Luftansicht einer Raffinerie
Getty Images/Yaorusheng
Inflationssprung

Banken üben sich in Beruhigung

Die Inflationsraten kratzen derzeit in Europa an einem Zehnjahreshoch, in den USA wurde es bereits überschritten. Für Österreich wird im Mai ein Sprung der Teuerungsrate auf 2,8 Prozent prognostiziert. Ein Einschreiten der Notenbanken ist dennoch nicht in Sicht – und auch Fachleute sprechen von einer „größtenteils normalen Reaktion“. Zweifel bleiben.

Nach einer Teuerungsrate von 1,9 Prozent im April dürfte die Inflation in Österreich im Mai auf 2,8 Prozent geklettert sein. Davon geht die Statistik Austria in ihrer Schnellschätzung von Dienstag aus. Zuletzt war die Teuerungsrate in Österreich im Jänner 2012 so hoch. Auch in anderen Ländern steigt die Inflation derzeit deutlich. So hat das Statistische Bundesamt für Deutschland am Montag einen vorläufigen Wert von 2,5 Prozent für Mai bekanntgegeben – den höchsten Wert seit September 2011.

Angeheizt wird die Entwicklung vor allem von höheren Energiepreisen. „Der Anstieg der Verbraucherpreise lässt sich hauptsächlich auf die ungewöhnlich niedrigen Preise für Treibstoffe und Energie im Mai 2020 zurückführen. Da sich diese mittlerweile wieder erholt haben, entfällt die vormals preisdämpfende Wirkung“, sagte Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas.

EZB sieht keinen Handlungsbedarf

Die Inflationsrate ist ein wichtiger Gradmesser für die Geldpolitik der Notenbanken. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt für den gesamten Euro-Raum mit seinen 19 Ländern mittelfristig eine Jahresteuerungsrate von knapp unter zwei Prozent an – weit genug entfernt von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige oder auf breiter Front sinkende Preise könnten Unternehmen und Verbraucher verleiten, Investitionen aufzuschieben und damit die Wirtschaft zu bremsen. Trotz Nullzinspolitik und Geldschwemme wurde das Ziel seit Jahren verfehlt – das hat sich nun geändert.

Im Mai nahmen die Lebenshaltungskosten binnen Jahresfrist um 2,0 Prozent zu, wie die Statistikbehörde Eurostat am Dienstag nach einer Schnellschätzung mitteilte. Das ist das höchste Niveau seit Herbst 2018. Für die EZB ist der Anstieg über die Zielmarke hinaus eine Herausforderung, schließlich dürften damit die Forderungen nach einer Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik lauter werden. Die Währungshüter haben allerdings bereits erklärt, dass sie den momentanen Preisschub nur als vorübergehend und nicht als nachhaltig ansehen.

„Längerfristig eher zu niedrige Teuerungsraten“

Bisher gehen die Volkswirtinnen und Volkswirte der Notenbank davon aus, dass die Verbraucherpreise in diesem Jahr um durchschnittlich 1,5 Prozent steigen werden. Für 2022 wird mit 1,2 Prozent gerechnet. Ökonomen der deutschen Großbank DZ Bank gehen dagegen davon aus, dass die Teuerung im Euro-Raum aufgrund von Sonderfaktoren zunächst deutlich zunehmen wird. „Die stärkeren Inflationsraten 2021 sind aber eher als Ausreißer zu sehen. Schon 2022 dürfte der Preisdruck wieder nachgeben.“

Als „kein Anhänger der Theorie“, dass die Inflation länger anhalten wird, gab sich auch Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer zu erkennen. Man sehe das als Übergangsphänomen, das viel mit der Pandemie beziehungsweise deren Ende zu tun habe. Ähnlich sieht das der Chef des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo), Clemens Fuest. „Die höhere Inflation in diesem Jahr ist größtenteils eine normale Reaktion.“ Auch nach Einschätzung von Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, ist der „Spuk“ im kommenden Jahr vorbei. „Deutschland, aber auch die Euro-Zone als gesamtes, werden längerfristig eher mit zu niedrigen als mit zu hohen Teuerungsraten zu kämpfen haben. Das weiß auch die EZB.“

Containerterminal
Getty Images/Jorg Greuel
Die weltweiten Lieferketten sind gestört, die langfristigen Folgen für die Verbraucherpreise noch nicht einschätzbar

Auch die Fed hält Kurs

Eine ähnliche Haltung nehmen derzeit Regierung und Notenbank in den USA ein. Präsident Joe Biden hält an den von ihm vorgeschlagenen Paketen für große Investitionen in die Infrastruktur und Sozialleistungen fest. Diese würden über mehrere Jahre zusammen rund vier Billionen Dollar in die Wirtschaft pumpen. Kritiker warnen, er heize damit die Inflation an – und fühlten sich durch die jüngsten Zahlen aus den USA bestätigt. Die US-Verbraucherpreise legten im April unerwartet kräftig um 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Es war der stärkste Sprung seit September 2008.

Doch die Federal Reserve (Fed) will auch Phasen einer höheren Teuerungsrate akzeptieren, solange die Rate im Durchschnitt bei zwei Prozent liegt. Den aktuellen Anstieg betrachtet die Fed als vorübergehend und will nicht darauf reagieren. Bisher hieß es, dass vor 2023 nicht mit einer Anhebung des Leitzinses zu rechnen sei – eine Einschätzung, die angesichts stark steigender Rohstoffpreise und anhaltender Probleme in den internationalen Lieferketten zunehmend kritisch betrachtet wird, nicht nur in den USA.

Welthandel in Turbulenzen

Das deutsche Magazin „Focus“ schrieb unlängst von einem „aus dem Tritt gekommenen Welthandel, dessen Akteure eigentlich wie die Zahnräder eines Uhrwerks ineinandergreifen müssen“. Sollte sich die „Akkumulation von Lieferkettenstörungen“ nicht bald legen, würden die Preise stärker anziehen als gedacht und letztlich in einem „unschönen Szenario“ münden: „Steigende Preise – aber es gibt weniger zu kaufen.“