Der ehemalige Vizekanzler und Justizminister Wolfgang Brandstetter
ORF
Chats mit Pilnacek

Brandstetter verteidigt seine Antworten

Die Veröffentlichung der Chats des suspendierten Sektionschefs Christian Pilnacek mit dem Höchstrichter Wolfgang Brandstetter hat die Justiz schwer erschüttert. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) konnte mit dem Rücktritt Brandstetters aber schon am Freitag einen „Schlussstrich“ ziehen – Präsident Christoph Grabenwarter hatte sich „erschrocken und bestürzt“ gezeigt. Der Ex-ÖVP-Justizminister verteidigte sich im Interview mit der ZIB2 – er selbst habe „nichts wirklich Schlimmes gesagt“.

Er teile die Einschätzung Grabenwarters und verwies gleichzeitig darauf, die „unsäglichen, rassistischen, sexistischen Äußerungen“ nicht gemacht zu haben, so Brandstetter. Die Außerungen seien „völlig inakzeptabel“, und er „finde sie echt zum Kotzen“ – entsprechend werde man solche Äußerungen von ihm „nicht finden“. Er habe Pilnacek, der „Frust abgeladen“ habe, in vertraulichem Rahmen „beruhigen“ wollen, rechtfertigte Brandstetter seine in den Chatverläufen geäußerten Reaktionen.

Zum Vorwurf, wonach er doch anders hätte antworten können, klar Stellung beziehen bzw. Pilnaceks Äußerungen entgegnen können, verwies Brandstetter auf die private Chatsituation unter zwei befreundeten Personen. Hätten solche Unterredungen zumindest auch nur im „halböffentlichen“ Kontext stattgefunden bzw. wäre noch eine weitere Person beteiligt gewesen, dann hätte er wohl „entsprechend reagiert“ und anders kommuniziert, so Brandstetter sinngemäß.

„Aus dem Kontext herausgerissen“

Die von Pilnacek geschriebenen Chatnachrichten über den Wunsch nach „Export des VfGH nach Kuba“ und die Beschimpfung einer Kollegin als „Müllfrau“ hatte Brandstetter sehr lapidar beantwortet („Heut bist echt giftig“). Brandstetter dazu: „Mir sind solche rassistischen und sexistischen Außerungen wirklich fremd“, solche Gedanken seien abzulehnen, so Brandstätter, doch zähle hier wiederum der private Rahmen.

Verfassungsrichter Brandstetter im Interview

Der scheidende Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter spricht über die Chatnachrichten zwischen ihm und Ex-Sektionschef Christian Pilnacek und entschuldigt sich für rassistische Äußerungen in den Chats.

In so einer privaten Situation zu sagen, „lieber Freund, so geht das nicht, jetzt breche ich alle Beziehungen mit dir ab“ – das sei wohl nicht zu erwarten, so Brandstätter. Auch hielt der Ex-ÖVP-Justizminister fest, dass seine Chats in der ersten Darstellung „aus dem Kontext herausgerissen worden“ seien, sodass man die Äußerungen Pilnaceks für die seinen habe halten können. Überhaupt schmerze ihn, dass die Chats in die Medien gelangt sind.

Alle für das laufende Verfahren gegen ihn und Pilnacek relevanten Chats seien „entlastend“, so Brandstetter („Tatverdacht hat sich entkräftet“). Das gehöre gesagt, „dann können wir über die anderen Chats auch reden“, so Brandstetter. Ebendiese seien für das Verfahren nicht relevant, hielt Brandstetter fest. Drüberhinaus verwies er darauf, mit Pilnacek keinen Kontakt mehr zu haben.

„Dient Gerichtshof am besten, indem er Amt niederlegt“

Ursprünglich hatte VfGH-Präsident Grabenwarter Brandstetter nach Bekanntwerden der Chats zu einer Aussprache gebeten. Dieser hatte jedoch noch zuvor selbst die Reißleine gezogen und am Donnerstag seinen Rückzug aus dem VfGH mit Ende Juni bekanntgegeben. Brandstetter sei bereits am Donnerstag an ihn herangetreten und habe „von sich aus erkannt, dass die Situation eine ist, in der er dem Gerichtshof am besten dient, indem er sein Amt niederlegt“, so Grabenwarter gegenüber dem Ö1-Morgenjournal.

Der Rücktritt und der Konsens über dessen Notwendigkeit habe „ihn und mich entbunden, einzelne Äußerungen zu analysieren“, so der VfGH-Präsident über den Inhalt der Chats. Er strich ohne explizite Bezugnahme aber heraus, dass eine Herabwürdigung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts oder ihrer beruflichen Tätigkeit in einer Demokratie keinen Raum haben sollten, darüber habe es in dem Gespräch auch Einigkeit gegeben.

VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter
ORF.at/Christian Öser
VfGH-Präsident Grabenwarter äußerte sich am Freitag zu den Chats zwischen Pilnacek und Brandstetter

„Loyalitäten abstreifen“

Am Freitag traf Grabenwarter seinen scheidenden Richterkollegen noch zu einem Gespräch über organisatorische Fragen. Brandstetter wird bei der am Montag beginnenden nächsten Session des Höchstgerichts noch an einer Beratung in kleiner Besetzung (also nicht des ganzen Plenums) teilnehmen. Die Session ist jedenfalls nicht gefährdet. Denn neben den 14 VfGH-Mitgliedern gibt es sechs Ersatzmitglieder, die einspringen, wenn ein Mitglied verhindert ist – oder auch, wenn ein Posten länger vakant ist.

Für Nachbesetzungen gibt es keine Fristen – nur die eine, dass ab dem Zeitpunkt der Vakanz die Stelle binnen eines Monats ausgeschrieben werden muss. Der VfGH muss dafür der nominierenden Stelle – im Falle Brandstetters ist das der Bundeskanzler, weil die Bundesregierung das Vorschlagsrecht hat – mitteilen, dass eine Richterstelle frei geworden ist.

Der Verfassungsgerichtshoff am 11. Dezember 2020
APA/Georg Hochmuth
Der VfGH wird mit Brandstetters Rückzug bald ein neues Mitglied bekommen

Zu parteipolitischem Einfluss betonte Grabenwarter im Ö1-Morgenjournal, dass Höchstrichterinnen und Höchstrichter keiner Partei dienen dürften. Es sei wichtig, Loyalitäten gegenüber jenen abzustreifen, die einen gewählt hätten. „Da bildet sich im Gericht eine Kultur heraus, dass man einander gegenseitig kontrolliert“ und die Überlegungen nicht in das Gericht einfließen lasse. Gleichzeitig sei es normal, dass Höchstrichterinnern und Höchstrichter von politischen Organen ernannt würden – das sei auf der ganzen Welt der Fall.

Frage des öffentlichen Interesses

Zu der von Brandstetter im Zuge seines Rücktritts geäußerten Kritik an der Veröffentlichung der Chats per se verwies Grabenwarter darauf, dass eine Veröffentlichung „sehr vom Inhalt einer Äußerung“ und „vom Vertrauen in die Vertraulichkeit des Kommunikationsvorgangs“ abhänge. Er verwies auf den Grundrechtsschutz, der auch einem Richter zustehe und insbesondere auf einen sensiblen Umgang des Staates mit Daten abziele.

Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter (ÖVP)
APA/Georg Hochmuth
Brandstetter gab am Donnerstag seinen Rückzug vom VfGH bekannt – kritisierte aber zugleich die Veröffentlichung der Chats

Grabenwarter führte aber auch an, es gehe etwa „um Gesundheitsinformationen auf der einen Seite, wo man sehr, sehr sensible Daten hat, die unter Ausnahme und unter Umständen öffentlich werden können, oder geht es um Informationen von allgemeinem öffentlichen Interesse“. Alle Staatsorgane, die mit vertraulichen Informationen betraut sind, seien zu einem sensiblen Umgang damit aufgerufen.

Gerichtspräsidenten finden deutliche Worte

„Die Aufsehen erregenden Ereignisse der letzten Tage“ veranlassten am Freitag auch die drei Präsidenten und die Präsidentin der vier Oberlandesgerichte (OLG) zu einer nicht alltäglichen gemeinsamen Stellungnahme. „Wir distanzieren uns nachdrücklich von jeder Art der Herabwürdigung, Beschimpfung und Schmähung des Verfassungsgerichtshofs, seiner Mitglieder und seiner Entscheidungen“, hieß es.

Verfasst wurde die Erklärung von Katharina Lehmayer (OLG Linz), Manfred Scaria (OLG Graz), Klaus Schröder (OLG Innsbruck) und Gerhard Jelinek (OLG Wien). Die drei Präsidenten und die Präsidentin weisen darin „alle Versuche zurück, aus parteipolitischen, persönlichen oder populistischen Gründen das Vertrauen in die Justiz, insbesondere auch in die zur gesetzlichen Strafverfolgung berufenen Staatsanwaltschaften und ihre Amtsträger*innen, zu erschüttern“.

Richter, Staatsanwälte und alle Mitarbeiter der Justiz würden einen Diensteid ablegen, die Verfassung und die Gesetze der Republik ohne Ansehen der Person, des Standes, des Geschlechts, der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung, der Herkunft und der wirtschaftlichen oder politischen Macht zu achten. „Diese Verpflichtung wird in höchstem Maße ernst genommen, eingefordert und laufend überprüft“, so die Gerichtspräsidenten.

Personalinterventionen „erfolglos“

Außerdem betonten sie, dass politische Interventionen bei Ernennungsvorgängen bei Gerichten den ethischen Richtlinien „massiv“ widersprächen. Solche Versuche würden überdies bei den unabhängigen richterlichen Personalsenaten auch erfolglos sein.

Zwar wird in der Aussendung der Gerichtspräsidenten niemand namentlich genannt. Jedoch machte in den Anfang der Woche an die Öffentlichkeit gelangten Chats Pilnacek keinen Hehl daraus, dass er sich um Unterstützung für seine Frau bei der Präsidentenernennung am OLG Graz bemüht hatte. So macht er den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) auf sie aufmerksam – allerdings ohne Erfolg.

der suspendierte Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek
APA/Helmut Fohringer
Pilnaceks Chat-Nachrichten zogen in den vergangenen Tagen viel Kritik nach sich

Justizministerin erwägt Nachtragsanzeige

Der mutmaßliche Interventionsversuch Pilnaceks war freilich nur ein Aspekt unter mehreren, der in den vergangenen Tagen öffentlich für Aufregung gesorgt hatte. So schlug Pilnacek in einem Chat mit Brandstetter den „Export“ des VfGH nach Kuba vor und äußerte sich abfällig über zwei Richterinnen. Auch inhaltliche Kritik äußerte Pilnacek. Er kritisierte etwa die Urteile zur Sterbehilfe und zum Kopftuchverbot. An einer Stelle sprach er von einem „vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat“.

Pilnacek wurde bereits Ende Februar suspendiert, als bekanntwurde, dass gegen ihn wegen möglicher Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt wird. Darüber, ob Pilnacek dauerhaft suspendiert wird, entscheidet derzeit das Bundesverwaltungsgericht. Die im Beamtenministerium von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) angesiedelte Bundesdisziplinarkommission hatte Ende März entschieden, dass eine dauerhafte Suspendierung nicht rechtens sei. Das Justizministerium hatte wiederum dagegen Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht.

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) wartet nun auf die Entscheidung – und erwägt angesichts des Chats eine Nachtragsanzeige. Was darin vorgebracht werden soll, wollte man in Zadics Büro am Freitag allerdings nicht verraten.

VfGH-Präsident „erschrocken und bestürzt“

Grabenwarter zeigte sich am Freitag „erschrocken und bestürzt“ über manche Äußerungen Pilnaceks. „Herabwürdigende Äußerungen über Menschen aus Gründen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer beruflichen Tätigkeit haben in einer demokratischen Debatte keinen Platz, und in einer demokratischen Gesellschaft sollte dafür kein Raum sein“, sagte er im Ö1-Morgenjournal.

Die Äußerung Pilnaceks, wonach dieser einem „vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat“ nicht mehr „dienen“ könne, sei aufs Schärfste zurückzuweisen, so Grabenwarter. Der VfGH leite den Rechtsstaat nicht fehl, sondern sei eine „große Stütze“. Inhaltliche Kritik sei aber „völlig legitim“. So sei die Sterbehilfe eine schwierige Entscheidung gewesen, mit der juristisches Neuland betreten worden sei. Wesentlich sei, dass auf „derartige Äußerungen“ eine entsprechende Reaktion und eine zivilgesellschaftliche, mediale Diskussion komme. Und das sei der Fall, weswegen er die Situation „entspannter“ sehe.

NEOS und ÖVP im Clinch

Die Veröffentlichung der Chats ließ am Freitag auch den Schlagabtausch zwischen NEOS und ÖVP weitergehen. Nachdem die Oppositionspartei zugegeben hatte, die vertraulichen Ausschussdokumente zu den Chats von Pilnacek an Medien weitergegeben zu haben, warf ÖVP-Fraktionschef Andreas Hanger NEOS am Freitag „hinterhältige Politik“ vor. NEOS würde „Gesetze brechen“. Man habe die Sache der Parlamentsdirektion zur Kenntnis gebracht, so Hanger.

NEOS rechtfertigte, das sei im „Interesse der Republik notwendig gewesen, um die Integrität der Justiz und des Verfassungsgerichtshofes sicherzustellen“. Der stellvertretende NEOS-Klubobmann Niki Scherak, bezeichnete es als „einigermaßen skurril, dass sich ausgerechnet die ÖVP, die nicht nur nachgewiesenermaßen selbst mehrmals Akten geleakt, sondern auch mit der Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze klar das Gesetz gebrochen hat, nun so echauffiert“.

Chat-Protokolle als Zankapfel

Um die Veröffentlichung der Chats zwischen Ex-Justizminister Brandstetter und dem derzeit suspendierten Sektionschef Pilnacek ist jetzt auch ein Streit zwischen ÖVP und NEOS entstanden. NEOS sieht ein öffentliches Interesse, wenn ein Sektionschef die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs nicht akzeptiere. Die ÖVP wirft NEOS eine hinterhältige Politik vor.

NEOS drohen jedenfalls vorerst keine Konsequenzen. Strafbar wäre eine Veröffentlichung ab der Klassifizierungsstufe 3 („geheim“). Die betroffenen Akten sind in Stufe 2 („vertraulich“) eingeordnet – eine Sanktionsmöglichkeit wäre ein Ordnungsruf des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Sobotka (ÖVP). Eingeräumt hatte die Verbreitung aber NEOS-Generalsekretär Nikola Donig, der kein Ausschussmitglied ist und damit keinen Ordnungsruf erhalten kann, so die Parlamentsdirektion zur APA. Möglich wäre ein Ordnungsruf für jene Person aus dem Ausschuss, die Donig die Akten gegeben hat – aber „dafür gibt es aktuell keine klare nachweisbare Verantwortlichkeit“.

SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried wiederum nahm die Ereignisse zum Anlass für scharfe Kritik an der ÖVP: Er warf der Kanzlerpartei vor, „Krieg“ gegen die Justiz zu führen und diese „systematisch zu diffamieren“. Er forderte die Justizministerin auf, „dem entgegenzutreten, damit die Richter und Staatsanwälte wissen, dass jemand hinter ihnen steht“.