Buben spielen vor dem Olympiastadion in Rom Fußball
AP/Alessandra Tarantino
Plötzlich EM

Auf der Suche nach der Fußballstimmung

Eben noch Lockdown und jetzt gleich großes Halligalli: Am Freitag beginnt die Fußball-EM. Im Vorjahr wurde sie wegen der Pandemie abgesagt, doch jetzt beginnt sie tatsächlich – für viele recht plötzlich und unvermittelt. Richtige Begeisterung und Fußballfieber haben sich bisher nicht eingestellt – aus mehreren Gründen.

Spätestens in den vergangenen Jahren hatten sich die großen Fußballturniere, also Europa- und Weltmeisterschaften, zu Events entwickelt, an denen man kaum vorbeikam, auch wenn man sich sonst nicht rasend für Fußball interessiert. Sie entwickelten einen Sog, dem man kaum entkam – vom Pickerlheft bis zum abendlichen Public Viewing.

Dass im Vorjahr die EM – wie auch die Olympischen Spiele in Japan – ob der Coronavirus-Pandemie abgesagt werden musste, war unvermeidlich und wurde von den Fans freilich hingenommen. Und noch vor ein paar Wochen, als Europa mitten in der der dritten Welle steckte, dachten vielleicht die wenigsten an Fußball.

Eben noch auf der Couch

Doch anders als bei Olympia, wo zumindest in Japan eine polarisierte Debatte geführt wird, ob die Spiele im Sommer stattfinden sollen, war relativ klar, dass die EM über die Bühne gehen wird – auch wenn man in den meisten Ländern damit beschäftigt ist, die Lockerungen nach den Lockdowns langsam anzugehen. Und als Bürgerin und Bürger ist man damit beschäftigt, zurück ins einigermaßen normale Leben zu finden.

Selbst Fans saßen vor einigen Wochen noch auf der Couch und sahen sich Ligamatches ohne Stadionpublikum im Fernsehen an – und wunderten sich weiterhin über das eine oder andere Geschrei des Betreuerstabs, das ohne übertünchendes Stadionpublikum bei den Geisterspielen zu hören war. Der Schritt in die alte Normalität ist auch da gewöhnungsbedürftig. Bis vor Kurzem war auch unklar, ob es so etwas wie Public-Viewing-Events geben kann. Das ist jetzt mit sinkenden Fallzahlen und unter Einschränkungen doch möglich.

EM der Vielflieger ohne Zentrum

Die EM ist aber nicht nur deshalb anders: Statt eines fixen Gastgeberlandes sind die Spiele in elf Städten quer über den Kontinent verteilt. Schon bei der Präsentation des Konzepts vor etlichen Jahren gab es Kritik, mitten in einer Pandemie ist die Idee der UEFA noch einmal merkwürdiger.

Ob es im Jahr 2021 aus Klimasicht wirklich sinnvoll ist, Mannschaften mit ihrem Stab quer durch Europa zu fliegen und eine Vielzahl mehr an Fans auch quer über den Kontinent bis nach Baku in Aserbaischan zu lotsen, lässt sich relativ einfach beantworten: nein. Auch für die Stimmung ist das eines der großen Fragezeichen. Wie mit der Zahl der Stadionbesucherinnen und -besucher umgegangen wird, ist von Land zu Land verschieden – und in einigen Städten war das bis zuletzt auch unklar.

Zu viel Geld im Spiel?

Vielleicht ist das aber auch eines von vielen Zeichen, dass Fußball, von UEFA und FIFA geführt, zunehmend riskiert, sich von einem populärkulturellen Mainstreamevent in Richtung eines Elitenevents zu entwickeln. Der Versuch, die ohnehin schon vorhandenen Fantasiebeträge des Business noch zu multiplizieren, erlitt mit dem Plan der Super League, einer Meisterschaft der finanzkräftigsten und damit vielleicht besten Vereine Europas, klaren Schiffbruch. Vielleicht hat die Suprakommerzialisierung eines ohnehin schon durchkommerzialisierten Bereichs – siehe auch Übertragungsrechte und Pay-TV – ihren Zenit erreicht.

Keine ÖFB-Euphorie wie 2016

Vielleicht ist die bisher fehlende EM-Stimmung aber auch eine rein österreichische und den vergangenen Matches des ÖFB-Teams geschuldet. Bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich war die Euphorie und damit auch die Erwartungshaltung an das österreichische Team enorm. Unter Trainer Marcel Koller hatte die Mannschaft in der Qualifikation überzeugt und sogar international für hohe Erwartungen gesorgt. Das Ausscheiden nach mäßigen Leistungen in der Vorrunde war dann eine kalte Dusche für alle Fans.

Der derzeitige Trainer Franco Foda hat es eher anders angelegt: Die letzten Testspiele verliefen enttäuschend, vor allem das taktisch unklare, defensive und wenig mutige Spiel nach vorne lässt Zweifler grübeln. Aber vielleicht verfliegt ja das alles, und ab dem Eröffnungsspiel am Freitag und der Begegnung Österreichs mit Nordmazedonien am Sonntag wird auch hier ein Schritt in Richtung „Normalität“ getan.