Vizekanzler Werner Kogler
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„Breiter sondieren“

Kogler für „Zurückhaltung“ bei VfGH-Nachfolge

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) legt sich in der Frage, ob ÖVP oder Grüne den Nachfolger von Wolfgang Brandstetter als Verfassungsrichter nominieren sollen, nicht fest. „Ich glaube, wir sind grad in Zeiten, wo man sich ein bisschen zurückhalten muss, was alleinige politische Einflussnahmen betrifft, und vielleicht muss man ja auch breiter sondieren“, sagte er im Ö1-Morgenjournal am Samstag. Zu den Ermittlungen gegen Sebastian Kurz (ÖVP) meinte er: „Ein verurteilter Bundeskanzler ist tatsächlich nicht vorstellbar.“

Kogler wolle hier nicht spekulieren, all das werde Gegenstand von Beratungen sein. „Und man wird ja sehen, was es da für Möglichkeiten gibt“, so der Vizekanzler und Grünen-Chef. Den Rücktritt Brandstetters bezeichnete er als eine Frage von „Sinnhaftigkeit, um nur zu sagen Notwendigkeit“. „Es hätte ja früher oder später ohnehin die Entwicklung genommen“, so Kogler.

Formal muss Brandstetters Nachfolger oder Nachfolgerin von der Bundesregierung dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen werden. In der politischen Realität teilen sich Koalitionspartner das Vorschlagsrecht auf. Brandstetter kam unter Türkis-Blau auf ÖVP-Vorschlag in den VfGH.

Somit saßen bisher VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter und fünf andere Mitglieder auf ÖVP-Tickets, fünf auf SPÖ-Tickets, zwei wurden von der FPÖ vorgeschlagen und die Vizepräsidentin Verena Madner von den Grünen. Zeit haben ÖVP und Grüne genug: Für Nachbesetzungen gibt es keine Fristen – nur die eine, dass ab dem Zeitpunkt der Vakanz die Stelle binnen eines Monats ausgeschrieben werden muss. Die nächste reguläre Neubesetzung wäre erst im Jahr 2025 (wenn Verfassungsrichterin Claudia Kahr die Altersgrenze von 70 Jahren erreicht) angestanden, also nach der nächsten Wahl.

Kogler zu Pilnacek: „Disqualifiziert“

Brandstetter selbst distanzierte sich indes stärker von den Äußerungen des suspendierten Justizsektionschefs Christian Pilnacek. „Ich finde solche Äußerungen, um einen Klassiker von Helmut Zilk zu zitieren, echt zum Kotzen“, meinte er Freitagabend in der ZIB2.

Für Kogler hat sich Pilnacek mit seinen „inakzeptablen“ Äußerungen zum Verfassungsgerichtshof (VfGH) in den Chats disqualifiziert. Er erinnerte daran, dass seitens des Justizministeriums eine Nachtragsanzeige geprüft werde. Was darin vorgebracht werden soll, wollte man im Büro der Justizministerin Alma Zadic am Freitag allerdings nicht verraten. Zadic habe sich mit vollem Elan vor die Justiz gestellt, betonte er. Er betonte auch, dass die Grünen dafür sorgen würden, dass die „Justiz unabhängig – in diesem Fall die Staatsanwaltschaften – ermitteln kann“.

Pilnacek wurde bereits Ende Februar suspendiert, als bekanntwurde, dass gegen ihn wegen möglicher Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt wird. Darüber, ob Pilnacek dauerhaft suspendiert wird, entscheidet derzeit das Bundesverwaltungsgericht. Die im Beamtenministerium von Kogler angesiedelte Bundesdisziplinarkommission hatte Ende März entschieden, dass eine dauerhafte Suspendierung nicht rechtens sei. Das Justizministerium hatte wiederum dagegen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht.

ÖVP-Angriffe für Kogler „seltsame Verhaltensweise“

Pauschale Angriffe auf wichtige Institutionen des Rechtsstaats oder auch gegen U-Ausschüsse seitens seines Koalitionspartners ÖVP verurteilte Kogler überdies als „seltsame Verhaltensweise“. Das sei auch nicht von Erfolg gekrönt, und seine Prognose schon aus der Vergangenheit sei, „dass sich das die ÖVP wieder abgewöhnen wird“.

Der Beleg für ihn: „Es ist schon ein Unterschied, ob da ein Abgeordneter, wo wir nicht wissen, was die dem in den Tee gegeben haben, hier herumfuhrwerkt, oder ob das von der Parteispitze ausgeht“, sagte Kogler, ohne den wohl gemeinten ÖVP-Fraktionsvorsitzenden im „Ibiza“-U-Ausschuss, Andreas Hanger, beim Namen zu nennen.

Verurteilter Bundeskanzler „nicht vorstellbar“

Was passiere, wenn es zu der im Raum stehenden Anklage gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen Falschaussage im U-Ausschuss kommt, ließ Kogler unbeantwortet. Man solle die Justiz ihre Arbeit machen lassen, dann sehe man, ob es zu einem Strafantrag komme oder nicht. Sollte es allerdings zu einer Verurteilung kommen, „dann sind wir schon in anderen Regionen der Beeinträchtigung der Amtsfähigkeit“, so der Vizekanzler: „Da würde ich meinen, dass sich das nicht ausgehen wird. Also ein verurteilter Bundeskanzler ist tatsächlich nicht vorstellbar.“

Brandstetter verteidigt sich

Der Ex-ÖVP-Justizminister Brandstetter sagte am Freitag im ZIB2-Interview auch, dass er „nichts wirklich Schlimmes gesagt“ habe. Er teile die Einschätzung von VfGH-Präsident Grabenwarter und verwies gleichzeitig darauf, die „unsäglichen, rassistischen, sexistischen Äußerungen“ nicht gemacht zu haben, so Brandstetter. Die Äußerungen seien „völlig inakzeptabel“. Er habe Pilnacek, der „Frust abgeladen“ habe, in vertraulichem Rahmen „beruhigen“ wollen, rechtfertigte Brandstetter seine in den Chatverläufen geäußerten Reaktionen.

Verfassungsrichter Brandstetter im Interview

Der scheidende Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter spricht über die Chatnachrichten zwischen ihm und Ex-Sektionschef Christian Pilnacek und entschuldigt sich für rassistische Äußerungen in den Chats.

Zum Vorwurf, wonach er doch anders hätte antworten können, klar Stellung beziehen bzw. Pilnaceks Äußerungen entgegnen können, verwies Brandstetter auf die private Chatsituation unter zwei befreundeten Personen. Hätten solche Unterredungen zumindest auch nur im „halböffentlichen“ Kontext stattgefunden bzw. wäre noch eine weitere Person beteiligt gewesen, dann hätte er wohl „entsprechend reagiert“ und anders kommuniziert, so Brandstetter sinngemäß.

„Aus dem Kontext herausgerissen“

Die von Pilnacek geschriebenen Chatnachrichten über den Wunsch nach „Export des VfGH nach Kuba“ und die Beschimpfung einer Kollegin als „Müllfrau“ hatte Brandstetter sehr lapidar beantwortet („Heut bist echt giftig“). Brandstetter dazu: „Mir sind solche rassistischen und sexistischen Äußerungen wirklich fremd“, solche Gedanken seien abzulehnen, so Brandstetter, doch zähle hier wiederum der private Rahmen.

In so einer privaten Situation zu sagen, „lieber Freund, so geht das nicht, jetzt breche ich alle Beziehungen mit dir ab“ – das sei wohl nicht zu erwarten, so Brandstetter. Auch hielt der Ex-ÖVP-Justizminister fest, dass seine Chats in der ersten Darstellung „aus dem Kontext herausgerissen worden“ seien, sodass man die Äußerungen Pilnaceks für die seinen habe halten können. Überhaupt schmerze ihn, dass die Chats in die Medien gelangt sind.

Alle für das laufende Verfahren gegen ihn und Pilnacek relevanten Chats seien „entlastend“, so Brandstetter („Tatverdacht hat sich entkräftet“). Das gehöre gesagt, „dann können wir über die anderen Chats auch reden“, so Brandstetter. Ebendiese seien für das Verfahren nicht relevant, hielt Brandstetter fest. Drüber hinaus verwies er darauf, mit Pilnacek keinen Kontakt mehr zu haben.

„Dient Gerichtshof am besten, indem er Amt niederlegt“

Ursprünglich hatte VfGH-Präsident Grabenwarter Brandstetter nach Bekanntwerden der Chats zu einer Aussprache gebeten. Dieser hatte jedoch noch zuvor selbst die Reißleine gezogen und am Donnerstag seinen Rückzug aus dem VfGH mit Ende Juni bekanntgegeben.

Brandstetter sei bereits am Donnerstag an ihn herangetreten und habe „von sich aus erkannt, dass die Situation eine ist, in der er dem Gerichtshof am besten dient, indem er sein Amt niederlegt“, so Grabenwarter gegenüber dem Ö1-Morgenjournal am Freitag. Der Rücktritt und der Konsens über dessen Notwendigkeit habe „ihn und mich entbunden, einzelne Äußerungen zu analysieren“, so der VfGH-Präsident über den Inhalt der Chats.

VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter
ORF.at/Christian Öser
VfGH-Präsident Grabenwarter äußerte sich am Freitag zu den Chats zwischen Pilnacek und Brandstetter

„Loyalitäten abstreifen“

Am Freitag traf Grabenwarter seinen scheidenden Richterkollegen noch zu einem Gespräch über organisatorische Fragen. Brandstetter wird bei der am Montag beginnenden nächsten Session des Höchstgerichts noch an einer Beratung in kleiner Besetzung (also nicht des ganzen Plenums) teilnehmen. Die Session ist jedenfalls nicht gefährdet. Denn neben den 14 VfGH-Mitgliedern gibt es sechs Ersatzmitglieder, die einspringen, wenn ein Mitglied verhindert ist – oder auch, wenn ein Posten länger vakant ist.

Der Verfassungsgerichtshoff am 11. Dezember 2020
APA/Georg Hochmuth
Der VfGH wird mit Brandstetters Rückzug bald ein neues Mitglied bekommen

Zu parteipolitischem Einfluss betonte Grabenwarter, dass Höchstrichterinnen und Höchstrichter keiner Partei dienen dürften. Es sei wichtig, Loyalitäten gegenüber jenen abzustreifen, die einen gewählt hätten.

Gerichtspräsidenten finden deutliche Worte

„Die aufsehenerregenden Ereignisse der letzten Tage“ veranlassten am Freitag auch die drei Präsidenten und die Präsidentin der vier Oberlandesgerichte (OLG) zu einer nicht alltäglichen gemeinsamen Stellungnahme. „Wir distanzieren uns nachdrücklich von jeder Art der Herabwürdigung, Beschimpfung und Schmähung des Verfassungsgerichtshofs, seiner Mitglieder und seiner Entscheidungen“, hieß es.

Verfasst wurde die Erklärung von Katharina Lehmayer (OLG Linz), Manfred Scaria (OLG Graz), Klaus Schröder (OLG Innsbruck) und Gerhard Jelinek (OLG Wien). Außerdem betonten sie, dass politische Interventionen bei Ernennungsvorgängen bei Gerichten den ethischen Richtlinien „massiv“ widersprächen. Solche Versuche würden überdies bei den unabhängigen richterlichen Personalsenaten auch erfolglos sein.

der suspendierte Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek
APA/Helmut Fohringer
Pilnaceks Chat-Nachrichten zogen in den vergangenen Tagen viel Kritik nach sich

Zwar wird in der Aussendung der Gerichtspräsidenten niemand namentlich genannt. Jedoch machte in den Anfang der Woche an die Öffentlichkeit gelangten Chats Pilnacek keinen Hehl daraus, dass er sich um Unterstützung für seine Frau bei der Präsidentenernennung am OLG Graz bemüht hatte. So macht er den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) auf sie aufmerksam – allerdings ohne Erfolg.

Der mutmaßliche Interventionsversuch Pilnaceks war freilich nur ein Aspekt unter mehreren, der in den vergangenen Tagen öffentlich für Aufregung gesorgt hatte. Auch inhaltliche Kritik äußerte Pilnacek. Er kritisierte etwa die Urteile zur Sterbehilfe und zum Kopftuchverbot. An einer Stelle sprach er von einem „vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat“.

SPÖ kritisiert Grüne scharf

„Seit die Grünen in der Koalition mit den Türkisen sind, haben sie nicht viel weitergebracht, waren aber stets bereit, die türkisen Fehltritte zu verteidigen“, sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch am Samstag in einer Aussendung. „Nicht einmal dort, wo es um Anstand und Korruptionsbekämpfung geht, können die Grünen über ihren Koalitionsschatten springen, um die Justiz gegen Hanger, Wöginger und Co. zu verteidigen."