Ein Demonstrant hält ein Bild von Aung San Suu Kyi, der entmachteten Regierungschefin von Myanmar
APA/AFP
„Schauprozess“

Militärjunta nützt Justiz gegen Suu Kyi

Seit dem Militärputsch Anfang Februar sitzt die bisherige De-facto-Regierungschefin von Myanmar, Aung San Suu Kyi, in Hausarrest. Die Liste der Vorwürfe gegen sie wurde inzwischen immer länger. Zuletzt wurde ihr Korruption vorgeworfen. Mit zahlreichen Verfahren will die Militärjunta Suu Kyi offenbar langfristig politisch aufs Abstellgleis stellen.

Am Montag begann der erste Prozess gegen Suu Kyi wegen angeblicher Verstöße gegen CoV-Auflagen und den Besitz von Funkgeräten. Ihre Anwälte teilten mit, dass am ersten Verhandlungstag zunächst mehrere Polizisten als Zeugen vernommen worden seien. Suu Kyi habe angeschlagen ausgesehen, aber die Anhörung „interessiert und aufmerksam“ verfolgt, hieß es von ihrem Verteidigungsteam am Montag.

Am Dienstag startet ein weiterer Prozess, in dem sie gemeinsam mit dem Präsidenten Win Myint wegen Aufforderung zum öffentlichen Aufruhr angeklagt ist. Er war von Suu Kyi für diesen Posten ausgewählt worden, weil sie selbst aufgrund einer Sperrklausel diesen nicht offiziell ausüben durfte.

Die entmachtete Regierungschefin von Myanmar, Aung San Suu Kyi und Präsident Win Myint im Mai vor Gericht
APA/AFP/Myanmar Ministry of Information
Für Suu Kyi und Präsident Win hat am Montag der erste Prozess begonnen

„Anklagen falsch und politisch motiviert“

Die Generäle fürchten, dass die demokratisch gewählte Suu Kyi nach wie vor über politisches Gewicht verfügt. Vor wenigen Tagen kamen auch Korruptionsvorwürfe gegen Suu Kyi auf das Tapet. Ihr wird vorgeworfen, Geld und Gold angenommen zu haben. Im Fall einer Verurteilung drohen Suu Kyi 15 Jahre Haft. Mit Urteilen wird bis Mitte August gerechnet.

Der Prozess sei nicht viel mehr als ein „Schauprozess“, analysierte der Myanmar-Experte Phil Robertson von der NGO Human Rights Watch (HRW). „Die strafrechtlichen Anklagen gegen Aung San Suu Kyi sind falsch und politisch motiviert durch die Absicht, ihren Sieg bei der Wahl vom November 2020 zu annullieren und zu verhindern, dass sie jemals wieder für ein Amt kandidiert.“ Alle Anklagen müssten fallen gelassen und Suu Kyi umgehend freigelassen werden. Sie sei auf dem besten Weg, erneut eine „Märtyerin für die (…) Demokratie“ zu werden.

Zweimal Kontakt zu Anwälten

Auch für Suu Kyis Verteidiger sind die Anklagen absurd: „Sie mag Fehler haben, aber persönliche Gier und Korruption gehören nicht zu ihren Eigenschaften“, sagte Khin Maung Zaw. Einfach ist die Arbeit für das Verteidigerteam nicht. Suu Kyi sah ihre Anwälte seit dem Umsturz bisher zweimal – das erste Mal erst Ende Mai. Dabei gewährte die Polizei den Anwälten 30 Minuten mit den Angeklagten.

Schon vor wenigen Tagen wurde bei der Veröffentlichung der neuen Vorwürfe das Urteil bereits vorweggenommen. Suu Kyi werde „für schuldig befunden, ihr Amt missbraucht zu haben“. Schon in den vergangenen Monaten wurde die Symbolfigur des Widerstands gegen das Militär mit unterschiedlichen Anschuldigungen konfrontiert. So soll sie gegen Außenhandelsgesetze verstoßen haben, weil sie illegalerweise Funkgeräte besessen hatte. Zudem soll sie Staatsgeheimnisse verletzt und gegen Coronavirus-Auflagen verstoßen haben.

Auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) verurteilten den Prozess gegen Suu Kyi in einer Stellungnahme für die APA. Suu Kyi solle mit „erfundenen Vorwürfen in Schauprozessen“ mundtot gemacht werden, so Kurz. „Statt ihren demokratisch legitimierten Wahlsieg vom November 2020 endlich anzuerkennen, versucht die Militärjunta mit aus der Luft gegriffenen Anklagen Aung San Suu Kyi zu diskreditieren und auf das politische Abstellgleis zu befördern, das ist schlicht inakzeptabel“, sagte Schallenberg. Er forderte eine deutliche Verurteilung der „willkürlichen Strafverfahren“ durch die internationale Gemeinschaft und die Freilassung Suu Kyis und anderer politischer Gefangener.

UNO warnt vor weiterer Gewalteskalation

Bei den Aufständen gegen die Armee wurden bisher mehr als 800 Menschen getötet, so die Schätzung der Gefangenenhilfsorganisation AAPPB. Mehr als 6.000 Menschen wurden laut den Angaben festgenommen. Mehr als 108.000 Menschen sind im Osten des Landes, an der Grenze zu Thailand, lokalen Medien zufolge in die Wälder geflohen, um nicht der Armee ausgeliefert zu sein.

Die Geflüchteten müssten dort „ohne Nahrung, Wasser, sanitäre Einrichtungen und medizinische Versorgung“ ausharren, sagte die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet. Erst vor wenigen Tagen warnte die UNO vor einer weiteren Eskalation der Gewalt in dem Land. Berichte deuteten auf eine militärische Aufrüstung hin. Die Armee gehe mit schweren Waffen und Luftangriffen gegen Bewaffnete und auch gegen Zivilisten und Zivilistinnen vor.

Ein seit drei Monaten inhaftierter US-Journalist wurde am Montag wieder freigelassen. Die Vorwürfe gegen ihn wurden laut seiner Anwältin fallen gelassen. Nathan Maung hatte in Myanmar ein lokales Nachrichtenmedium gegründet. Seine Festnahme basierte auf einem Gesetz aus der Kolonialzeit, das abweichende Meinungen gegen das Militär unter Strafe stellt.