NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
APA/AFP/Johanna Geron
„Werden Alliierte schützen“

NATO warnt Russland und Belarus

Nach der von belarussischen Behörden erzwungenen Landung eines Passagierflugzeugs aus der EU und den daraus resultierenden Spannungen hat die NATO Russland und Belarus gewarnt. „Wir sind natürlich bereit, im Ernstfall jeden Alliierten zu beschützen und zu verteidigen gegen jede Art von Bedrohung, die von Minsk und Moskau ausgeht“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg der „Welt am Sonntag“.

„Wir sind wachsam, und wir verfolgen sehr genau, was in Belarus passiert“, sagte Stoltenberg. Belarus werde „immer abhängiger“ von Russland. Stoltenberg sagte, die Alliierten seien über die engere Zusammenarbeit zwischen Moskau und Minsk in den vergangenen Monaten ernsthaft besorgt.

„Wir haben in der Vergangenheit erfahren müssen, dass Russland die territoriale Integrität von Staaten wie Ukraine, Georgien und Moldawien massiv verletzt hat“, so Stoltenberg weiter. Er wolle nicht zu viel spekulieren, sagte der frühere norwegische Ministerpräsident und fügte hinzu: „Die NATO ist eine defensive Allianz.“ Die NATO-Länder Litauen, Lettland und Polen haben eine gemeinsame Grenze mit Belarus.

EU erließ nach Flugzeugaffäre Sanktionen

Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hatte vor rund zwei Wochen eine Ryanair-Passagiermaschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius zur Zwischenlandung in Minsk zwingen lassen. Er ließ danach den an Bord reisenden regierungskritischen Blogger Roman Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega festnehmen. Beide sitzen in Haft.

Die EU erließ daraufhin Sanktionen, um den Druck auf Lukaschenko zu erhöhen. Russlands Präsident Wladimir Putin dagegen empfing Lukaschenko – und half ihm mit einem Großkredit. Putin betonte, Lukaschenko in der Konfrontation mit dem Westen weiter zu unterstützen.

Belarussicher Präsident Alexander Lukashenko mit russischem Präsidenten Vladimir Putin
AP/Pool Photo
Die NATO ist über die Allianz zwischen dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin besorgt

NATO hält an zweigleisigen Ansatz gegen Moskau fest

Stoltenberg sagte der Zeitung weiter, die Lage in Belarus werde auch Thema beim NATO-Gipfel in einer Woche in Brüssel sein, an dem neben der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel auch US-Präsident Joe Biden teilnehmen wird. Das bestehende Partnerschaftsabkommen (PFP) mit Belarus sei zuletzt deutlich zurückgefahren worden und werde weiterhin überprüft.

Gegenüber Russland verfolge die Allianz einen zweigleisigen Ansatz: Abschreckung und Dialog. „Daran halten wir fest.“ Gerade in schwierigen Zeiten müsse die NATO „mit unserem Nachbarn Russland“ im Gespräch bleiben über Waffenkontrolle und andere militärische und politische Herausforderungen, sagte Stoltenberg. „Wenn wir nicht miteinander reden, können wir weder unsere Streitigkeiten beilegen noch das gegenseitige Verständnis verbessern.“

Vor seiner ersten Reise nach Europa als US-Präsident und einem bevorstehenden Gipfeltreffen mit Putin bekräftigte Biden indes sein Bekenntnis zum transatlantischen Bündnis. In einem am Samstag erschienenen Gastbeitrag in der „Washington Post“ versprach Biden, die „demokratischen Allianzen“ der USA zu stärken, um auf die vielfältigen internationalen Krisen sowie die wachsende Bedrohung aus Russland und China zu reagieren.

Kurz zu Belarus: Nicht normal

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) äußerte sich bei der zentralen Diskussion des St. Petersburger Internationalen Wirtschaftsforums (SPIEF) am Freitag zu Belarus. Ein Flugzeug zur Landung zu zwingen, Menschen zu verhaften und per Folter Geständnisse zu erzwingen sei nicht normal, sagte Kurz, angesprochen auf den kürzlich auf dem Minsker Flughafen inhaftierten Blogger Protassewitsch. Der Moderator hielt Kurz zuvor vor, dass Protassewitsch als Teil des „Asow-Regiments“ und mit Hakenkreuz auf der Schulter in der Ostukraine gekämpft habe.

Warnung an Belarus

Die NATO sei über die immer engere Zusammenarbeit zwischen Moskau und Minsk besorgt, sagte General Jens Stoltenberg gegenüber der „Welt am Sonntag“, man werde jeden Alliierten schützen.

Der Vorhalt war teils faktisch fragwürdig: Protassewitschs Präsenz im ostukrainischen Frontgebiet vor einigen Jahren ist bekannt, belegt ist bisher lediglich, dass er als Journalist das rechtsradikale Regiment begleitete. Auch verwendet das Regiment Asow kein Hakenkreuz, sondern die Wolfsangel als Symbol. „Er ist kein Terrorist, sondern ein Blogger und Journalist“, erwiderte Kurz und verwies auf die Medienfreiheit.

Putin dementiert Involvierung russische Geheimdienste

Anschließend machte auch Putin seine Ansicht zur erzwungenen Landung des Ryanair-Flugs und der Verhaftung des Bloggers deutlich. Russische Geheimdienste seien nicht involviert gewesen, erklärte der russische Präsident. „Sollte das die Führung der NATO glauben, dann ist die NATO in Gefahr“, sagte er und erntete damit Applaus.

Lukaschenko habe ihm erklärt, dass keine Operationen vorweg geplant gewesen seien und man von der Präsenz Protassewitschs erst nach der Landung erfahren habe. „Ich möchte mich mit dieser Causa aber nicht beschäftigen, das betrifft uns überhaupt nicht“, sagte er und machte deutlich, dass er über Protassewitsch nichts wisse und auch nichts wissen wolle.

Inhaftierter lobt in Video Lukaschenko

Für Aufsehen sorgte zuletzt auch ein Interview mit Protassewitsch, das vermutlich unter Zwang entstanden war und im staatlichen belarussischen Fernsehen ausgestrahlt worden war. Darin bekennt sich der sich offensichtlich unwohl fühlende 26-Jährige dazu, zu Protesten aufgerufen zu haben, und lobt Machthaber Lukaschenko.

Der belarussische Staatssender ONT hatte am Donnerstagvormittag einen Trailer des Studiointerviews mit Protassewitsch veröffentlicht und dieses als „emotionales“ Spektakel beworben. Darin war Protassewitsch mit ernstem Gesicht zu sehen, im Hintergrund lief furchterregende Musik.

Die belarussischen Behörden werfen Protassewitsch vor, Demonstrationen gegen die Regierung nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr organisiert zu haben. Nach der von massiven Betrugsvorwürfen überschatteten Wahl hatte es beispiellose Massenproteste gegeben, die Staatschef Lukaschenko niederschlagen ließ. Tausende Demonstranten wurden festgenommen, viele berichteten über Folter.

In dem Interview gestand Protassewitsch, die Proteste organisiert zu haben. Er habe versucht, sagte der Inhaftierte, Lukaschenko zu stürzen. Nun habe er aber begonnen zu verstehen, „dass Lukaschenko das Richtige tat, und ich respektiere ihn auf jeden Fall“. Am Ende des Interviews brach Protassewitsch in Tränen aus und sagte, er hoffe, eines Tages zu heiraten und Kinder zu haben. Es sei sinnlos, wenn die Opposition zu weiteren Straßenprotesten aufrufe, sagte er.