Werner Kogler Sigi Maurer im Jahr 2019
APA/Roland Schlager
Grünes Dilemma

Bundeskongress als Stimmungsbarometer

Am Sonntag kommen rund 300 grüne Delegierte im Linzer Design Center zusammen, zum ersten Bundeskongress seit Beginn von Pandemie und Regierungsbeteiligung. War vor eineinhalb Jahren die Basis noch eindeutig positiv bezüglich Koalition mit Türkis gestimmt, könnte die Parteispitze nun mehr Gegenwind erleben. Streitpunkte gäbe es genug – von Migration bis hin zu Justiz.

Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition waren absehbar – groß sind die generellen ideologischen Unterschiede und auch die tagespolitischen Konflikte. Die Skepsis, dass alles glattgehen würde, war vielleicht schon beim letzten grünen Bundeskongress im Jänner des Vorjahres latent vorhanden, die Hoffnung überwog aber augenscheinlich: Kurz zuvor waren die Grünen erst mit ihrem bis dato besten Wahlergebnis (13,9 Prozent) in den Nationalrat zurückgekehrt, und Covid-19 war in den Schlagzeilen noch eine Randnotiz. Damals stimmte eine überwältigende Mehrheit für die Regierungsbeteiligung unter Parteichef Werner Kogler mit der ÖVP von Sebastian Kurz.

Nach eineinhalb Jahren im Pandemiekrisenmodus, Streit über Kinderabschiebungen, ständigen Querelen rund um die Arbeit des „Ibiza“-Untersuchungsausschusses und Ermittlungen gegen Regierungsmitglieder könnte die Stimmung in der grünen Basis anders aussehen.

Staatsbürgerschaft wird Thema

Zunächst werden bei dem Kongress Formalitäten geklärt. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer werden offiziell bestätigt, es stehen Reden von Kogler und vom Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Oberösterreich, Stefan Kaineder, an. Auch inhaltlich wird einiges abgearbeitet. Ein Leitantrag wird präsentiert, der grüne „Weg für die Zukunft“, der sich um Klima, Gesellschaft und Demokratie drehen soll.

Ein Resolutionsantrag zum freien Geschlechtseintrag wird eingebracht. Die Wiener Grünen wollen auch einen Antrag einbringen, der das SPÖ-Modell zu einer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts unterstützt. Die ÖVP lehnt eine Zugangserleichterung zur Staatsbürgerschaft ab.

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Grüne wollen Statuten ändern

Zudem steht eine Statutenänderungen für den Wahlmodus der Parteispitze an. Dabei wollen die Grünen beschließen, dass der Bundessprecher oder die Bundessprecherin künftig per Urwahl von allen Parteimitgliedern gekürt wird und bei Kandidatenlisten für Wahlen mitbestimmen kann. Der oder die Parteichefin soll mit der Möglichkeit ausgestattet werden, einzelne – maximal zwei oder drei – Kandidatinnen und Kandidaten für die Liste zu Bundeswahlen selbst zu nominieren. Diese Auswahl soll aber in Absprache mit dem Bundesvorstand erfolgen. Bisher war die Listenerstellung für Bundeswahlen rein Angelegenheit des Bundeskongresses, mit mitunter schwer vorhersehbaren Konsequenzen.

Der Wahlmodus der Bundesspitze selbst soll erst später festgelegt werden. Bei den Wiener Grünen hatte man es mit einer Urwahl bereits 2018 probiert und nicht die besten Erfahrungen gemacht: Birgit Hebein wurde dadurch Spitzenkandidatin und später Landesparteichefin, für interne Einigkeit sorgte das aber nicht. Bereits 2020 wurde sie trotz Wahlsiegs wieder abmontiert, nun werden die Statuten wieder geändert.

Abstimmung beim Bundeskongress der Grünen mit Entscheidung über Koalitionsabkommen mit der ÖVP im Jänner 2020
APA/Barbara Gindl
Beim vorigen Bundeskongress im Jänner 2020 war die Mehrheit für das Koalitionsabkommen mit der ÖVP groß

Interessierte werden also genau beobachten, wie sich die Mehrheit der Delegierten zu den Anträgen ausspricht, insbesondere bei jenen Themen, die neues Konfliktpotenzial innerhalb der Koalition bergen könnten. Zudem wird freilich die Atmosphäre unter den Delegierten von Interesse sein – wie die Mehrheit heute zur Koalition steht und dazu, dass die Grünen sich im Vergleich zur Zeit in Opposition mit Kritik an der ÖVP stark zurückhielten. Viele Sympathisantinnen und Sympathisanten mag es doch sauer aufgestoßen sein, dass Kogler und Maurer der durch Chats und anderes bedrängten ÖVP sie Stange halten.

Grüne Erfolge

Die Parteispitze wird auf grüne Erfolge verweisen: Das „1-2-3-Klimaticket“ ist auf Schiene, die österreichweite Stufe (um 1.095 Euro ein Jahr lang mit allen öffentlichen Verkehrsmitteln durch ganz Österreich) soll noch heuer starten. Geplant sind weiters Tickets um 365 Euro pro Jahr für ein Bundesland und um 730 Euro für zwei Bundesländer – dafür gibt es noch keinen konkreten Zeitplan. Auch ein Entwurf des Klimaschutzgesetzes aus dem Umweltressort von Leonore Gewessler brachte unter anderem deshalb Aufmerksamkeit, weil es automatische Steuererhöhungen auf Benzin, Diesel und Erdgas bringen könnte. Das Gesetz, das außerdem einen „Klimacheck“ neuer Gesetze und ein „Klimakabinett“ vorsieht, soll im Lauf des Sommers in Begutachtung geschickt werden und dürfte für weitere Konflikte mit Wirtschaftsvertretern sorgen.

Eine weitere Maßnahme wurde von Kogler während seiner Zeit als Interimsjustizminister veranlasst: Nach den Abschiebungen gut integrierter Kinder setzte er eine Kindeswohlkommission unter der Leitung der früheren Höchstrichterin und NEOS-Abgeordneten Irmgard Griss ein. Das Gremium soll die aktuelle Praxis evaluieren und international vergleichen, um Empfehlungen vorzulegen. Das ist ebenfalls bis zum Sommer geplant.

Rückenwind für die Spitze

Auch der grüne Widerstand gegen die anhaltende Kritik der ÖVP an der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wird von den Grünen vorerst als Erfolg gesehen. Zuletzt formulierten Kogler und Justizministerin Alma Zadic deutliche Worte an den Koalitionspartner. Man werde nicht zulassen, dass die ÖVP die Justiz diskreditiere, so der Tenor. Nicht zuletzt kann die Bundesspitze auch den Erfolg in der Pandemiebekämpfung ins Treffen führen. Der Bundeskongress findet schließlich zu einer Zeit statt, in der die Impfkampagne läuft, die Inzidenzzahlen sinken und die Wirtschaft gleichzeitig öffnen kann.

Die Tatsache, dass das früher stark inhomogene Meinungsbild doch unter Kontrolle blieb – ein Ausscheren aus der Bundeslinie gab es trotz des Konfliktstoffs kaum – gibt der grünen Führung Rückenwind. Die Grünen scheinen zum Weiterregieren entschlossen zu sein, aber auch dazu verdammt. In der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts market kämpfen die Grünen mit NEOS um Platz vier. Von einer Aufkündigung der Koalition hätten die Grünen wenig außer Stimmenverluste, das Trauma vom Rauswurf aus dem Parlament ist zudem noch nicht sehr alt.

Was aber, wenn …

Als Damoklesschwert aber hängt eine mögliche Anklage gegen Kurz über der Koalition. Der Bundeskanzler selbst rechnete mit einem Strafantrag, nachdem Ermittlungen wegen Falschaussage im U-Ausschuss eingeleitet worden waren. Kogler rang sich kürzlich zu einer Festlegung durch, was für die Grünen akzeptabel wäre und was nicht mehr: „Ein verurteilter Bundeskanzler ist eigentlich tatsächlich nicht vorstellbar“, sagte Kogler zu Ö1. Was passieren sollte, falls es tatsächlich zu einem Urteil gegen Kurz kommen sollte, ist offen. Am Kongress am Sonntag steht das freilich noch nicht zur Debatte.