Annalena Baerbock
Reuters/Markus Schreiber
Baerbock im Sinkflug

Dämpfer für Deutschlands Grüne

Während die deutsche Bundestagswahl im September mit großen Schritten näher rückt, nimmt der Hype um die Grünen langsam ab. Neben einem bescheidenen Ergebnis bei der Wahl in Sachsen-Anhalt plagen Spitzenkandidatin Annalena Baerbock Schlagzeilen zu ihrem Lebenslauf, Nebeneinkünfte der Partei und eine unglückliche Spritpreisdebatte. Rückendeckung soll sie beim bevorstehenden Parteitag bekommen.

„Baerbocks harte Landung“, titelt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Die Journalistin Bettina Gaus sagt in einer „Spiegel“-Kolumne gar voraus: „Die nächste deutsche Bundeskanzlerin wird nicht Annalena Baerbock heißen.“ Baerbocks Vita und die Lage der Grünen, die sich noch vor Kurzem in einem Umfragehoch befanden, bewegt Boulevard- wie Qualitätsmedien seit Tagen gleichermaßen.

Dass sich das Blatt für die Grünen allmählich wendet, zeigen auch jüngste Umfragen: Nach dem CDU-Sieg bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt legt die Union laut ZDF-Politbarometer in der bundesweiten Wählergunst zu und setzt sich deutlich von den zweitplatzierten Grünen ab. CDU und CSU kommen auf 28 Prozent, die Grünen fallen auf 22 zurück. Bei der Vorerhebung vor drei Wochen lagen die Grünen noch knapp voran. Auch im neuen ARD-Deutschlandtrend überholte die Union die Grünen. Konkret legte die Union im Vergleich zum Mai um fünf Prozentpunkte auf 28 Prozent zu. Die Grünen büßten sechs Prozentpunkte auf 20 Prozent ein.

Grafik zu Umfragen der deutschen Bundestagswahl
Grafik: ORF.at; Quelle: Forschungsgruppe Wahlen

Baerbock stürzt in Umfragen ab

Auch bei der Frage nach der Kanzlertauglichkeit der Kandidatin und Kandidaten hat sich das Meinungsbild geändert. Nach 43 Prozent im Mai meinen laut ZDF-Politikbarometer jetzt nur noch 28 Prozent, dass die Grünen-Chefin als Kanzlerin geeignet ist. CDU-Chef Armin Laschet halten 43 Prozent für kanzlertauglich (Mai: 37 Prozent). SPD-Finanzminister Olaf Scholz liegt derzeit mit 48 Prozent in Führung.

Eine ähnliche Tendenz ist dem ARD-Deutschlandtrend zu entnehmen. 29 Prozent würden sich für den CDU-Chef entscheiden, ein Plus von acht Prozentpunkten gegenüber der vorherigen Umfrage. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz legt ebenfalls zu und kommt auf 26 Prozent. Baerbock verliert hier deutlich, noch 16 Prozent würden sich für sie entscheiden, ein Minus von zwölf Prozentpunkten.

Einen Dämpfer für die Partei stellte – nur wenige Tage vor dem Parteitag am Wochenende – auch das Abschneiden bei der Wahl in Sachsen-Anhalt dar: Dort fuhren die Grünen gerade einmal 5,9 Prozent ein. Über eine Verbesserung um 0,7 Prozentpunkte konnte man sich kaum freuen. Koparteichef Robert Habeck räumte daraufhin ein, dass die Grünen in dem ostdeutschen Bundesland wenig Schützenhilfe von der Bundespartei erhalten hatten. Im Osten Deutschlands konnte die Partei ohnehin seit jeher kaum größere Erfolge verbuchen.

Lebenslauf nachgebessert: „Das war Mist“

Für Baerbock waren das – knapp acht Wochen nach ihrer Ausrufung zur Kanzlerkandidatin – keine guten Nachrichten. Angesichts der Schlagzeilen der vergangenen Tage und Wochen dürfte der ein oder andere aber auch nicht überrascht gewesen sein. Baerbock musste im Mai einräumen, dass sie über Jahre vergessen hatte, Weihnachtsgeld ihrer Partei beim Bundestag als Nebeneinkünfte anzumelden.

Mit Häme sah sie sich auch ob ihres Lebenslaufs konfrontiert, den sie mehrmals leicht korrigieren musste. Der Lebenslauf wurde nachgebessert, nachdem dort unter anderem von einer Mitgliedschaft der Parteichefin beim UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) die Rede war – die es für Einzelpersonen gar nicht gibt. „Meinen Lebenslauf habe ich knapp und komprimiert veröffentlicht und dabei unwillentlich einen missverständlichen Eindruck erweckt, den ich nicht erwecken wollte“, so die designierte Kanzlerkandidatin ihrer Partei. „Das war Mist.“

In der ARD-Sendung „Farbe bekennen“ machte sie am Donnerstagabend zudem deutlich, dass sie die Kanzlerkandidatur der Grünen nicht an Habeck abgeben will. Sie finde es wichtig, zu Fehlern zu stehen und sich zu korrigieren. „Jeder Mensch macht Fehler im Leben.“ Sich nun zu verstecken oder zurückzuziehen, „das bin ich ganz und gar nicht“.

Spritpreisdebatte: Schelte für Grüne

Hinzu kam eine Benzinpreisdebatte, die die Grünen am falschen Fuß erwischte. Immerhin sah sich die Partei nach einem Vorstoß von Baerbock dem Vorwurf ausgesetzt, sie wollten für den Klimaschutz den Benzinpreis bis 2023 um 16 Cent erhöhen, ohne sozialen Ausgleich.

Dass Union und SPD als Koalition diese Preiserhöhung – wenn auch erst ab 2025 – mit der CO2-Bepreisung selbst beschlossen hatten, und sechs Cent davon bereits seit Anfang 2021 greifen, fiel unter den Tisch. Ebenso, dass die Grünen mit einem Energiegeld die Einnahmen aus der CO2-Abgabe per Kopf-Pauschale an die Bevölkerung zurückgeben wollen – wovon Einkommensschwächere relativ stärker profitierten.

Annalena Baerbock und Robert Habeck
APA/AFP/Ina Fassbender
Baerbock ist zwar Kanzlerkandidatin der Grünen, tritt aber zugleich als Teil des Spitzenduos mit Koparteichef Robert Habeck zur Bundestagswahl an

Parteitag: Heftige Debatten zu Klimapolitik erwartet

Thema wird das wohl auch im Zuge des digitalen Parteitags, der am Freitagnachmittag beginnt und am frühen Sonntagnachmittag enden soll, sein. Am Samstag soll Baerbock als Kanzlerkandidatin formell bestätigt werden, in der gleichen Abstimmung steht auch das Spitzenduo aus Baerbock und Kochef Habeck zur Wahl.

Die heftigsten Diskussionen sind jedenfalls in der Klima- und Umweltpolitik zu erwarten, über die am Freitagabend beraten und abgestimmt werden soll. Die Parteiführung betrachtet ihre Vorschläge als Gesamtkonzept, in dem viele Maßnahmen gemeinsam für den Klimaschutz wirken. Teile der Mitgliedschaft setzen sich hingegen für deutlich schärfere Maßnahmen in einzelnen Bereichen ein.

Gefordert wird etwa auch ein rascheres Aus für den Verbrennungsmotor schon 2025 statt wie vom Vorstand vorgeschlagen 2030. In einem anderen Antrag verlangen Grüne Tempo 30 in geschlossenen Ortschaften als Regelgeschwindigkeit, 100 km/h als Obergrenze auf Autobahnen und 70 km/h auf Landstraßen. Der Parteivorstand schlägt lediglich ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen vor. Auch einen Mindestlohn von 13 Euro und einen deutlich höheren Spitzensteuersatz will die Basis durchsetzen.

„Dass es auf den Helm gibt, war uns ja klar“

Dass Baerbock am Parteitag gestärkt wird, dessen ist man sich in der Partei aber trotz Negativschlagzeilen sicher. „Dass es auf den Helm gibt, war uns ja klar“, sagt Koparteichef Habeck. „Gerade auch, nachdem es jetzt so ein bisschen ruckelig angelaufen ist und die Attacken auf uns kommen, wird der Parteitag Annalena Baerbock den Rücken stärken“, sagte auch Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer.

Geht es nach Baerbock, dann wird sie bei der Wahl am Samstag jedenfalls nicht einstimmig zur Kanzlerkandidatin erkoren. „Das wäre ja langweilig und hat es meiner Erinnerung nach auf einem Bundesparteitag der Grünen auch noch nicht gegeben. Das würde auch nicht zu unserer Partei passen.“

Noch wollen sich die Grünen jedenfalls keineswegs geschlagen geben – mit über 20 Prozent liegen sie auch in Schlagdistanz zur Union. „Wir sind exakt in der Situation, in der wir gehofft haben – Anfang des Jahres – zu sein“, sagte Habeck. Und Baerbock: „Der Wahlkampf fängt gerade erst an. Dass wir rund um meine Nominierung bei 28 Prozent standen, war ja eine kleine Sensation, und es ist klar, dass es im Wahlkampf immer mal hoch und mal runter geht.“ Das zeige, „wie spannend dieser Wahlkampf wird“.