„Ibiza“: „Aktenleaks“ und verratene Hausdurchsuchungen

Nach Ilse-Maria Vrabl-Sanda, Leiterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), wird derzeit der bei der WKStA tätige Oberstaatsanwalt Bernhard Weratschnig befragt. Seit zehn Jahren sei er für die WKStA tätig, seit Jänner 2013 Gruppenleiter. Als solcher ist er auch für den „Ibiza“-Verfahrenskomplex zuständig.

„Vieles nicht für möglich gehalten“

Das Ermittlerteam bestehe aus fünf Staatsanwälten, der öffentliche Druck sei sehr hoch. Arbeit an den Wochenenden und Erreichbarkeit im Urlaub seien bei den Teammitgliedern selbstverständlich, es komme zu Anzeigen – vieles von dem, was vorfalle, hätte er bisher nicht für möglich gehalten („Dabei machen wir unsere Arbeit"). „Korruptionsbekämpfung ist kein Spaziergang, sondern ein Marathonlauf mit Hindernissen“, sagte Weratschnig.

Auskunftsperson Bernhard Weratschnig
ORF.at/Peter Pfeiffer

„Repression“ beklagt

Weratschnig kritisierte, dass die Dienstaufsicht, anstatt zu unterstützen, „Repression“ ausübe. Die Fülle dienstaufsichtsbehördlicher Prüfungen sei immens. Vor dem „Ibiza“-Verfahren habe er seit 2007 eine einzige solche Prüfung erlebt, im jetzigen Verfahren habe es eine „ungeahnte Fülle solcher Untersuchungen gegeben“, so Weratschnig.

„Ich hätte auch nicht für möglich gehalten, dass Fragen an die Dienstaufsicht – wir hatten sehr viele – nicht einmal beantwortet werden“, so Weratschnig. Die Dienstaufsicht solle eigentlich einen „unterstützenden Charakter“ haben. „Auch haben die Chats belegt, dass hier doch beträchtlicher Aufwand der Dienst- und Fachaufsicht betrieben wurde, uns das Leben schwerzumachen.“

Veröffentlichungen „nicht im Interesse der WKStA“

Auch Aktenleaks würden die Arbeit für die WKStA erschweren. Eine Weitergabe von Aktenteilen könne er ausschließen, Veröffentlichungen seien „nicht im Interesse der WKStA“. Auch gebe es „Indizien im Verfahren, dass Hausdurchsuchungen (etwa bei Ex-Novomatic Chef Harald Neumann oder Ex-ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger) vorher verraten wurden“, sagte Weratschnig („Umfangreiche Vorarbeiten werden damit zunichtegemacht“). Offensive Korruptionsbekämpfung verlange, dass Infos über bevorstehende Zwangsmaßnahmen nicht verraten würden. Das gehe nur, wenn möglichst wenige informiert werden müssten. „Sonst sind die Verfahren gelaufen, bevor sie begonnen haben.“

„Nicht zur Tagesordnung übergehen“

Auf Nachfrage von NEOS schildete Weratschnig, was er alles nicht für möglich gehalten habe: Er verwies etwa auf Chats, in denen der nunmehrig suspendierte Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek der Kabinettschefin des damaligen Justizministers Clemens Jabloner vom Sichern von WKStA-Accounts schrieb (in der Zeit der Übergangsregierung).

Den „angeblich geplanten Zwangsmaßnahmen über Mitarbeiter des Ibiza-Teams“ müsse man nachgehen, da könne man „nicht zur Tagesordnung übergehen“, wie Weratschnig ausführte. „Es hat mich als Gruppenleiter sehr betroffen gemacht, dass man so etwas in der Regierung sieht – ohne für mich nachvollziehbare gesetzliche Grundlage und ohne dass es Dienstverletzungen gab“, sagte der Oberstaatsanwalt.

Ein Teil der Lösung für die Entlastung der Behörde könne sein, wenn die WKStA mehr Personal bekommen würde, sagte der Staatsanwalt. Auch Reaktionen der Oberbehörden im Zusammenhang mit Dienstaufsichtsprüfungen wären hilfreich, so Weratschnig. Würden die kommen, könnte man sich besser orientieren. Einer seiner Kollegen etwa habe eine Dienstaufsichtsprüfung bekommen, weil er einen Chauffeur beigezogen habe.

Blümels Laptop auch wieder Thema

Die FPÖ hinterfragte, warum Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) wegen seines kooperativen Verhaltens vor der Hausdurchsuchung bei ihm seine Frau anrufen durfte. Die Staatsanwaltschaft gestattete das, damit diese die Wohnung mit ihrem Kind verlassen konnte, „um dieses nicht zu traumatisieren“, wie Weratschnig angab.

Die Freiheitliche wies darauf hin, dass ihr früherer FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus seine Frau nicht im Vorhinein informieren habe dürfen. Dabei sei diese hochschwanger und ebenso ein Kind bei ihr zu Hause gewesen. Die Strafprozessordnung sehe „ein möglichst schonungsvolles Vorgehen“ vor, solches Vorgehen sei bei Anwesenheit von Kindern „nicht unüblich“, erläuterte Weratschnig. Wieso das bei Gudenus anders war, konnte er nicht beantworten, weil er damals Urlaub hatte.

Der vorerst fehlende Laptop Blümels – der sich offenbar im Kinderwagen befand und auf dem Spaziergang von dessen Frau mitgeführt wurde – sei von dessen Kabinettschef „verspätet“ zum Einsatzort gebracht worden. Bisher sei nicht festgestellt worden, dass Daten gelöscht wurden, so Weratschnig. Final wollte er das aber nicht beurteilen.

Auf Freude folgte Ernüchterung

Auch Thema war am Rande die Zusammenarbeit mit der „SoKo Ibiza“. Man habe sich anfangs gefreut über deren Einsatz, aber dann habe sich Belastendes ergeben, in einer Anzeige sei thematisiert worden, dass ein Mitarbeiter bei einer Partei tätig und befangen sei.

Man habe die Namen der SoKo-Mitglieder in der Folge recherchiert und der Dienststelle Bescheid gegeben. Die Stimmung sei dann getrübt gewesen. Weratschnig sprach über Konfliktpunkte mit der SoKo – auch weil man vom Auffinden des „Ibiza-Videos“ aus den Medien erfahren habe. Zudem habe man erkannt, dass es Besprechungen gegeben habe, zu denen die WKStA gar nicht zugezogen worden sei.

Trotz aller Schwierigkeiten habe man in der „Ibiza“- und Casinos-Causa bisher aber „sehr gute Ermittlungen geführt und unzählige Stränge zu einem Abschluss gebracht“. Dass auch eine Debatte über die Justiz bzw. Ermittlungsbehörden entstanden sei, sei gut so – vor allem, dass eine Entflechtung der Politik und der Weisungsspitze nun Thema sei.