Ein US-Soldat neben einer MQ-9 Reaper-Drohne auf der Kandahar Air Base in Afghanistan
Reuters/Omar Sobhani
Afghanistan

US-Abzug bringt CIA unter Zugzwang

Der schnelle Abzug der US-Truppen aus Afghanistan setzt den US-Geheimdienst CIA unter Zugzwang. Er muss neue Stützpunkte in Nachbarländern suchen, von denen aus er seine Operationen durchführen kann. Die Aussichten stehen allerdings schlecht. Und die militant-islamistischen Taliban nutzen die Gunst der Stunde.

US-Präsident Joe Biden hatte einen vollständigen Truppenabzug aus Afghanistan bis spätestens 11. September angekündigt, dem 20. Jahrestag der Terroranschläge von New York und Washington, die Ausgangspunkt der US-Intervention in Afghanistan waren. Die US-Armee gab bereits mehrere Militärstützpunkte auf. Laut US-Verteidigungsminister Lloyd Austin liegen die USA beim Abzug leicht vor dem Zeitplan. Rund 30 bis 44 Prozent des Abzugs seien bereits abgeschlossen.

Damit verliert auch die CIA, die das Herzstück der knapp 20-jährigen amerikanischen Präsenz in Afghanistan bildete, sukzessive ihre Stützpunkte, von denen aus sie ihre Operationen zur Informationsbeschaffung und „Terrorismusbekämpfung“ durchführte. Dabei handelte es sich meistens um Drohneneinsätze. Die USA bemühen sich derzeit darum, neue Standorte rund um Afghanistan zu finden, und haben dabei vor allem Pakistan im Auge.

Grafik zu US-Truppen in Afghanistan
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: liveuamap/BBC/UNAMA

Pakistan und Ex-Sowjetrepubliken

CIA-Chef William Burns besuchte unlängst Islamabad, um sich mit der Führung des pakistanischen Militärgeheimdienstes ISI über einen US-Luftwaffenstützpunkt abzusprechen. Das berichtete die „New York Times“. Auch Austin habe mit dem pakistanischen Militärchef Qamar Javed Bajwa darüber telefoniert – bisher ohne Erfolg. Pakistans Außenminister Shah Mehmood Qureshi sagte, dass seine Regierung der CIA keine Operationsbasis zur Verfügung stellen werde.

afghanische Taliban-Kämpfer
APA/AFP/Javed Tanveer
Taliban-Kämpfer sind durch den bevorstehenden US-Abzug hoch motiviert

Die CIA führte seit 2004 von Pakistan aus Drohnenangriffe auf Anführer der Taliban und des Terrornetzwerks al-Kaida aus. Unter Ex-US-Präsident Barack Obama wurden die Einsätze ab 2009 intensiviert. Wegen vieler ziviler Opfer gerieten sie immer wieder in die Kritik. Kritisiert wurden die Angriffe auch deswegen, weil dabei Verdächtige ohne Gerichtsprozess getötet werden.

Die USA suchen laut „New York Times“ auch Stützpunkte in zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken, die an Afghanistan grenzen. Der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad wurde zu diesem Zweck nach Usbekistan und Tadschikistan geschickt, wo nach dem Afghanistan-Krieg in den 1990er Jahren amerikanische Truppen und Geheimdienstoffiziere untergebracht waren und die Taliban-Bewegung noch unterstützten. Es wird erwartet, dass der russische Präsident Wladimir Putin Standorte in diesen Ländern vehement ablehnen werde.

Netzwerk von Informanten

Aktuelle CIA-Berichte würden die Lage in Afghanistan zunehmend pessimistisch sehen, schrieb die „New York Times“. „Wenn die Zeit für den Rückzug des US-Militärs gekommen ist, wird die Fähigkeit der US-Regierung, Bedrohungen zu erkennen und darauf zu reagieren, abnehmen“, sagte Burns im April. „Das ist einfach eine Tatsache.“ Derzeit nutzt das Pentagon einen Flugzeugträger in der Region, um Operationen durchzuführen und den geplanten Truppenabzug zu decken.

CIA-Direktor William Burns
APA/AFP/Al Drago
CIA-Chef Burns warnt vor der zunehmenden Bedrohung

Außerdem ist nicht klar, ob das gesamte CIA-Personal aus Afghanistan abgezogen wird. Während offiziell etwa 3.300 Angehörige der US-Streitkräfte im Land stationiert sind, gibt es noch drei- bis viermal so viele Söldner, die für US-Vertragspartner arbeiten, darunter auch jene, die direkt an Operationen zur „Terrorismusbekämpfung“ beteiligt sind. Dessen ehemaliger Leiter Douglas London sagte, die CIA werde sich wahrscheinlich auf ein Netzwerk von Informanten in Afghanistan verlassen.

Zugleich heben CIA-Berichte einen Anstieg der Gewalt und den Vormarsch der Taliban im Süden und Osten hervor und warnen davor, dass Kabul innerhalb von Jahren an die Taliban fallen und zu einem sicheren Hafen für Militante werden könnte, die den Westen angreifen könnten. Umso wichtiger sei es, die Informationsbeschaffung auch nach der von Biden gesetzten Frist aufrechtzuerhalten, hieß es. Ein langfristiger Plan fehle derzeit aber.

Grafik zu US-Truppen in Afghanistan
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: liveuamap/BBC/UNAMA

Taliban auf dem Vormarsch

In den vergangenen Wochen gab es nahezu täglich Gefechte zwischen afghanischen Streitkräften und Taliban-Kämpfern, bei denen die islamistische Miliz zunehmend Gebiete eroberte. Erst am Montag gerieten zwei weitere Bezirke unter die Kontrolle der Islamisten. Damit sind seit Beginn des offiziellen Abzugs der internationalen Truppen am 1. Mai insgesamt zehn Bezirke an die Taliban gefallen – einer davon nur 30 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernt.

Beobachter hatten eine Intensivierung der Kämpfe vorausgesagt, sobald die internationalen Truppen mit ihrem Abzug beginnen. Die Taliban würden das „neue Schlachtfeld“ mit Sicherheit testen, hieß es. Die Islamisten seien angesichts des bevorstehenden US-Abzugs, ihrem Hauptziel in den vergangenen 20 Jahren, hoch motiviert. Afghanistan ist in rund 400 Bezirke in 34 Provinzen gegliedert. Einem jüngsten UNO-Bericht zufolge kontrollieren oder kämpfen die Taliban um die Kontrolle von geschätzten 50 bis 70 Prozent des Territoriums des Landes außerhalb der Städte.

Grafik zu US-Truppen in Afghanistan
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: liveuamap/BBC/UNAMA

Helfer ausländischer Truppen in Angst

Die Taliban forderten die Ortskräfte der ausländischen Streitkräfte in Afghanistan unterdessen dazu auf, im Land zu bleiben. Afghanen, die als Übersetzer, Wachen und anderweitig für die ausländischen Streitkräfte tätig gewesen seien, sollten für ihre vergangenen Handlungen Reue zeigen und sich in Zukunft nicht an solchen Aktivitäten beteiligen, hieß es in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung der Taliban. Sie sollten zu ihrem normalen Leben zurückzukehren. „Dann sollten sie von unserer Seite aus nicht in Gefahr sein.“

Mit dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan wächst bei den Ortskräften die Angst vor Rache der Taliban. Bisher wurden sie in offiziellen Taliban-Statements als „Sklaven der Invasoren“ und „Söldner“ bezeichnet. In den vergangenen Jahren wurden Dutzende getötet oder gefoltert. Zehntausende Ortskräfte haben das Land bereits verlassen; einige wurden von ihren früheren Arbeitgebern in Sicherheit gebracht.