Pfegekraft in einem Spital
Getty Image/Digital Vision/Luis Alvarez
Durch CoV am Limit

Hälfte der Pflegekräfte denkt an Jobwechsel

Eine neue Studie liefert erneut alarmierende Erkenntnisse zur Lage der Kranken- und Pflegekräfte im Akutbereich in Österreich. Diese hat sich während der Pandemie eklatant verschlimmert. Fast die Hälfte denkt immer wieder an einen Berufsausstieg – in absoluten Zahlen wären das 27.700 Pflegekräfte.

Befragt wurden Beschäftigte im Krankenhausbereich während der dritten Welle der Coronavirus-Pandemie im März und April. Von ihnen gaben 86 Prozent in der repräsentativen Umfrage an, dass sich die Arbeitssituation durch das Coronavirus sehr stark oder stark verschlechtert hat.

85 Prozent leiden unter der erhöhten psychischen Belastung, die sich u. a. durch Stress, Ängste, Sorgen und Schlaflosigkeit zeigt. Auch körperlich macht sich die Situation bemerkbar, rund die Hälfte sieht sich sehr stark bis stark belastet. Angeführt werden Erschöpfung und zusätzliche oder verstärkte Schmerzen sowie andere körperliche Beschwerden. Laut den Studienautorinnen, der Diplomkrankenpflegerin Alexandra Gferer und der Soziologin Natali Gferer, seien die Betroffenen „am Limit“. Das unterstrichen sie auch im Gespräch mit dem ORF-„Report“.

Studienautorinnen sehen „erschreckende Zahl“

Die Studienautorinnen Alexandra Gferer und Natali Gferer – sie haben selbst einen familiären und persönlichen Hintergrund im Pflegebereich – sprachen auch mit dem ORF-„Report“ über die Studie.

Als größte Belastung wurde das erhöhte Arbeitspensum angegeben (81 Prozent), gefolgt von mehr organisatorischem Aufwand (59 Prozent), dem stundenlangen Tragen der Schutzausrüstung (57 Prozent), Personalmangel (55 Prozent) sowie der unabsehbaren Perspektive in der Pandemie (53 Prozent). Auch nach einem Jahr Pandemie sind mehr als die Hälfte der Meinung, dass sich die Arbeitssituation weiter verschlechtert hat.

Zwei Drittel erwogen bereits Jobwechsel

Unter diesen Vorzeichen wurde auch erhoben, wie viele Pflegekräfte sich einen Berufswechsel vorstellen können. Die Zahl ist alarmierend: Zwei Drittel der Gesundheits- und Krankenpflegekräfte haben zumindest einmal oder sogar schon öfters an einen Berufsausstieg gedacht. Fast die Hälfte erwägt sogar regelmäßig einen Jobwechsel. Auf absolute Zahlen umgelegt wären das mehr als 27.700 Pflegekräfte. Fünf Prozent bereiten derzeit aktiv ihren Branchenwechsel vor, sie gehen dem Pflegesystem verloren.

Grafik zu Pflegeberufen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Gferer & Gferer

Die Gründe dafür sind eindeutig: 55 Prozent führen eine zu geringe Entlohnung als Grund an, gefolgt von den Belastungen durch Personalmangel und dem Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance. Bemängelt werde in erste Linie die Entlohnung, weil sie Verantwortung und Ausmaß der Arbeit nicht gerecht werde, so Alexandra Gferer.

Von fehlendem Respekt bis zu Gewalt

Ein weiterer Punkt ist für rund die Hälfte der Ausstiegswilligen die fehlende Wertschätzung des Berufs. „Man könnte meinen, dass die Pandemie dazu beigetragen hat, dass die Gesellschaft sich mit der Pflege solidarisiert. Aber leider geben zwei Drittel an, dass sie sich nicht mehr von den Patientinnen respektiert fühlen. Und es sind sogar fast die Hälfte, die meinen, dass Gewalt von Patienten zugenommen hat“, so Natalie Gferer.

In der Umfrage berichten 60 Prozent von verbaler Gewalt wie Beleidigungen, Beschimpfungen und Drohungen. 17 Prozent waren auch von körperlicher Gewalt wie beispielsweise Schlägen, Tritten und Bissen betroffen. In absoluten Zahlen wären das 10.000 Pflegekräfte. Alexandra Gferer führte das unter anderem auf die Anspannung durch Covid-19, aber auch durch längere Wartezeiten und unklare Prozesse zurück.

Politik gefordert

„Was alle Gesundheits- und Krankenpflegepersonen spüren, wurde hier erstmalig in Zahlen gegossen“, so die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV), Elisabeth Potzmann. Jetzt sei es unumgänglich, langjährige Forderungen des Verbandes umzusetzen. Auch die Studienautorinnen bezeichneten die verbreitete Bereitschaft zum Jobwechsel als „erschreckend“. Alexandra Gferer betonte, dass der Großteil der Pflegekräfte das Gefühl habe, keine ausreichende Unterstützung von der Politik zu bekommen.

Die Pandemie sei eine Chance für eine dringend notwendige Gegenbewegung. Schon jetzt sei der Pflegebedarf enorm, mit der demografischen Entwicklung hin zu einer älteren Gesellschaft und anstehenden Pensionierungswellen in der Pflege werde die Lager immer prekärer. Eine höhere Entlohnung, mehr Wertschätzung, eine bessere Dienstplansicherheit und neue Arbeitszeitmodelle seien ein erster Schritt, um den Beruf für neue Kräfte attraktiver zu machen, aber auch, um bestehende zu halten.