: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“

Die deutsche Kanzlerin betonte jetzt, es habe sie „beruhigt“, dass auch die dänische Regierung sehr klar gesagt habe, was sie von diesen Dingen halte. „Und insofern sehe ich eine gute Grundlage, neben der Aufklärung des Sachverhalts auch wirklich zu vertrauensvollen Beziehungen zu kommen“, sagte Merkel.

„Extrem gravierend“

Frankreichs Europaminister Clement Beaune hatte die Vorwürfe im Radiosender France Info zuvor als „extrem gravierend“ bezeichnet. Sollten sie zutreffen, werde es „Konsequenzen für die Zusammenarbeit haben“, drohte Beaune. „Wir müssen sehen, ob die Dänen als unsere EU-Partner Fehler in der Zusammenarbeit mit den US-Diensten gemacht haben“, sagte Beaune. Zwischen Verbündeten müsse es „Vertrauen“ geben.

Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der ebenfalls Opfer des Lauschangriffs wurde, sagte ebenfalls, er habe von den Abhöraktionen aus Dänemark bisher nichts gewusst. Ins Visier geriet auch der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der von einem „politischen Skandal“ sprach.

Schweden und Norwegen fordern Erklärung

Auch die Regierungen Schwedens und Norwegens forderten eine Erklärung von Dänemark. Schwedens und Norwegens Verteidigungsminister Peter Hultqvist und Frank Bakke-Jensen sprachen laut eigener Angabe bereits vergangene Woche mit ihrer dänischen Amtskollegin Bramsen über die Angelegenheit. Man nehme die Behauptungen sehr ernst, sagte der norwegische Verteidigungsminister im norwegischen Rundfunk NRK.

US-Spionage mit dänischer Hilfe

Medienberichten zufolge hat der dänische Geheimdienst die NSA dabei unterstützt, die deutsche Kanzlerin Merkel und weitere europäische Spitzenpolitiker zwischen 2012 und 2014 abzuhören.

Snowden fordert auch von Biden Aufklärung

Aufgeflogen waren die Überwachungspraktiken der NSA bereits 2013, als der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden Tausende streng geheime Dokumente veröffentlichte. Die Enthüllungen lösten weltweit Empörung aus. Unter anderem stand der Vorwurf im Raum, dass die NSA Merkels Handy angezapft habe. Die Ermittlungen dazu stellte die deutsche Bundesanwaltschaft allerdings 2015 ein.

Auf Twitter forderte Snowden auch Aufklärung von der US-Regierung, konkret von US-Präsident Joe Biden. Die Abhöraktion fiel in die Amtszeit von US-Präsident Barack Obama, Biden war damals Vizepräsident.

Laut Snowden wurden auch massenhaft österreichische Ziele von der NSA ausspioniert. Das führte zu Friktionen im Verhältnis zwischen Wien und Washington. Die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) erstatte 2015 Anzeige gegen unbekannt nach Berichten über NSA-Spionage in Österreich. Zwei Jahre zuvor hatten die USA zugeben müssen, dass im „Krieg gegen den Terror“ nach den Al-Kaida-Anschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 auch Daten österreichischer Internetnutzerinnen und -nutzer abgesaugt wurden.

Nicht die erste Affäre

Dänemark ist im Zusammenhang mit US-Geheimdienstaffären kein unbeschriebenes Blatt. 2008 kam heraus, dass das zu Dänemark gehörende Grönland die vermutlich wichtigste Drehscheibe für die berüchtigten CIA-Gefangenentransporte aus verschiedenen Ländern in das US-Gefangenenlager Guantanamo war.

Die dänische Regierung war damals offensichtlich zumindest informiert, denn drei Jahre später veröffentlichte die Zeitung „Politiken“ ein WikiLeaks-Dokument, wonach die Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen den Amerikanern versprochen hatte, jegliche Untersuchungen der Angelegenheit im Sand verlaufen zu lassen.

Die guten Geheimdienstkontakte zwischen Washington und Kopenhagen gehen aber noch viel weiter zurück. Der zwischen 1955 und 1960 amtierende Regierungschef Hans Christian Svane Hansen war unter dem Decknamen „Big Horns“ ein Informant der CIA gewesen. Das fand ein dänischer Historiker im Zuge seiner Doktorarbeit erst vor 13 Jahren heraus.