Christian Pilnacek
APA/Helmut Fohringer
Pilnacek-Chats

„Missratene“ WKStA, VfGH „nach Kuba“

Die jüngst medial bekanntgewordenen Chats des suspendierten Sektionschefs Christian Pilnacek haben die Opposition zu Kritik veranlasst. Die FPÖ zeigte sich „schockiert“, SPÖ und NEOS forderten eine bessere Ausstattung der Justiz. Pilnacek sprach in seinen Chats unter anderem von einer „missratenen“ WKStA und schrieb mit einem VfGH-Richter über das Höchstgericht.

Pilnacek, der früher die mächtige Strafrechtssektion leitete, ist seit Ende Februar suspendiert, Ex-ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter, der nach seiner aktiven Politikkarriere 2018 zum Richter am Verfassungsgerichtshof (VfGH) ernannt wurde, war zuletzt in Spitalsbehandlung. Beide Justizexperten werden von der Staatsanwaltschaft Innsbruck als Beschuldigte geführt.

Sie sollen, so der Verdacht, eine geplante Hausdurchsuchung beim Unternehmer Michael Tojner verraten haben. Pilnacek soll die bevorstehende Zwangsmaßnahme Tojners Rechtsberater Brandstetter „gesteckt“ haben. Beide bestreiten alle Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung.

In den Chatprotokollen, die von der Staatsanwaltschaft ausgewertet wurden, findet sich kein Hinweis, ob es zu so einem Verrat kam. Ebenso wenig ist von einem Austausch über Verschlussakten zu lesen. Dieser soll nämlich der Grund dafür sein, dass die Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen den Leiter der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, Johann Fuchs, ermittelt. Gegen Fuchs hat das Justizministerium eine Disziplinaranzeige erstattet, er ist auch nicht mehr für die Aufsicht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zuständig.

Chats zu VfGH-Erkenntnisse

In den neuen Chats, über die bereits mehrere Medien berichtet haben, kommt allerdings der VfGH vor, der quasi als stille Institution über die Verfassung wacht. Denn alles, was in Beratungen besprochen wird, dringt für gewöhnlich nicht an die Öffentlichkeit. Der VfGH spricht auch nur mit einer Stimme, das bedeutet, am Ende der Beratungen gibt es ein Erkenntnis. Abweichende Meinungen werden nicht veröffentlicht. Das will die ÖVP-Grünen-Regierung im Zuge des Informationsfreiheitspakets ändern. Der VfGH und Rechtsfachleute sehen dieses Vorhaben skeptisch bis kritisch.

Wolfgang Brandstetter und Christian Pilnacek
APA/Herbert Neubauer
Brandstetter und Pilnacek kommunizierten über den Verfassungsgerichtshof

Am 11. Dezember kippte der VfGH das Verbot der Beihilfe zu Suizid und hob zugleich das Kopftuchverbot an Volksschulen auf. Vor der Verkündung der Erkenntnisse korrespondierten Brandstetter und Pilnacek. „Heute ab ca 17h öffentliche Urteilsverkündung bzgl Sterbehilfe und Kopftuchverbot. Die Mehrheit hat entschieden. Ist zu überlegen, wen man dort hinschickt, geht ja nur um die Verkündung ,ohne Widerrede‘“, schrieb der VfGH-Richter an den damaligen Sektionschef. Dieser antwortete: „Ah, schlechte Nachricht vor dem Wochenende.“ Und: „Wieder Niederlage für den Rechtsstaat.“

„Schwarzer Tag für den Rechtsstaat“

Brandstetter weiter: „Man muss trotzdem weitermachen! ‚Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen‘ (Albert Camus). 16h Kopftuch, 17h Sterbehilfe laut aktuellem Stand. Grosses Medien Theater." Pilnacek reagierte darauf: „Nein, einen vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat kann man nicht mehr dienen.“ Der VfGH-Richter verwies darauf, dass er die Richter nicht ausgesucht habe, „aber das waren immer demokratisch legitimierte Organe. ‚Legitimation durch Verfahren‘ fällt mir in letzter Zeit immer öfter ein. Mehr hat die Demokratie halt nicht zu bieten.“

Nach der Veröffentlichung der Erkenntnisse wurde der Chat fortgesetzt, wobei hier nun die Aufhebung des Kopftuchverbots im Mittelpunkt stand. „Kein Eingehen auf Kindeswohl … ein schwarzer Tag für den Rechtsstaat“, so Pilnacek. Und Brandstetter beschreibt, dass er „eigentlich der Einzige“ gewesen sei, „der das Kindeswohl eingefordert hat. Leider sind die Protokolle 30 Jahre unter Verschluss.“

Einige Wochen davor teilte Pilnacek mit Brandstetter einen Artikel, wonach in Kuba künftig auch Müllfahrzeuge aus Österreich eingesetzt würden. Das VfGH-Mitglied schrieb: „VINCEREMOS! (Nicht nur in Kuba!)“. Der damalige Sektionschef reagierte: „Sonst exportieren wir den VfGH nach Kuba.“ Auf den Hinweis Brandstetters, dass die Kubaner immer „freundlich zu uns" gewesen seien, schrieb Pilnacek: „Ja, aber sie wären stolz auf die Vize (Verena Madner, Anm.) und (Claudia, Anm.) Kahr gebe eine gute Müllfrau ab.“

VfGH-Session am Montag

Zuletzt hatte VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter angesichts der Ermittlungen gegen Brandstetter gesagt, man könne auf Basis der Informationen, die derzeit vorliegen, kein Amtsenthebungsverfahren gegen Brandstetter einleiten. Es gelte für den Kollegen die Unschuldsvermutung. Sollte Anklage gegen Brandstetter erhoben werden, dann würde aber „mit Sicherheit Handlungsbedarf“ bestehen. Gegenüber ORF.at wollte sich der VfGH am Mittwoch zu den neuen Chats nicht äußern. Am Montag beginnt die nächste Session des Höchstgerichts.

Gemäß Verfassungsgerichtshofgesetz ist ein Mitglied durch Erkenntnis des VfGH vom Amt zu entheben, wenn es sich etwa durch „sein Verhalten im Amt oder außerhalb des Amtes der Achtung und des Vertrauens, die sein Amt erfordert, unwürdig gezeigt oder die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit gröblich verletzt hat“. Ein Verfahren kann durch den Präsidenten des Höchstgerichts eingeleitet werden. Das Mitglied muss auch vernommen werden.

„Diese Missratene StA“

Im Protokoll finden sich auch viele kritische Anmerkungen zur WKStA – was nicht weiter verwunderlich ist, haben Pilnacek und die WKStA bzw. deren Leiterin Ilse-Maria Vrabl-Sanda ihre Auseinandersetzungen, etwa rund um die Causa Eurofighter, doch auch öffentlich in Interviews, mit Anzeigen und Gegenanzeigen ausgetragen. Ex-ÖVP-Minister Josef Moser hat sich bemüht, das Verhältnis mittels Mediation zu verbessern. Pilnacek bezweifelte den Erfolg angesichts des „Starrsinns“ – wie er chattete – der Gegenseite.

Einem Rechtsanwalt, der sich über die WKStA beklagte, schrieb Pilnacek: „Ja, aber, wer unternimmt was gegen diese missratene StA????" Auch gegenüber Brandstetter, der die WKStA schon mal als „SPÖ-lastig“ bezeichnete, ließ er wissen, dass die Staatsanwaltschaft „ein Problem“ sei. In einem weiteren Chat hieß es: „Die schießen die Republik zusammen.“ Und: Man sollte die „Accounts der WKStA sichern“. ORF.at bat Pilnaceks Anwalt um eine Stellungnahme zu den Chatprotokollen. Gegenüber dem „Falter“ sagte Brandstetter, dass seine Einschätzung, wonach die WKStA SPÖ-nahe sei, auf falschen Tatsachen beruhe, er bedaure sie.

Oberstaatsanwalt Johann Fuchs
ORF.at/Lukas Krummholz
Gegen OStA-Leiter Johann Fuchs hat das Ressort eine Disziplinaranzeige eingebracht

OStA-Wien-Leiter Fuchs bekrittelte laut dem Protokoll Mitte Oktober 2020, dass eine Staatsanwaltschaft „jenseits ihrer Befugnisse Politik“ mache und der Dienst- und Fachaufsicht in den Rücken gefallen werde. Er konstatierte, dass eine solche „Bassenajustiz“ nicht unwesentlich zur Destabilisierung des Staatsgefüges beitrage. Damals hatte die WKStA bekanntgegeben, dass sie in der Causa Commerzialbank Mattersburg auch prüfe, ob ein Anfangsverdacht für Verfehlungen der Finanzmarktaufsicht (FMA) gegeben sei.

Interventionen bei Landeshauptmann

Pilnacek wollte laut der Auswertung auch einen Richterposten für seine Ehefrau. Er intervenierte beim steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP): „Lieber Herr LH, Prosit 2021 und viel Erfolg im Vorsitz der LH-Konferenz; möchte nur informieren, dass Präsident des OLG Graz ausgeschrieben ist; wäre Gelegenheit, das an unserer Familie begangene Foul auszugleichen.“ Mit „Foul“ war offenbar die Teilung der Strafrechtssektion im Justizministerium gemeint. Seitdem war Pilnacek nicht mehr für Einzelstrafsachen tätig.

Eine Sprecherin von Schützenhöfer sagte gegenüber dem „Standard“, dass man nichts für Pilnaceks Ehefrau, die Richterin ist, getan habe. Sie selbst sagte zu der – erfolglosen – Intervention zum „Standard“: „Mein Mann hatte im Zusammenhang mit der Besetzung des Postens eines Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz keine Funktion und keine Einflussmöglichkeit kraft Amtes. Zu meiner privaten Kommunikation mit meinem Ehemann werde ich keine Stellung beziehen.“

Zadic mahnt Respekt vor Institutionen ein

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) mahnte indes am Mittwoch Respekt vor rechtsstaatlichen Institutionen ein und meinte in Richtung Pilnacek, ohne diesen namentlich zu nennen, dass sie sich von Spitzenbeamten der Justiz erwarte, „dass sie allen Institutionen des Rechtsstaats und insbesondere dem Verfassungsgerichtshof den gebührenden und gebotenen Respekt entgegenbringen“, so die Justizministerin gegenüber der APA.

Justizministerin Alma Zadic
APA/Georg Hochmuth
Die Opposition fordert einmal mehr Zadic zum Handeln auf

Aufgabe von Beamten sei es, „dem Rechtsstaat und den Menschen in Österreich zu dienen“. Zudem müssten Justizvertreter wachsam gegenüber jeder Form von Diskriminierung, Herabwürdigung und Ausgrenzung sein. „Wer rassistische und frauenfeindliche Ansichten vertritt, wer andere Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts herabwürdigt, beschädigt das Ansehen der unabhängigen Justiz und damit das Vertrauen der Menschen in diese wichtige Säule der Demokratie“, so Zadic in Anspielung auf einen Chat Pilnaceks, indem er sich abfällig über Mitglieder des VfGH äußert.

Kritik kam von Zadic auch zu den wiederholten Angriffen des türkisen Koalitionspartners auf die WKStA. „Wer mit Angriffen auf den Rechtsstaat politisches Kleingeld wechselt, hat nichts verstanden.“ Sie werde Kampagnen und Einschüchterungsversuche gegen die Justiz und ihre Mitarbeiter nicht zulassen, so Zadic.

Kritik der Opposition

Die Oppositionsparteien SPÖ und NEOS sehen angesichts der jüngst medial bekanntgewordenen Chats die Grünen in der Pflicht. An ihnen liege es jetzt, entschieden zu handeln und den Rechtsstaat vor dem Zugriff der ÖVP zu schützen, appellierten SPÖ und NEOS. Zadic müsse tätig werden und die WKStA mit mehr Ressourcen ausstatten. Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sind mittlerweile „sämtliche rote Linien“ überschritten. Zadic und die Grünen müssten sich „mit aller Kraft hinter die Korruptionsjäger“ stellen.

Die Chatnachrichten Pilnaceks machten sprachlos, so Deutsch. Der „türkise Sumpf“ reiche bis ins Justizsystem und müsse „schonungslos“ trockengelegt werden. „Wer nach diesen unfassbaren Enthüllungen schweigt, stimmt zu“, so Deutsch in Richtung Grüne. Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sprach bei einer Pressekonferenz von einem „schockierenden Bild“, das die Nachrichten des ÖVP-nahen Spitzenbeamten lieferten. Sie reihten sich ein in „ein Bild des Drucks und der Einschüchterung der Justiz“ durch die ÖVP.

Ähnlich NEOS: Es reiche nicht, „die Korruptionsermittler in schönen Sonntagsreden zu verteidigen“, so Justizsprecher Johannes Margreiter. Zadic müsse tätig werden, der WKStA mehr Ressourcen zur Verfügung stellen und für eine unabhängige Weisungsspitze sorgen. „Die Justiz muss aus dem Würgegriff der ÖVP befreit werden“, meinte Margreiter. Die FPÖ zeigte sich in einer Aussendung „schockiert“. Pilnacek sei „eine Schande für die gesamte Justiz“. Eine Neuaufrollung aller Verfahren, an denen Pilnacek und Brandstetter beteiligt waren, forderte FPÖ-Mandatar Christian Hafenecker: „Es ist davon auszugehen, dass die beiden seit eh und je so gefuhrwerkt haben.“

Darüber hinaus kritisierte Hafenecker auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen: „Hat er sich etwa schon damit abgefunden, dass die ÖVP so ist, wie man in den erschütternden Chatverläufen nachlesen kann?“ Die Justizsprecherin der Grünen, Agnes Sirkka Prammer, wiederum ortete in den Aussagen Pilnaceks „ein erschreckendes Sittenbild“ und „zweifelhaftes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit“. Der „mangelnde Respekt“ des Spitzenbeamten vor den Institutionen sei „äußerst bedenklich“.