Probleme mit dem „Meeresrotz“, wie der organische Schlamm auch genannt wird, gibt es im Marmarameer seit mehr als 15 Jahren. So schlimm wie heuer war es Fachleuten zufolge aber noch nie. Sowohl die Ausdehnung auf der Wasseroberfläche als auch in der Tiefe habe ein noch nie da gewesenes Ausmaß erreicht, sagten Forscherinnen und Forscher der Technischen Universität des Nahen Ostens am Marmarameer (METU) gegenüber der Deutschen Welle. Der Schlamm reiche an manchen Stellen bis zu 30 Meter tief und bis auf den Meeresgrund.
Der Schleim ist ein Ausscheidungsprodukt bestimmter Algen. Begünstigt wird das Algenwachstum durch Düngemittel und Abwässer aus den Städten und der Industrie. Mehr als 20 Millionen Menschen leben an den Küsten des Marmarameers, viele türkische Industriebetriebe sind in der Region beheimatet.
Hinzu kommt die weltweite Klimakrise. „Wir wissen, dass die Wassertemperatur im Marmarameer in den vergangenen 20 Jahren zwischen zwei und 2,5 Grad stärker gestiegen ist als der globale Durchschnitt“, sagte METU-Wissenschaftler Baris Salihoglu der Deutschen Welle. Ein weiterer Faktor sei die Überfischung, die der Artenvielfalt geschadet und das Meer anfälliger für Probleme gemacht habe. „Es kann solche Schocks nicht verkraften“, so Salihoglu.
Bedrohung für Tiere und Pflanzen
Die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt im Marmarameer sind verheerend. Der Schleim droht weiche Korallen, die Wasser filtern und helfen, das Meer sauber zu halten, zu ersticken. Auf dem Meeresgrund könnte es zu Wachstumsproblemen bei Bodenbewohnern wie Muscheln führen, warnen Fachleute. Auf lange Sicht sei besonders der negative Einfluss auf das Zooplankton, Nahrungsquelle vieler Fische, fatal, sagte der Meeresbiologe Ekin Akoglu.
Wenn dessen Menge abnehme, würden auch die Fischpopulationen weniger. Öztürk warnte sogar vor einem Massensterben der Meereslebewesen. Der Schleim bedroht auch Jungfische und Fischeier. Ein Massensterben der Fische würde auch die von der Fischerei lebenden Küstenbewohnerinnen und -bewohner hart treffen. Schon jetzt ist Fischen vielerorts unmöglich, da die Netze im Schlick hängen bleiben.
Auch an Schwimmen ist im sonst so beliebten Naherholungsgebiet im Moment nicht zu denken. Im Schleim können Bakterien und Viren gedeihen, die auch für den Menschen eine Gefahr für die Gesundheit darstellen. Viele Strände müssen daher geschlossen bleiben.
Regierung startet Aufräumaktion
Die türkische Regierung startete diese Woche eine Aufräumaktion. Insgesamt 43 Boote sollen die Meeresoberfläche und Barrieren im Wasser auslegen, um eine weitere Ausbreitung des Schleimteppichs zu verhindern, sagte der türkische Umweltminister Murat Kurum. An Land sollen über 1.000 Arbeiterinnen und Arbeiter den Schlamm in Entsorgungsanlagen transportieren.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan machte Abwässer aus Istanbul und anderen Städten am Marmarameer für die verheerende Lage verantwortlich und versprach, das Meer „von der Schleimplage“ zu befreien.
Nachhaltige Lösung gefordert
Fachleute fordern eine nachhaltigere Lösung des Problems. „Da wir an der globalen Erwärmung kurzfristig nichts ändern können, müssen wir den Schmutz-, Nitrat- und Phosphoreintrag ins Meer drastisch reduzieren und außerdem Fangverbote verhängen, damit sich die Fischbestände wenigstens ein wenig erholen könne“, sagte die Meeresbiologin Neslihan Özdelice dem „Standard“.
Zumindest letztere Forderung könnte noch in diesem Jahr umgesetzt werden: Bis Jahresende soll das Marmarameer zum Schutzgebiet erklärt werden, kündigte Umweltminister Kurum an. So will man die illegale Fischerei stoppen und verhindern, dass im Meer zurückgebliebene Fischernetze (Geisternetze) maritime Lebewesen gefährden.