Heeresgeschichtliche Museum in Wien
Nadja Meister
Heeresgeschichtliches Museum

„Aufräumen“ aufwendiger als gedacht

„HGM neu denken“ hat eine Historikertagung geheißen, die kürzlich im Wiener Literaturhaus stattgefunden hat. Nach knapp zweijähriger Debatte wird es nun tatsächlich ernst mit der Neuaufstellung des Heeresgeschichtlichen Museums (HGM) Wien. Laut Historikerkommissionsleiter Wolfgang Muchitsch ist man aktuell in der „kritischen Phase“ – und es könnte zu weit höheren Investitionen kommen, verriet er gegenüber ORF.at.

Debattenansätze und einzelne kritische Wortmeldungen hatte es in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach gegeben, nicht zuletzt auch initiiert und aufgegriffen von der österreichischen Literatur: „Eine der merkwürdigsten Einrichtungen der Stadt“ nannte Ingeborg Bachmanns „Malina“ 1971 das HGM. Und 1991 fragte Gerhard Roth in der Essaysammlung „Eine Reise ins Innere von Wien“: „Wer spricht in diesem Museum von den Gefangenen, die zu Hunderttausenden ums Leben kamen? Wer von den Krüppeln? Wer von dem Hunger in den Städten, der zu Kriegsende in Wien so groß war, dass man Waggons mit Weizenlieferungen an die Front beschlagnahmte?“

Roths Fragen nach einer angemessenen Repräsentation der Kriegsgräuel stellen sich auch in der laufenden Debatte – und erstmals in der Geschichte des Hauses könnte jetzt alles anders werden: Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte das HGM im Spätsommer 2019, als kritische Medienberichte eine „zutiefst rückwärtsgewandte Geschichtsvermittlung (…) bis hin zu einer Offenheit für Rechtsextremismus“ beanstandeten – zunächst im grünennahen Blog „Stoppt die Rechten“. Der schwerwiegendste Vorwurf damals: Im Museumsshop würden Nazi-Erinnerungsstücke verkauft und Literatur, die die Wehrmacht verherrlicht.

Saal „Republik und Diktatur“ im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien
HGM
Unter starker Kritik steht der gesondert evaluierte HGM-Dauerausstellungsabschnitt „Republik und Diktatur“: Viele Uniformen und NS-Insignien, wenig Erklärung, so lautet der Vorwurf

Im Oktober 2020 stellte schließlich ein Rechnungshof-Bericht „gravierende Mängel“ fest, die vom Fehlen eines wirtschaftlichen Überblicks bis hin zur unzureichenden Erfassung der eigenen Sammlung reichten und den seit 2005 amtierenden Direktor Christian Ortner stark unter Druck setzten. In direkter Reaktion auf den Bericht wurden mehrere Historikerkommissionen eingerichtet, die den Shop, den besonders kritisierten Saal zur Geschichte von 1918 bis 1945 und das ganze Haus evaluierten – mit teils weitreichenden Empfehlungen. Da stellt sich jedenfalls die Frage: Warum erst jetzt?

„Vorauseilende Resignation“ der Historiker

Es habe von ihrer Zunft in den vergangenen Jahrzehnten eine „vorauseilende Resignation“ gegeben, meint die Historikerin Heidemarie Uhl nun selbstkritisch gegenüber ORF.at. Man habe „von vornherein das Gefühl gehabt, man läuft gegen Windmühlen an“, so Uhl, die das Haus bei einem musealen „Stand der 70er, 80er Jahre“ sieht.

Wie schon bei der Tagung „HGM neu denken“ sprechen sich Uhl und ihr Kollege Muchitsch auch im ORF.at-Interview für eine „echte Neugründung“ aus. „Geht es nicht darum zu sagen, wir wollen ein hervorragendes Museum?“, plädiert Uhl für eine Lösung, die über die Ausräumung der „ärgsten Kritikpunkte“ hinausgeht. „Nicht das Stückwerk der vergangenen Jahre und Jahrzehnte fortführen“, mahnt auch Muchitsch, Chef des Österreichischen Museumsbunds und des Grazer Joanneum-Verbands, der die Expertenkommission zu den HGM-Daueraustellungen leitete. Bisherige Neugestaltungen hatten sich darauf beschränkt, nur an den Stellschrauben einzelner Abschnitte neu zu drehen.

4,3 Millionen Euro nur „erster Schritt“

Wie grundlegend die Reformen sein werden, wird sich auch an der Höhe der Investitionen zeigen: „Wir sind fest entschlossen, dieses Problem nachhaltig zu lösen“, verlautbarte das Verteidigungsministerium im Mai in einer Medienaussendung. Schon nach Bekanntwerden des Rechnungshof-Berichts hatte Verteidigungsministerin Claudia Tanner (ÖVP) eine Finanzspritze von 4,3 Millionen Euro angekündigt, die die Modernisierung vorantreiben soll. Das sei ein „erster Schritt“, heißt es aus dem Ministerium auf Nachfrage von ORF.at.

Prototyp des Doppeldeckers Albatros B II  im HGM, Wien
ORF.at/Zita Klimek
Auch zu sehen im HGM: Der Prototyp des Albatros B II aus dem Ersten Weltkrieg, eines von zwei original Flugzeugen

Dass die Summe weit höher sein könnte, damit habe man sich im Ministerium „bereits abgefunden“, zeigt sich wiederum Muchitsch optimistisch. Es sei „glaubhaft, dass man an einer großen Lösung interessiert ist“, versichert der Historiker, der mit einem ähnlichen Budget wie für die Renovierung des Deutschen Historischen Museums rechnet. Die mit einer vergleichbaren Ausstellungsfläche ausgestattete Berliner Institution wird derzeit um mehr als 40 Millionen Euro Gesamtkosten neugestaltet.

Nächste Schritte

Als nächste Schritte sind nun bis zum Sommer die Zusammenstellung eines wissenschaftlichen Beirats sowie bis Herbst eine Neuausschreibung des Direktorenpostens geplant. Ortners Vertrag ist bereits seit Längerem ausgelaufen.

In der Ausgestaltung des Beirats sowie der Direktionsausschreibung werde man ablesen können, ob der „Bestand weiterverwaltet“ werde „oder ob es tatsächlich eine Neugründung gibt“, betont Muchitsch, der von einer „besonderen Verantwortung“ des HGM sprach. Das Haus ist das einzige Museum des Bundes, das die österreichische Geschichte vom 16. bis ins 19. Jahrhundert vermittelt.

Glanz und Glorie der Habsburger

Was sich genau ändern soll: „Die Ansprüche der Darstellung einer modernen Militärgeschichte“ seien „über weite Strecken nicht gegeben", so lautet noch einmal kurz gefasst die Conclusio des Kommissionsberichts. Während das Museum seine Besucher mit dem pazifistischen Motto „Kriege gehören ins Museum“ auf dem Portal begrüßt, habe sich im Inneren des 1869 errichteten k. u. k. Hofwaffenmuseums, so die Kritik, nur wenig verschoben: Die Vermittlung von Glanz und Glorie der kaiserlichen Truppen, die damals im Vordergrund stand, um die Kriegsmoral von Zivilbevölkerung und Militär zu stärken, sei nur bedingt gebrochen, so der Bericht.

Als „Paradies für Fans von Militaria“ ist das HGM auch heute bekannt: Wer Waffen, Geschütze, Uniformen, Fahnen und Schlachtengemälde sehen will, ist dort bestens aufgehoben, nicht aber jene Interessierten, die sich kontextualisierende Informationen wünschen, was nicht zuletzt für den besonders scharf kritisierten Bereich „Republik und Diktatur“ gilt, wo viele Hitler-Bilder ausgestellt sind.

Zugleich würden im HGM andere Perspektiven als die herrschaftliche fehlen: „Wo ist der einfache Soldat, wo die betroffene Zivilgesellschaft, die Perspektive ‚Feinde‘?“, so Muchitsch gegenüber ORF.at. Es mangle auch an Bezügen zur Gegenwart und Zukunft; die Schau endet 1991. „Gibt es überhaupt einen gerechten Krieg? Wie kann man Krieg legitimieren, wann und wie wurde Krieg legitimiert? All diese Fragen, die das Militär selbst zutiefst bewegen, werden hier nicht gestellt“, ergänzt Uhl.

Vorbild Dresden

Der Reformbedarf der Ausstellung sei „aber nur das Offensichtlichste“, meint Muchitsch und nennt ein fehlendes erkennbares Gesamtkonzept, eine Ergänzung der aus der Habsburger-Zeit stammenden Sammlungsbestände, bauliche Adaptionen und die Erweiterung des militärgeschichtlich und waffentechnisch versierten Teams um andere sozial- und geschichtswissenschaftliche Perspektiven als Desiderate des Hauses.

Was sich jedenfalls nicht ändern wird, ist die oft kritisierte Zuständigkeit des Verteidigungsministeriums: Eine Eingliederung in die Bundesmuseen ist derzeit vom Tisch. Diese museale Sonderstellung funktioniere aber auch anderswo gut, so Muchitsch. Das Militärhistorische Museum in Dresden, eines der Vorbilder für die HGM-Neugestaltung, wird ebenfalls vom Verteidigungsressort verwaltet.