US-Präsident Joe Biden
Reuters/Phil Noble
Biden bei den Briten

Brexit sorgt für Zündstoff

US-Präsident Joe Biden ist auf seiner vollgepackten Europatour zunächst zu Gast in Großbritannien auf dem Gipfel der G-7. Bei Premier Boris Johnson soll es freilich hauptsächlich um die Pandemie gehen. Doch auch das angespannte Verhältnis zwischen den beiden Staatenlenkern ist Thema hinter vorgehaltener Hand. Der britische Brexit-Kurs birgt dabei Konfliktpotenzial.

Die Natur meinte es nicht gut, weder mit dem US- noch mit dem britischen Reisetross: Zunächst verzögerte ein Zikadenschwarm den Abflug des Presseflugzeugs von Biden, das eigentlich in der Nacht auf Mittwoch starten sollte, um etliche Stunden. Eines der Insekten landete gar auf Bidens Hals, als er am Militärstützpunkt Andrews in die Air Force One in Richtung Großbritannien einsteigen wollte.

Diesseits des Atlantiks war es das britische Wetter, das die Gipfelpläne torpedierte: Wegen des anhaltenden Nebelregens, von den Anrainern „Mizzle“ genannt, musste das Treffen von Biden und Johnson im sonst malerischen Cornwall umgeplant werden.

Abseits der natürlichen Hemmnisse ging alles nach Plan: Biden kam am Donnerstag auf dem Cornwall Airport an, wo er seine Europareise beginnt. Das Treffen mit Johnson ist der Auftakt eines Gipfelmarathons: G-7-Gipfel im südenglischen Carbis Bay, Empfang bei Queen Elizabeth II. auf Schloss Windsor, NATO- und EU-USA-Gipfel in Brüssel und schließlich das Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Schweiz in einer großzügigen Villa aus dem 18. Jahrhundert am Genfer See.

Eine Zikade am Flughafen vor der Air Force 1
APA/AFP/Brendan Smialowski
Zikaden als Hemmschuh: Stark verspätet konnte der Pressetross abheben

Botschaft an Johnson

Eine heikle Reise, bei der Biden das Verhältnis mit Europa wieder in frühere, freundschaftlichere Zustände rücken will. „Die Vereinigten Staaten sind zurück“, so Bidens Mantra, das er auch bei seiner Ankunft in Großbritannien wiederholte. Auf dem dreitägigen G-7-Gipfel, der am Freitag beginnt, soll es im Rahmen der Gespräche der sieben größten Industrienationen hauptsächlich um die Folgen der Pandemie gehen. Auch Klima- und Artenschutz und die Stärkung gemeinsamer demokratischer Werte stehen auf der Agenda.

Joe Biden trifft Boris Johnson

US-Präsident Joe Biden ist am Mittwoch in Europa gelandet. Bei seinem ersten von vielen Terminen trifft er den britischen Premierminister Boris Johnson. Die beiden Staatschefs wollen einen historischen Pakt schließen.

Zuvor trifft Biden aber am Donnerstag mit Johnson allein zusammen. Dabei sollen die traditionellerweise „besonderen Beziehungen“ zwischen den USA und Großbritannien neu belebt werden – keine einfache Angelegenheit. Das Verhältnis der beiden gilt als etwas angespannt. Biden hatte Johnson etwa nach dessen Sieg bei der Parlamentswahl als Klon von Ex-Präsident Donald Trump bezeichnet. Im Gegensatz zu Trump ist Biden, der irische Wurzeln hat, auch kein Anhänger von Johnsons Brexit-Politik. Biden hatte Londons Bestreben, von seinen Verpflichtungen zu Nordirland im Rahmen des Brexit-Abkommens mit der EU abzurücken, wiederholt kritisiert.

Diplomatischer Rüffel

Die britischen Zeitungen „Times“ und „Guardian“ berichteten am Donnerstag, dass die US-Topdiplomatin Yael Lempert bei einem Treffen mit dem britischen Brexit-Minister David Frost schon deutliche Worte gefunden habe. Auch Biden wolle eine eindeutige Botschaft übermitteln: Johnson dürfe durch seinen rigiden Kurs in den Post-Brexit-Verhandlungen auf keinen Fall das Karfreitagsabkommen gefährden. Das Abkommen aus dem Jahr 1998, von den USA vermittelt, hatte dem jahrzehntelangen Blutvergießen in Nordirland ein Ende gesetzt.

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson
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Johnson steht weiterhin im Brexit-Konflikt mit der EU. Biden will das Nordirland-Abkommen nicht gefährdet sehen.

„Präsident Biden hat sich glasklar über seinen felsenfesten Glauben an das Karfreitagsabkommen als Grundlage für ein friedliches Zusammenleben in Nordirland ausgesprochen“, sagte der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, gegenüber Reportern an Bord der Air Force One. „Jeder Schritt, der es gefährdet oder untergräbt, würde von den Vereinigten Staaten nicht begrüßt“, so Sullivan. Biden will Johnson verdeutlichen, dass sich Großbritannien hinter das Nordirland-Protokoll, einen Teil des Brexit-Handelsvertrags, stellen muss.

Handelsabkommen als Lockmittel

Das Protokoll sieht vor, dass Nordirland weiterhin Regeln des EU-Binnenmarkts folgt. Damit soll eine Warengrenze zum EU-Mitglied Irland verhindert werden, um nicht neue Spannungen in der ehemaligen Bürgerkriegsregion zu provozieren. Notwendig werden damit aber Kontrollen zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs, die für Schwierigkeiten im Handel sorgen. Beide Seiten machen einander Vorwürfe. London hatte teilweise Kontrollen eigenhändig ausgesetzt, Brüssel daraufhin Vertragsbrüche beklagt.

Von dem Streit über Nordirland ausgehend macht Biden auch das von Johnson stark erhoffte Freihandelsabkommen zwischen den USA und Großbritannien abhängig. Fortschritte für ein breiteres Handelsabkommen dürften deshalb vorerst ausbleiben.

Mehr Einklang bei CoV und Klima

Bei den weiteren Themen zwischen Biden und Johnson dürfte das Klima milder werden. Erwartet wird, dass die beiden Politiker über die Wiederaufnahme des Reiseverkehrs zwischen Großbritannien und den USA nach der Pandemie und über ein künftiges Abkommen für eine stärkere Zusammenarbeit im Technologiesektor sprechen werden. Auch in puncto Klimaschutz ist man sich weitgehend einig. Zudem soll eine Neuauflage der Atlantik-Charta von 1941 verkündet werden.

Atlantik-Charta 1941

Gemeinsame Erklärung von US-Präsident Franklin D. Roosevelt und Großbritanniens Premier Winston Churchill über gemeinsame Grundsätze ihrer internationalen Politik in der „Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Welt“.

„Die Vereinbarungen, die Präsident Biden und ich heute treffen werden und die in unseren gemeinsamen Werten und Ansichten verwurzelt sind, werden die Grundlage für eine nachhaltige globale Erholung bilden“, so Johnson vor dem Treffen. Aus Londoner Regierungskreisen hieß es, die neue Atlantik-Charta werde alles abdecken, von globaler Verteidigung und Sicherheit über den Wiederaufbau nach der Pandemie bis zum Kampf gegen den Klimawandel.

Schulterschluss zwischen Brüssel und Washington

Ähnlich wird die Gesprächsbasis zwischen Biden und den EU-Spitzen sein. Im Rahmen der Pandemiebekämpfung und beim Klimaschutz rief EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch zum Schulterschluss mit den USA auf. Die USA und die Europäische Union unternähmen Maßnahmen im vergleichbaren Umfang, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

Zudem verfolge auch Biden wie die EU ehrgeizigere Ziele bei der Reduzierung der Treibhausgase, hieß es vor dem Gipfel. Auch bei der Versorgung der Welt mit Impfstoffen wolle man an einem Strang ziehen. Die EU habe bereits 150 Millionen Impfdosen an mehr als 90 Staaten geliefert und unterstütze zudem die internationale Covax-Initiative zur Versorgung von ärmeren Ländern mit Impfstoff, sagte von der Leyen. Die USA kündigten zudem Spende von 500 Millionen Impfdosen an.