Trainingslager der Milizgruppe Karen National Union (KNU) in Myanmar
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Myanmar

Bürgermilizen fordern Militär heraus

Die Lage im vom Militär beherrschten Myanmar droht sich weiter zuzuspitzen. Zahlreiche Bürgermilizen rüsten sich nun gegen die Tatmadaw, so der offizielle Name der Streitkräfte. Mit dem Aufkommen der Milizen steigt auch das Risiko eines Bürgerkrieges, heißt es von Experten und Oppositionellen gleichermaßen.

Laut dem Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED), einer NGO, die Konflikte verfolgt, haben sich in Myanmar bereits 58 Milizen zur Verteidigung gegen die teils äußerst brutalen Übergriffe des Militärs formiert. Zwölf davon sind laut ACLED tatsächlich aktiv, wie der britische „Guardian“ jetzt schreibt. Diese Gruppierungen haben sich seit dem Militärputsch Anfang Februar vor allem auf Lokalebene gebildet und sind nicht zwangsweise mit der Opposition verbunden.

Unklar ist, wie gut die neuen Bürgermilizen trainiert und ausgestattet sind. Die Karen bzw. deren Untergruppe, die Karenni, sowie andere Minderheiten in Myanmar organisierten bereits vor längerer Zeit Milizen, um dem Militär nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Teils sind diese Auseinandersetzungen vor allem im Grenzgebiet jahrzehntealt. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen zu den jüngsten Unruhen waren in dem Bundesstaat Kayah bis 1. Juni bereits zwischen 85.000 und 100.000 Menschen auf der Flucht vor dem Krieg zwischen der Armee und der „Verteidigungsfront der Karenni“.

Trainingslager der Milizgruppe Karen National Union (KNU) in Myanmar
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Ein Blick in ein Trainingslager, hier der Minderheit der Karenni

Gewalt weitet sich aus

Die Armee von Myanmar kämpft in den Teilstaaten Kayah, Karen, Chin, Shan und Kachin einen Mehrfrontenkrieg gegen die Ethnic Armed Organisations (EAO) der ethnischen Minderheiten, die sich dem Widerstand gegen den Militärputsch vom 1. Februar angeschlossen haben. Die Vereinten Nationen befürchten eine humanitäre Katastrophe in den provisorischen Flüchtlingslagern in den Wäldern der Kriegsgebiete. Durch die neuen Milizen gibt es jetzt kämpferische Auseinandersetzungen in Gegenden Myanmars, die bis vor Kurzem noch als friedlich eingestuft wurden.

Polizisten schlagen auf Demonstranten ein
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Polizisten schlagen auf Demonstranten ein, hier Anfang März in Rangun

Myanmar steckt seit der Machtübernahme des Militärs im Chaos. Bei nahezu täglichen Protesten in zahlreichen Städten wurden nach Angaben von Bürgerrechtlern bisher mehr als 800 Menschen getötet, das Militär spricht von 300 Toten, darunter sollen auch Dutzende Polizisten sein.

NUG: „Kämpfen, um diese Schlacht zu gewinnen“

Die Bevölkerung habe keine andere Möglichkeit mehr als die Selbstverteidigung, so Salai Maung Taing San, bekannt als Sasa bzw. Dr. Sasa, der Sprecher der selbst ernannten Schattenregierung Nationale Einheitsregierung (NUG), die von prodemokratischen Politikern gegründet wurde. Die permanente Bedrohung durch Militäraktionen, Verhaftungen, Folter und Morde habe die Gemeinschaften praktisch gezwungen, zu den Waffen zu greifen, so Sasa im „Guardian“. „Das ist erst der Anfang. Die Situation wird unkontrollierbar werden“, so Sasa weiter. Das ganze Land sei auf dem Weg zum Bürgerkrieg.

Die NUG stellte nach eigenen Angaben auch eine Verteidigungstruppe auf. Die ersten Rekruten hätten ihre Ausbildung abgeschlossen, teilte die NUG Ende Mai mit. Sie veröffentlichte ein Video, auf dem eine Parade mit etwa 100 Kämpfern zu sehen ist, die auf einem matschigen Platz im Dschungel marschieren.

Sie tragen darauf neue Tarnuniformen, aber es sind keine Waffen an ihnen zu sehen. Die Volksverteidigungstruppe sei dazu da, die Bevölkerung zu beschützen, erklärt ein namentlich nicht genannter Offizier in dem Video. „Wir werden kämpfen, um diese Schlacht zu gewinnen.“ Das Militär stufte die Schattenregierung und deren Truppe als terroristische Gruppen ein.

Auch Prominente aufseiten der Putschgegner

Die Bürgermilizen stehen allerdings einem ungleich mächtigeren und bestens ausgerüsteten Gegner gegenüber. Das für seine Grausamkeit berüchtigte Militär, die Tatmadaw, hat rund 400.000 Soldaten, damit ist es die zweitgrößte Armee in Südostasien nach der Vietnams. Es wird vor allem von China und Russland ausgestattet und finanziert sich über den Staat, aber auch ein weit verzweigtes Wirtschaftsnetz in Myanmar.

Demonstranten in Rangun
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Demonstranten in der Metropole Rangun Mitte Mai

So stellten sich im Mai in der Stadt Mindat in der Provinz Chin, einem der ärmsten Teile des Landes, Freiwillige, die mit kaum mehr als Jagdwaffen ausgestattet waren, gegen das Militär. Junge Menschen aus den Städten flüchten etwa in den Dschungel, um dort zu lernen, wie man selbst Sprengstoff herstellt. Auch Prominente seien bei dieser Ausbildung dabei – von Schönheitsköniginnen bis zu Punksängern, so der „Guardian“.

Anschläge auf Soldaten und Einrichtungen

Die Milizen versuchen auch durch Aktionen, Angst und Schrecken beim Militär zu verbreiten, und nehmen einzelne Soldaten, aber auch mutmaßliche Informanten des Militärs mit Anschlägen ins Visier. So werden etwa auch von der Armee besetzte Schulen bombardiert. Und auch mutmaßliche Informanten des Militärs sind im Visier der Gruppierungen. Meist gibt es dabei allerdings keine Bekenner für die Taten.

Solche Attacken seien ein besorgniserregender Trend, so Richard Horsey von der International Crisis Group, zuständig für Myanmar. Es werde schwierig werden, die Gewalt wieder einzudämmen, sollten derartige Anschläge die Norm werden, so Horsey im „Guardian“. Die NUG drängt indes die neu entstandenen Milizen, sich ihren ethischen Richtlinien anzuschließen und diese auch einzuhalten und nicht etwa Schulen und Spitäler Ziele von Anschlägen zu machen.

Militär greift Zivilisten gezielt an

Bereits jetzt wurden laut ACLED mehr Kämpfe in der ersten Jahreshälfte registriert als im ganze letzten Jahr. Laut ACLED stieg die Zahl der Übergriffe auf Zivilisten genauso wie jene von Berichten über Explosionen und den Einsatz von Artillerie und Ähnlichem sehr stark. War zuvor der Konflikt auf die Provinzen Rakhnie und den nördlichen Shan-Staat reduziert, verbreite sich die Gewalt jetzt über das ganze Land.

Das führe zu mehr Druck auf die lokalen Kommandanten, es sei aber unklar, welche Auswirkungen – wenn überhaupt – das auf das Militär an sich habe, so Horsey weiter. Die Streitkräfte seien ziemlich groß, hätten große Mengen an militärischen Ressourcen und würden zivile Opfer überhaupt nicht scheuen, so Horsey. „Tatsächlich bestand die Herangehensweise des Militär an interne Konflikte über die Jahrzehnte hinweg darin, Zivilisten zur Aufstandsbekämpfung gezielt anzugreifen“, so Horsey zu der brutalen Strategie der Tatmadaw.