der Ex-Militärchefs der bosnischen Serben, Ratko Mladic, vor Gericht
Reuters/Jerry Lampen
Völkermord

Gericht bestätigt lebenslange Haft für Mladic

Der Nachfolgemechanismus des UNO-Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (IRMCT) hat am Dienstag die Verurteilung des ehemaligen Militärchefs der bosnischen Serben, Ratko Mladic, wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestätigt. Der 78-Jährige wird den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen.

In erster Instanz war Mladic 2017 wegen Völkermordes in der ehemaligen ostbosnischen UNO-Schutzzone Srebrenica und anderer Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Mladic wurde nach langem Prozess damals in zehn von elf Anklagepunkten für schuldig befunden – er legte Berufung ein.

Im Berufungsverfahren setzte sich die Verteidigung für den Freispruch bzw. eine Wiederholung des Prozesses ein. Die Anklage forderte hingegen, Mladic nicht nur des Völkermordes in Srebrenica, sondern auch in weiteren bosnischen Gemeinden (Prijedor, Sanski Most, Kotor Varos, Foca und Vlasenica) für schuldig zu erklären.

Edin Ramulic von einer Menschenrechtsgruppe aus Prijedor ist überzeugt, dass sich die Anklage im Prozess gegen Mladic auf das Massaker von Srebrenica konzentriert habe und nicht genug getan wurde, um den Völkermord auch in anderen Gemeinden zu beweisen. Alleine aus einem Massengrab auf dem Gebiet von Prijedor wurden 2013 Leichen von 435 Opfern geborgen, sagte Ramulic dem Internetportal BalkanInsight.

Ratko Mladic, der Militärchefs der bosnischen Serben, im Jahr 1993
APA/AFP/Gabriel Bouys
Nach dem Ende des Krieges in Bosnien tauchte Mladic unter und wurde erst 2011 verhaftet

Jahrelange Flucht

Die Anklage gegen Mladic bezog sich nicht nur auf Srebrenica, wo von bosnisch-serbischen Truppen unter seinem Kommando im Juli 1995 rund 8.000 muslimische Männer und Buben ermordet wurden. Es ging auch um die jahrelange Belagerung Sarajevos mit rund 10.000 Toten, die Vertreibung von Tausenden bosnischen Muslimen und Kroaten sowie um die Geiselnahme von UNO-Soldaten.

Der frühere Präsident der Republika Srpska, Radovan Karadzic, wurde auf Basis derselben Anklage 2019 rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt.

Mladic war nach jahrelanger Flucht erst 2011 in einem Vojvodina-Dorf unweit von Zrenjanin, nordöstlich von Belgrad, gefasst und dem UNO-Tribunal übergeben worden. Der im Mai 2012 begonnene Prozess, der letzte, der vor dem UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien geführt wurde, dauerte 530 Prozesstage. Vorgeladen wurden an die 500 Zeugen, an die 10.000 Beweisunterlagen wurden präsentiert.

Gedenkstätte für die Opfer von Srebrenica in Potocari (Bosnien-Herzegowina)
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In Srebrenica wurden mehr als 8.000 muslimische Männer und Buben ermordet

Von Reue keine Spur

Dem Angeklagten war in keinem einzigen Augenblick Reue anzumerken. Ganz im Gegenteil: Er wurde wiederholt aus dem Gerichtssaal wegen Provokationen entfernt, die an die Angehörigen der Opfer gerichtet waren. Auch zu Beginn der Urteilsverkündung am Dienstag schnitt Mladic noch Grimassen im Gerichtssaal. Doch während der Verlesung des Urteils blieb er meist unbewegt und schüttelte nur ab und zu den Kopf.

Familienangehörige der Opfer von Srebrenica verfolgten die TV-Übertragung der Urteilsverkündung in Den Haag am Dienstag auf der Gedenkstätte in Potocari. Die Familienangehörigen von 114 Muslimen und Kroaten, die im Juli 1992 von bosnisch-serbischen Truppen auf dem Gebiet von Mostar ermordet wurden, bedauern, dass Mladic für diese Verbrechen gar nie angeklagt wurde.

Am Mahnmal in Srebrenica wurden anlässlich der Urteilsverkündung auf einer Großleinwand Zeugenaussagen über die Massaker gezeigt. „Anstatt mich an Enkeln zu erfreuen, bin ich hierher gekommen, um zu weinen“, sagte die 69-jährige Munevera Kabeljic, die die Gräber ihres Mannes und ihrer im Alter von 17 und 20 Jahren ermordeten Söhne besuchte.

Immer noch Heldenstatus

Von vielen bosnischen Serben wird der „Schlächter vom Balkan“ nichtsdestotrotz als Held verehrt. Auf einer Brücke in Banja Luka tauchte am Dienstag ein Spruchband mit der Aufschrift „Von uns werden die Haager Beschlüsse nicht anerkannt, Du (Mladic, Anm.) bist der Stolz der Republika Srpska“ auf.

Der Schatten von Mladic und Karadzic reicht aber weit über den Balkan hinaus. Sie werden auch von ausländischen rechtsextremen Anhängern für ihre blutigen Kriegseinsätze gegen Bosniaken verehrt. Der Australier, der 2019 im neuseeländischen Christchurch Dutzende von muslimischen Gläubigen erschoss, soll von den bosnischen Serbenführern aus dem Krieg inspiriert worden sein, ebenso Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen erschoss.

der Ex-Militärchefs der bosnischen Serben, Ratko Mladic, umgeben von Polizisten vor Gericht
Reuters/Jerry Lampen
Mit dem Urteil gegen Mladic ging das letzte große internationale Srebrenica-Verfahren zu Ende

Geteilte Reaktionen in Bosnien, international Genugtuung

In Bosnien-Herzegowina stieß das Urteil am Dienstag auf geteilte Reaktionen. Der Vorsitzende der bosniakischen Regierungspartei SDA, Bakir Izetbegovic, sagte: „Dieses Urteil möge dem serbischen Volk dabei helfen, sich von der Last zu befreien, die ihm von denen auferlegt wird, die in seinem Namen Kriegsverbrecher ehren, feiern und ihre Verbrechen leugnen.“ Der bosnisch-serbische Spitzenpolitiker Milorad Dodik bezeichnete den Völkermord in Srebrencia dagegen als „Mythos“, der „nicht stattgefunden“ habe. Mladic seien die ihm zur Last gelegten Verbrechen „nicht nachgewiesen“ worden. Ohne seine Führung und seinen Geist hätte das serbische Volk noch mehr gelitten.

International fielen die Reaktionen einhelliger aus: Chefankläger Serge Brammertz begrüßte das Urteil und mahnte in Richtung Mladics Anhänger: „Es ist Zeit, die Wahrheit zu akzeptieren.“ Mladic sei einer der „berüchtigtsten Kriegsverbrecher der modernen Geschichte“. US-Präsident Joe Biden nannte das Urteil „historisch“. „Es stärkt auch unsere gemeinsame Entschlossenheit, künftige Gräueltaten überall auf der Welt zu verhindern.“ EU-Ratspräsident Charles Michel sprach von einem wichtigen Schritt für Gerechtigkeit für die Opfer. UNO-Menschenrechtkomissarin Michelle Bachelet sagte, das Urteil illustriere „die Entschlossenheit des internationalen Justizsystems, Rechenschaft durchzusetzen, egal wie lange es dauert – in Mladics Fall fast drei Jahrzehnte seit seinen abstoßenden Verbrechen“.