Verwachsenes und verwaistes NS-Lager in Pulkau
ORF
NS-Opfer

Die vergessenen Lager

In der NS-Zeit spannte sich ein Netz aus Zwangsarbeitslagern, KZ-Außenstellen und Kriegsgefangenenlagern über Österreich. Viele der Einrichtungen und ihre Opfer sind in Vergessenheit geraten, wie ein Beispiel aus Niederösterreich zeigt. Das Bundesdenkmalamt arbeitet an einem Verzeichnis dieser Orte. ORF.at und die ZIB2 haben die bisher verfügbaren Daten in eine interaktive Karte gegossen.

Der erste Hinweis, was da einmal war, ist ein aufgelassener Bahnübergang an der Landstraße zwischen Pulkau und Klein-Jetzelsdorf im niederösterreichischen Weinviertel. Die Gleise sind überwachsen, hier fuhr schon lange kein Zug mehr. Gleich dahinter zweigt ein Schotterweg ab – dann ein Schranken. Das ehemalige Zwangsarbeiterlager von Pulkau ist immer noch Sperrzone, wie ein Lokalaugenschein der ZIB2 zeigt.

Wer am Schranken vorbeigeht und sich dann rechts hält, kommt nach fünf Minuten Fußmarsch zu den ersten Ruinen: Ein Gebäude, das wie ein Wachturm aussieht, da waren die Generatoren drinnen, Strom für Lager und Steinbruch. Und ein paar hundert Meter weiter, direkt an der Abbruchkante, die verfallenen Aufenthaltsgebäude.

Verwachsenes und verwaistes NS-Lager in Pulkau
ORF
Schauplatz Pulkau: Heute erinnern nur noch Ruinen an das ehemalige Zwangsarbeitslager. In der lokalen Bevölkerung ist die Existenz der Einrichtung in Vergessenheit geraten

Bevor der Steinbruch 1938 arisiert wurde, waren es Betriebsbaracken und „Gefolgschaftsräume“. Ab 1944 wurden hier ungarische Juden untergebracht. Leo Ramharter (ÖVP), seit zwei Jahren Bürgermeister von Pulkau, sagte, er habe erst im Zuge der Recherchen des Bundesdenkmalamts von dem Lager erfahren.

Über 2.000 NS-Orte in ganz Österreich

Das Bundesdenkmalamt verfolgt seit einigen Jahren ein großes Projekt: Eine Liste aller NS-Orte in ganz Österreich: Zwangsarbeitslager, KZ-Außenstellen, Kriegsgefangenenlager. „Fremdvölkische Kinderheime“ für die Kinder, die die im Lande eingesetzten Zwangsarbeiterinnen bekommen, und die ihnen gleich nach der Geburt abgenommen wurden.

Mehr als 2.000 solcher Orte gibt es im ganzen Land. Mehr als tausend davon hat man bisher verorten können, aufgrund schriftlicher Quellen und Zeitzeugenberichte.

Auf einer interaktiven Karte kann man nachsehen, wo in unmittelbarer Umgebung dieser Aspekt der NS-Maschinerie stattgefunden hat. Allein in Wien gab es rund 700 Lager, wo Menschen für Sklavenarbeit untergebracht wurden, oder zur Deportation.

Denkmalschutz der anderen Art

Für Paul Mahringer, den Projektleiter beim Bundesdenkmalamt, steht außer Frage, dass Denkmalschutz nicht nur etwas mit Barockschlössern zu tun hat, wie er sagt, sondern auch mit den Orten des NS-Terrors. Seit den 2000er Jahren sei das Bundesdenkmalamt mit Berichten über NS-Einrichtungen in Österreich konfrontiert gewesen, sagte Mahringer gegenüber ORF.at.

Vor etwa zwei Jahren fiel der Startschuss für die kartografische Erfassung der Einrichtungen. „In der Literatur wird immer von den Lagern gesprochen, in der zeitgeschichtlichen Forschung hat man sich aber in den wenigsten Fällen mit den Orten selbst auseinandergesetzt“, so Mahringer.

Liste vergessener NS-Orte in Österreich

Viele Einrichtungen und Opfer der NS-Zeit sind mittlerweile in Vergessenheit geraten. Das Bundesdenkmalamt arbeitet nun an einem Verzeichnis der Orte. 2.000 dieser Plätze sind bereits in das Verzeichnis aufgenommen – teilweise erinnern noch bauliche Reste an diese Lager.

Ein Viertellaib Brot für drei Menschen

Das Lager in Pulkau war klein. Rund 30 Personen waren untergebracht. Die Bewachung bestand nur aus einem alten Mann mit einem Schäferhund. Aber wohin wollte man schon fliehen? In Pulkau ging es nicht um Vernichtung, aber es ging trotzdem ums Leben. „Das Essen? Drei haben zusammen ein Viertellaib Brot bekommen. Dazu eine Kartoffel pro Kopf. Im Winter hatten wir Kraut, Sauerkraut. Aber es war ohne Salz, und im März war das faul. Schrecklich“, berichtete die Zeitzeugin Magda Großberger.

„Jeder von uns musste täglich drei kleine Waggons schaffen. Immer um fünf Uhr nachmittags wurde gesprengt, am nächsten Tag musste man die Steine, wenn gut gesprengt war, in die Waggons schmeißen. Wenn große Steine da waren, musste man sie zerschlagen. Am ersten Tag konnte ich den Hammer nicht einmal aufheben, aber das lernt man“, erinnerte sich der Jude Halpert Benö, der im Lager zur Zwangsarbeit gezwungen wurde.

Die Bevölkerung wurde zum Wegschauen angehalten. Nicht alle hielten sich daran. Eine Nachbarin erinnert sich an die Zeit damals: „Meine Mutter hat eine Ziege gehabt, und da haben wir öfter eine Kanne Milch vor die Tür gestellt am Abend, damit es niemand gesehen hat. Wir waren gewarnt worden, ja keinen Kontakt zu halten.“

Eine Geschichte von Rettung, Hilfe und Widerstand

Die Jüdinnen und Juden von Pulkau überlebten. Der Betriebsleiter, ein Herr Liko, schaffte es immer wieder, ihre „Evakuierung“ ins KZ zu verzögern, schließlich gelang es ihm, sie mit Hilfe eines gefälschten Bescheids in den offiziellen Listen verschwinden zu lassen. Und dann marschierte bereits die Rote Armee ein.

Eigentlich ist die Geschichte des Lagers in Pulkau auch eine, die von Rettung, Hilfe und möglichem Widerstand erzählt. Und doch wird sie nach dem Krieg schnell verdrängt, dann vergessen. Nicht mehr denken an diese Zeit, und nicht mehr darüber reden.