Superflux Installation im Wiener Mak mi grünem und abgebranntem Wald
Superflux
Beispiel Superflux

Die Klimafrage als Erlebnis

Wien hat eine neue Attraktion, die Nachdenken und Erleben verbindet: „Invocation for Hope“, Aufruf zur Hoffnung, heißt eine Installation der Gruppe Superflux, die an die Baumpflanzaktion „For Forest“ in Klagenfurt erinnert – und auf gut 400 Quadratmetern durch verkohlte Baumreste in ein grünes Paradies führt. Dass die Klimafrage der große Treiber bei allen Schauen im Kunstbereich 2021 ist, machen nicht nur Ausstellungen hierzulande deutlich. London legt bei der Design Biennale aktuell nach. Und überall sind gerade positive Utopien gefragt, die zum Handeln und Umsteuern einladen sollen. Und zu Erlebnissen, die das Thema abseits der Moralkeule präsentieren.

Über die Vienna Biennale for Change 2021 wurde schon an dieser Stelle ausführlich geschrieben. Was aber offen blieb, ist die Frage, wie sich das Publikum den produktiven Auseinandersetzungswünschen von Ausstellungsmacherinnen und -machern stellt. Und hier zeigt sich im Wiener MAK, dass gerade der Ansatz, mit positiver Stimulation zu arbeiten, auf fruchtbaren Boden fällt. Die Zählkarten für die Schau am vergangenen Wochenende waren superflugs weg – und die zentrale Halle des MAK am Wiener Stubenring mit seiner großen Oberlichte erweist sich als idealer Raum, eine der eindrucksvollsten Installationen der letzten Zeit in Szene zu setzen. 100 verkohlte Bäume hat die Gruppe Superflux in einem leicht abschüssigen Bühnenkarree inszeniert. Auf schwarzem Boden rundherum scheint nichts mehr zu gedeihen.

Fotostrecke mit 3 Bildern

Der Brunnen im Invocation of Hope Wald
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Der Brunnen der Selbstschau im Zentrum der Installation und das Spiel mit dem Wasser, das vor allem in unserer Vorstellung existiert
Bäume der Invocation for Hope Installation
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Ein Karree von 20 mal 20 Metern ist Kern der begehbaren Installation
Knochen, Baumstümpfe und ein bisschen Grün in der Installation von Superflux
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Aus den abgestorbenen Bäumen kann auf dem toten Boden wieder neues Leben entstehen

Doch wer durch das symmetrische Dickicht blickt, entdeckt eine grüne Oase im Zentrum, die noch dazu betreten werden kann – und ein geradezu mythisches Erweckungserlebnis möglich macht. Wer sich auf diesen Naturparcours begibt, landet zwischen wieder ergrünenden Bäumen, dampfenden Moosen am Pool, an dem auch Narziss einst sein Spiegelbild erblickt haben könnte. Und tatsächlich, inmitten einer komplett immersiven Landschaft, die so etwas wie eine absolute Beteiligung, Begeisterung und Versenkung in sich selbst provoziert, darf sich der Mensch selbst in den Spiegel schauen. Und muss nicht erschrecken, darf aber doch erkennen. Ohne große Erklärungen kommt die Installation „Invocation for Hope“ daher. Sie lässt alle, die sich hereinverirren, einen Schluck imaginären Lethe-Wassers trinken, sodass man sich in einer Tabula-Rasa-Situation befindet und ruhig auch mal alles hinter sich lassen kann, was man am Parcours durch die Ausstellung davor mitgeliefert bekam. Tatsächlich wird hier die Urform von Erfahrung inszeniert und zelebriert.

Zu den Naturklängen, die der britische Soundkünstler Cosmo Sheldrake hier in einen Endlosloop gebracht hat, darf man sich verlieren und staunen. Man durchschreitet einen kahlen, leblosen Wald und strandet an einer Art von Quellensituation, an der tatsächlich so etwas wie das Leben hätte entstanden sein können. Wie Narziss erblickt man sich selbst an der fingierten Quelle – muss sich aber nicht wie die Gestalt der Mythologie in sich verlieben, kann aber schon entdecken, wie im Moment größter Übereinkunft der Natur das Bild von uns selbst bei jedem Erleben im Wege steht. Oder es kann gemahnen, dass sich am Ende immer der Mensch in Szene setzt und dabei alles andere vergisst. „Wir müssen uns selbst und die Art, wie wir die Natur sehen, komplett ändern“, benennt Anab Jain von Superflux den Ansatz der Gruppe zu dieser Installation, die tatsächlich frisch und am Leben gehalten werden muss – und die dann auch möglichst CO2-neutral an verschiedenen realen Orten wieder zum Teil der Natur werden soll.

Handzeichnung zum Projekt Invocation of Hope
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Skizze der Gruppe Superflux zur begehbaren Installation, die nun im Zentrum des MAK realisiert wurde.

„2021 ist ein Schlüsseljahr, um die Weichen für eine ökologisch und sozial nachhaltige Zukunft im Digitalen Zeitalter zu stellen. Noch nie seit 1945 war die Zukunft so offen, noch nie hatten wir es in der Hand, so viel positiv zu verändern“, schreibt der Generaldirektor des MAK, Christoph Thun-Hohenstein, in einem Essay, der die Ausstellung begleitet. Der Auftrag der Kunst in diesem Feld, so kann man nach dem Besuch der Wiener Ausstellung schließen, könnte das Aufwerfen radikaler Hinterfragungen sein. So stehen auch 95 Thesen zum Design im Raum, die deutlich radikaler formuliert sind als etwa das Nachhaltigkeitspostulat zum Thema Gestaltung eines Dieter Rams, der ja schon in den 1950er Jahren von der Ressourcenschonung in der Gestaltung von Produkten überzeugt war.

Emotion und Vorstellungskraft

Mit ihrer immersiven Installation schaffen es Superflux, das Publikum dort abzuholen, wo das Spiel von Argument und Gegenargument aufhört – verkohlte Bäume liegen jenseits von Wahrscheinlichkeiten. Es ist ein Ansatz, den die „Climate Change Art“ seit einigen Jahren mit Nachdruck verfolgt: das Begreifbarmachen der verheerenden Auswirkungen der industriell induzierten Erderwärmung durch emotionale Involvierung und Vorstellungskraft.

In seiner zum internationalen Bestseller avancierten historischen Reportage „Losing Earth“ machte Nathaniel Rich genau diesen Punkt als Bedingung für eine erste Bewusstmachung des Problems der Erderwärmung in den 1980er Jahren aus. Die Beschreibung der Effekte der Erderwärmung und über das sich vergrößernde Ozonloch habe den Amerikanerinnen und Amerikanern das Gefühl vermittelt, ihr Leben sei in Gefahr: „Ein abstraktes, atmosphärisches Problem wurde auf die Größe der menschlichen Vorstellungskraft reduziert. Es wurde gleichzeitig klein und groß genug gemacht, um verständlich zu sein.“

Genau auf diese Reduktion und Anschaulichkeit zielen künstlerische Positionen zum Klimawandel, die in den letzten Jahren stetig mehr werden. 2017 zeigte etwa Lorenzo Quinn für die 57. Venedig Biennale eine Installation mit zwei riesigen, erhobenen Händen, die aus dem Canal Grande emporragten – eine unmissverständliche Anspielung auf den steigenden Meeresspiegel und das bedrohte Ökosystem in der Lagune von Venedig. Schon in der Ausgabe der Venedig Biennale 2015 „All the World’s Futures“, kuratiert von Okwui Enwezor, spielte Klimakrisenkunst neben postkolonialen Fragestellungen eine gewichtige Rolle.

Klima als Megathema

Retrospektiv wurden damit die Megathemen der gegenwärtigen Ausstellungspraxis verknüpft: der Themenkomplex rund um Identitäten, Postkoloniale Bewegungen und Anti-Rassismus und eben die Sorge um die Katastrophalen Effekte der Lebens- und Wirtschaftsweise. Die Vermächtnisausstellung „Grief and Grievance: Art and Mourning in America“ des inzwischen verstorbenen Enwezor verhandelt gerade im New Museum in New York umfassend die Spätfolgen von Rassismus und Sklaverei in einem gespaltenen Amerika. Inzwischen zeigt beispielsweise die Kunsthalle Wien in Kooperation mit den Wiener Festwochen in „And what if I devoted my life to one of it’s feathers“, wie postkoloniale Perspektiven etwa aus Lateinamerika mit kritischen Arbeiten zu Umweltverschmutzung durch Rohstoffgewinnung einander ergänzen – oder gar ineinander aufgehen.

kulturDoku: Klimawandel in der Kunst

Schon bevor das Coronavirus den Kulturbetrieb zum Erliegen brachte, hatte ein Umdenken eingesetzt: Wie kann man den Kulturbetrieb mit seinen vielen internationalen Events klimafreundlicher gestalten?

Auch der österreichische Beitrag zur London Design Biennale 2021, das Projekt „Tokens for Climatecare“, bezieht sich sowohl auf die Klimaproteste als auch auf jene von Black Lives Matter. Die Arbeit des Designstudios Process nutzt Machine-Learning, um ein jeweils passendes kostenloses Logo für Initiativen von Klimaaktivistinnen und -aktivistinnen zu schaffen. Moritz Resl, Teil von Process, erklärte die Idee des Projekts gegenüber Ö1 so: „Wir wollten eine Lösung finden, um diesen Grassroots-Bewegungen (…) unter die Arme zu greifen.“

Diese treten mit geringen Mitteln gegen internationale Konzerne an, die über ein millionenschweres Marketingbudget verfügen. Auch die Klimaaktivisten und -aktivistinnen sollen gehört werden. „Und ‚gehört‘ heißt im digitalen Sinn, dass man ‚gesehen‘ wird und auch ein dementsprechend professionelles digitales Auftreten hat“, so Resl. Um ein professionelles Branding zu erzeugen, generiert „Tokens for Climatecare“ aus Begriffen wie Nachhaltigkeit und Zukunft in der Kombination von abstrahierten Symbolen ein eindeutiges Logo, das für den Inhalt einer Bewegung steht. Zurzeit im Somerset House in London und ab 19. Oktober im MAK ist das Projekt in Form einer Installation ausgestellt. Begriffe können über ein Mobiltelefon eingegeben werden, das künstliche neuronale Netzwerk setzt diese in ein Logo um, das dann als Laserprojektion dargestellt wird.