Menschen in Oxford Street in London
APA/AFP/Tolga Akmen
Mutante in Großbritannien

Schlechte Vorzeichen für neue Lockerungen

Derzeit ist in Großbritannien noch die vollständige Öffnung am 21. Juni vorgesehen – die Delta-Variante des Coronavirus, die zuerst in Indien entdeckt worden ist, könnte dem Plan einen Strich durch die Rechnung machen. Laut britischer Regierung erwies sich die Mutante, die sich im Land breitmachte, um bis zu 40 Prozent ansteckender.

Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock sagte am Sonntag der BBC, die Variante B.1.617.2 sei verantwortlich für die nun wieder steigenden Infektionsfälle. Der „Wachstumsvorteil“ der Variante liege nach Erkenntnissen des Expertengremiums SAGE, das die Regierung berät, bei rund 40 Prozent. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen sei jedoch stabil und betreffe vor allem Ungeimpfte, sagte Hancock.

In Großbritannien ist nach derzeitigem Stand am 21. Juni die Lockerung sämtlicher Coronavirus-Maßnahmen geplant. Die Delta-Variante erschwere es, Vorhersagen zu machen, räumte Hancock ein. „Wir werden uns die Daten für eine weitere Woche ansehen und dann eine Entscheidung fällen“, sagte er. Die Regierung sei „absolut offen“ dafür, die Lockerungen zu verschieben.

Schutz durch Impfung

Dass dieses Szenario immer realistischer wird, zeigt das Beispiel Wales. Die Bewohnerinnen und Bewohner der britischen Provinz mussten sich bereits auf eine Verschiebung einstellen. Der walisische Regierungschef Mark Drakeford hatte die Verzögerung der örtlichen Öffnung am Freitag bekanntgegeben. So soll Zeit gewonnen werden, bis mehr Menschen geimpft sind. „Das ist unsere beste Verteidigung gegen die neue Variante“, sagte Drakeford. Auch Schottland schob Lockerungen bereits aus Sorge vor der Ausbreitung der Delta-Variante in vielen Teilen des Landes auf.

Studierende stellen sich für Impfung an
Reuters/Henry Nicholls
Anstehen für die Impfung in London: Die Immunisierung als Schlüssel zur Öffnung

Nach derzeitigem Erkenntnisstand seien aber jene Personen, die bereits vollständig gegen das Coronavirus geimpft sind, auch gegen die Mutante geschützt, sagte Hancock am Sonntag.

Risiko für schwere Verläufe

Nicht nur die Ansteckungsgefahr, auch das Risiko schwerer Krankheitsverläufe könnte durch B.1.617.2 höher sein. Laut einer Risikoeinschätzung von Public Health England könnte das Risiko für Krankenhauseinlieferungen wegen der Mutante steigen, hieß es am Freitag. Einige Regionen zeigten einen Anstieg von Krankenhauseinlieferungen, allerdings ließe sich der nationale Trend noch nicht abschätzen, so die Behörde.

Menschen in Londoner Restaurant
Reuters/Henry Nicholls
Die Britinnen und Briten freuen sich schon jetzt über zahlreiche Lockerungen. Ob die komplette Öffnung am 21. Juni hält, ist offen

Zwar dürften Impfungen gegen die Mutante wirken, allerdings wohl weniger effizient als gegen andere Varianten. Der Impfschutz dürfte laut Public Health England nach der zweiten Dosis bei Delta aber deutlich besser sein als nach nur einer Dosis – allerdings ist er wohl auch dann noch etwas niedriger als etwa bei der Stammvariante.

WHO hofft auf Industriestaaten

Der britische Premier Boris Johnson hatte am Samstag die sieben wichtigsten Industrienationen (G-7) dazu aufgerufen, es zu ermöglichen, die gesamte Weltbevölkerung bis Ende nächsten Jahres zu impfen. „Das wäre die größte Heldentat der medizinischen Geschichte“, so Johnson. Die Produktion von Impfstoffen solle hochgefahren, die Hürden für die internationale Verteilung sollten gesenkt und die Abgabe an ärmere Länder über die internationale Covax-Initiative erhöht werden. „Wundervoll“ sei dieser Appell Johnsons, sagte am Sonntag der Covid-19-Beauftragte der Weltgesundheitsorganisation (WHO), David Nabarro, dem Sender Sky News. Es erhöhe die Hoffnung, dass die Regierungen der Industrienationen tatsächlich einen Plan dazu entwerfen würden.

Johnsons Regierung wird aber ebenso wie der US-Regierung von anderen Ländern vorgeworfen, bisher – anders als die EU – so gut wie keine Impfstoffe exportiert zu haben. Bei der Abgabe von Impfdosen ist in Großbritannien nur von überschüssigen Dosen die Rede. Viele Industriestaaten haben deutlich mehr Impfdosen eingekauft als für die eigene Bevölkerung nötig, da in der Entwicklungsphase noch nicht klar war, welche Mittel die Zulassung bekommen würden. Während erste Staaten schon die Mehrheit ihrer Bevölkerungen geimpft haben, ist in ärmeren Ländern noch nicht einmal das medizinische Personal immunisiert.