Pandemierisiken von sozialer Stellung abhängig

Wer in der Arbeitswelt von gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Risiken der Pandemie wie stark betroffen ist, hängt von der sozialen Stellung ab. Das zeigen die Auswertungen zweier Befragungen, eine deutsche und eine österreichische, die heute im Rahmen von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“ präsentiert wurden.

Der deutsche Sozialwissenschaftler Hajo Holst und Daniel Schönherr, beim Meinungsforschungsinstitut SORA für Arbeitsmarktforschung zuständig, waren sich in ihrem Befund einig, dass die Pandemie die bereits vorher bestehenden sozialen Ungleichheiten noch verschärft hat.

Nicht akademische Berufe am stärksten getroffen

Holst, der den Arbeitsweltmonitor mit mittlerweile drei Befragungswellen in Deutschland seit Panademiestart analysierte, unterstrich, dass nicht akademische Berufe deutlich stärker sowohl von Ansteckungs- als auch von wirtschaftlichem Risiko betroffen sind und kaum von der Möglichkeit des Homeoffice Gebrauch machen können.

Am stärksten betroffen seien jene Berufe, die zugleich „am unsichtbarsten“ seien, so Holst, der kritisierte, dass die mediale Berichterstattung jedenfalls in Deutschland über weite Phasen sehr stark auf Homeoffice zugespitzt gewesen sei. Dabei sei – ähnlich wie in Österreich – rund die Hälfte der Beschäftigten während aller Lockdowns weiter zu ihrem Arbeitsplatz gefahren.

„Ohnmachtserfahrung“, aber klare Vorstellungen

Bei den Arbeiterinnen und Arbeitern werde in den Befragungen eine deutliche „Ohnmachtserfahrung“ spürbar. Nach Änderungen befragt, seien die Notwendigkeiten sehr klar: mehr Geld, mehr Wertschätzung und bessere Personalausstattung.

Schönherr von SORA betonte unter Verweis auf Daten aus dem Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer Oberösterreich, dass von der Arbeitslosigkeit in der CoV-Krise fast nur Arbeiterinnen und Arbeiter betroffen waren und sind. 61 Prozent der Arbeitslosen fühlen sich laut Arbeitsklimaindex von der Krise stärker betroffen als andere, während es bei den Beschäftigten 23 Prozent sind. Dazu komme, dass Arbeitslose im öffentlichen Diskurs selbst kaum zur Sprache kämen.

Diskriminierung als wichtiger Faktor

Schönherr erinnerte daran, dass der Zugang zur Arbeit „oft etwas mit Diskriminierung zu tun hat“, ob wegen des Alters, der Hautfarbe, des Bildungsstatus oder anderer Faktoren: 145.000 Menschen seien aktuell seit mehr als einem Jahr ohne Arbeit. Die Hälfte davon habe maximal Pflichtschulabschluss, die Hälfte sei 50 oder älter. Laut Schönherr müssten Branchenvertreter, die aktuell über fehlende Arbeitskräfte klagten, auch dazusagen, dass sie manche nicht beschäftigen wollten bzw. nur zu einem niedrigen Lohn und mangelnden Arbeitsbedingungen.

Einmalzahlungen zu wenig

Vor allem im Bereich der Pflege würden Einmalzahlungen nicht reichen, da brauche es eine nachhaltige Aufwertung der Arbeitsbedingungen, so Schönherr. Einer aktuellen Umfrage des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV) zufolge denkt fast die Hälfte des Pflegepersonals regelmäßig über einen Berufswechsel nach.

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Wenig Zuversicht für Richtungswechsel

Holst sieht in Deutschland jedenfalls den Trend in die andere Richtung – Einsparung und Entlastung – laufen, nicht aber in einen Ausbau der Daseinsvorsorge.

Auch Schönherr zeigte sich skeptisch, dass die Krise als Chance genutzt wird, Systemänderungen vorzunehmen. Das müsste jedenfalls „auch erkämpft werden“, der Organisationsgrad der Beschäftigten im Gesundheitsbereich sei aber zurückgegangen. Dazu sei zuletzt bei politisch Verantwortlichen vor allem von einer Rückkehr zur Normalität, nicht aber von einem Wandel die Rede.