Coronavirus-Teströhrchen in einem Labor
Reuters/Molly Darlington
Delta-Variante

Österreich muss „Zeitfenster“ nutzen

In Indien hat die Delta-Variante des Coronavirus das Gesundheitssystem zum Kollabieren gebracht, Großbritannien überlegt wegen der Verbreitung der Mutante, die geplante Öffnung am 21. Juni zu verschieben. Österreich verzeichne derzeit nur „sporadische“ Fälle der Variante, sagte der Virusimmunologe Andreas Bergthaler. Dieses „Zeitfenster“ müsse genutzt werden, um die Impfkampagne voranzutreiben.

Die Delta-Variante (B.1617.2) dürfte nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die bisher ansteckendste bekannte Coronavirus-Mutante sein. Zudem gibt es starke Hinweise darauf, dass die Variante die Immunantwort des menschlichen Körpers zumindest teilweise umgehen und so auch bei Genesenen potenziell zu einer neuerlichen Infektion führen kann. Erstmals festgestellt in Indien, konnte sie mittlerweile in 60 Ländern weltweit nachgewiesen werden.

In Europa ist vor allem Großbritannien betroffen. Dort habe sich „der Trend Ende März/Anfang April angekündigt“, sagte Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gegenüber ORF.at. Damals wurden in Großbritannien die ersten Übertragungen in der lokalen Bevölkerung verzeichnet.

Viele Menschen in Oxford Street in London
APA/AFP/Niklas Halle’n
In Großbritannien steigen die CoV-Fallzahlen wieder – Treiber ist die Delta-Variante

Öffnungstermin in Großbritannien wackelt

Mittlerweile ist B.1617.2 auf der Insel zur dominanten Variante aufgestiegen. Drei Viertel von 14.000 zwischen Mitte und Ende Mai sequenzierten Virusgenomen entfielen auf die Delta-Variante. Nach einer langen Phase des Rückgangs steigt die Zahl der Fälle in Großbritannien auch insgesamt wieder. Betroffen sind vor allem Ungeimpfte. Fachleute sprechen bereits vom Beginn einer dritten Welle.

Am 26. Mai wurden 3.542 Neuinfektionen gemeldet, so viele wie zuletzt am 12. April. Am Dienstag waren es 6.048. Und bis 21. Juni, dem Tag, an dem die britische Regierung eigentlich weitgehende Öffnungsschritte umsetzen wollte, dürfte die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf über 10.000 klettern. Inzwischen macht sich der Zuwachs auch in den Krankenhäusern bemerkbar. Erstmals seit Mitte Mai liegt die Zahl der Spitalspatientinnen und Spitalspatienten wieder über 1.000, berichtete die BBC am Donnerstag.

In einigen Regionen wurden die Maßnahmen bereits verschärft. Ob der Termin am 21. Juni hält, wird sich wohl Ende dieser Woche entscheiden. Dann treten die wissenschaftlichen Gremien zusammen, die die Regierung in der Pandemie beraten.

B.1617.2-Anteil in Österreich „verschwindend gering“

Anders stellt sich die Lage in Österreich dar. In den vergangenen Wochen ist B.1617.2 laut Bergthaler nur „sporadisch“ aufgetreten. Einige Fälle seien „reiseassoziiert“ gewesen, gehen also auf Reiserückkehrerinnen und Reiserückkehrer zurück. „Der Anteil von Fällen der Delta-Variante an den Gesamtinfektionszahlen ist in Österreich bisher relativ gering“, sagte der CeMM-Wissenschaftler.

Neue Namen für Varianten

Die WHO benennt die CoV-Varianten nun nach dem griechischen Alphabet. Damit soll vermieden werden, dass Länder oder Regionen mit bestimmten Virusvarianten in Verbindung gebracht und Menschen, die dort leben oder von dort kommen, diskriminiert werden.

Langfristig rechnet Bergthaler allerdings damit, dass sich die Delta-Variante in Teilen Europas durchsetzen könnte – sofern nicht noch infektiösere Mutanten auftreten. Britische Daten suggerierten, dass die Delta-Variante „um circa 50 Prozent infektiöser als die Alpha-Variante (B.1.1.7)“ sei, sagte Bergthaler, „und die war schon um 30 bis 60 Prozent infektiöser als die Normvariante davor.“

Plädoyer für rasches Durchimpfen

Ein Faktor, der entscheidet, wie schnell sich die Delta-Variante in Österreich durchsetzt, ist die Impfung. Britische Daten zeigen nämlich, dass die CoV-Impfstoffe von Biontech und Pfizer sowie AstraZeneca auch die Delta-Variante abdecken – aber nur, wenn man vollständig geimpft ist.

„Auch wenn eine gewisse Reduktion der Antikörperantwort besteht – wenn man beide Teilimpfungen erhalten hat, ist man vor der Delta-Variante sehr gut geschützt“, so Bergthaler. Allerdings zeigten die Studiendaten auch, dass Personen mit nur einer Teilimpfung deutlich schlechter geschützt sind. Das spiegelt sich aktuell in den britischen Spitalszahlen wider: Von landesweit 126 Patientinnen und Patienten mit der Delta-Variante waren nur drei vollimmunisiert, 28 hatten eine Impfdosis erhalten, der Rest war ungeimpft.

Bergthaler schätzt, dass Österreich ein bis zwei Monate gegenüber Großbritannien hinterherhinkt. „Das gibt uns ein Zeitfenster, um möglichst viele Menschen mit beiden Dosen zu impfen“, so der Wissenschaftler gegenüber ORF.at. „Je mehr wir jetzt schaffen zu impfen, umso schwieriger wird es für diese und auch zukünftige infektiösere Varianten, sich hier durchzusetzen.“