Menschen verlassen eine U-Bahn in London
Reuters/Toby Melvillle
Durch Virusvariante

Sorge vor neuer Welle in Großbritannien

Auch wenn in Großbritannien der Impffortschritt rasant ist und die Ansteckungszahlen sinken – die Pandemie ist auch auf der Insel noch nicht vorbei. Derzeit sorgt die zunächst in Indien entdeckte Variante B.1.617.2 für Alarmstimmung in der Expertenschaft. Auch in Österreich folgen daraus Konsequenzen.

Laut der britischen Regierung gab es am Sonntag rund 3.200 neue Infektionsfälle bei einer Bevölkerung von rund 65 Millionen. An sich wäre das keine Zahl, die zur Sorge Anlass gäbe. Bei den Impfungen ist das Land ohnehin voraus, rund die Hälfte der Erwachsenen sind bereits vollständig geimpft. Doch B.1.617.2 lässt wieder einen starken Anstieg der Infektionen befürchten: Bei Neuinfektionen bestehe bereits ein exponentielles Wachstum, so der britische Experte Ravi Gupta am Montag im BBC-Interview.

Er sieht Großbritannien schon am Beginn einer dritten Welle. „Es hat ein exponentielles Wachstum bei der Zahl der neuen Fälle gegeben, und mindestens drei Viertel sind die neue Variante“, so der Mikrobiologe, der auch die Regierung berät. Gupta sprach sich dafür aus, die geplanten weiteren Lockerungen zu verschieben. Die Regierung von Premier Boris Johnson will am 21. Juni alle Coronavirus-Maßnahmen im größten Landesteil England aufheben.

„Es wird wahrscheinlich länger dauern als bei vorherigen Wellen, bis sie sich abzeichnet, weil wir ein hohes Level an Impfungen in der Bevölkerung haben“, so Gupta: „Daher könnte es für einige Zeit ein falsches Sicherheitsgefühl geben, das ist unsere Sorge.“

Laut Schätzungen bereits dominant

Gupta ist nicht der Einzige, der die Variante als gefährlich ansieht. Auch der Epidemiologe Neil Ferguson vom Imperial College London sagte, die geplanten Lockerungen seien wegen B.1.617.2 fraglich. Bereits vergangene Woche warnte die als Independent SAGE bekannte Gruppe, die Variante erfordere eine sofortige Einleitung von Maßnahmen, um die Fallzahlen zu senken. Die Gruppe ist nicht identisch mit dem nur als SAGE (Scientific Advisory Group for Emergencies) bezeichneten offiziellen Expertengremium der Regierung, es handelt sich um unabhängige Fachleute.

Schätzungen zufolge sei die „indische“ Variante in Teilen des Landes bereits vorherrschend, hieß es in der Mitteilung. Es sei wahrscheinlich zu spät, um zu verhindern, dass sie sich im ganzen Land als dominant durchsetzt. Daher empfehlen die Expertinnen und Experten Maßnahmen wie zusätzliche Unterstützung für Menschen mit geringen Einkommen bei der Selbstisolierung, bessere Belüftungsmaßnahmen in Schulen und eine Rückkehr der Maskenpflicht in allen weiterführenden Schulen.

Sorge auch im Rest Europas

Die Sorge, dass B.1.617.2 auch in Kontinentaleuropa dominant werden könnte, ist groß. Bisher trat sie in 53 Gebieten und Regionen weltweit auf. Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist sie „besorgniserregend“. Vorläufige Daten deuten auf eine höhere Übertragbarkeit hin. Ob die Variante auch schwerere Krankheitsverläufe verursacht, ist noch nicht klar. Der deutsche Virologe Christian Drosten wies zudem darauf hin, dass offenbar „gerade die erste Impfung gegen dieses Virus noch nicht so viel hilft, sodass man jetzt schnell vervollständigen muss“. Die zweite Impfdosis sei also wichtig, auch wenn es bei den ersten Daten noch viele Unwägbarkeiten gebe.

Etliche Länder, darunter Österreich, verhängten wegen der Variante bereits Landeverbote für Flugzeuge aus Großbritannien. Ab Juni dürfen keine Maschinen aus dem Vereinigten Königreich mehr in Österreich landen, der Flugstopp soll vorerst bis 20. Juni gelten. Das Gesundheitsministerium stufte Großbritannien zudem als Virusvariantengebiet ein und schränkte die Einreise nach Österreich stark ein.

Warnung aus Wien

Auch in Österreich geht man teilweise von möglichen weitreichenden Auswirkungen der Variante für den Herbst aus. Eine Modellrechnung Wiens, die nach APA-Informationen zuletzt in der Ampelkommission angesprochen wurde, sah eine weitere Pandemiewelle auf Österreich zurollen, falls nicht ausreichend durchgeimpft werde. Dafür reiche schon eine relativ geringe Anzahl an Fällen der Variante. Daraus zog Wien den Schluss, dass das Testregime auch über den Sommer fortgeführt werden muss, um Fälle von Virusvarianten frühzeitig zu identifizieren und abzugrenzen.

Am Montag warnte auch der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) im Ö1-Morgenjournal davor, schon das Ende der Pandemie auszurufen. Er rechnete mit einem ruhigen Verlauf in den kommenden Monaten. „Aber am Ende des Sommers und dann im Herbst kann diese neue, indische Variante die Zahlen extrem nach oben treiben, wenn wir keine Durchimpfung bis über 80 Prozent der gesamten Bevölkerung bis zum Herbst zustande bringen.“

Im Oktober oder November könne es „noch einmal einen dramatischen Anstieg geben“, so Hacker. „Ein bisschen über 40 Prozent der Bevölkerung“ hätten die erste und die Hälfte davon die zweite Impfung. Man könne sagen: „Wir haben einen guten Impfstart hingelegt, aber wir sind noch lange nicht fertig mit der Pandemie“ – mehr dazu in wien.ORF.at.