Piccadilly Circus in London
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Zu früh versprochen

Lockerungen in England werden verschoben

Großbritanniens Premier Boris Johnson hat am Montag bestätigt, worüber schon wochenlang debattiert worden war: Die angekündigte große Öffnung am 21. Juni muss wegen der Delta-Variante um einen Monat verschoben werden. Ein Schlag für viele Menschen in England, die bereits mit mehr Freiheiten gerechnet hatten, genauso wie für die Wirtschaft.

Bereits in einer Woche sollte England nach ursprünglichem Plan „Freedom Day“ feiern, alle noch geltenden Kontaktbeschränkungen sollten aufgehoben werden. Nun wird stattdessen aufgeschoben – und zwar bis zum 19. Juli, wie Johnson bei einer Pressekonferenz am Montag sagte. „Ich denke, es ist sinnvoll, noch ein wenig länger zu warten“, so Johnson.

Die Zahl der Fälle steige um 64 Prozent pro Woche, und es müssten zunehmend Patienten auf den Intensivstationen behandelt werden, so Johnson mit Verweis auf die Ausbreitung der Delta-Variante. Ein umsichtiges Vorgehen jetzt könne Tausende Leben retten. „Wir können CoV nicht einfach eliminieren. Wir müssen lernen, damit zu leben“, sagte der britische Premier auch. Nun werden lediglich die Regeln für Hochzeiten zu diesem Datum gelockert – dort sind nun auch wieder mehr als 30 Gäste erlaubt. Sollte sich die Lage in England schnell verbessern, könnten Johnson zufolge nach zwei Wochen Änderungen erfolgen.

Boris Johnson
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„Ich denke, es ist sinnvoll, noch ein wenig länger zu warten“, sagte Premier Boris Johnson

Auswirkungen der Delta-Variante

Geschäfte und Gastronomie haben bereits seit Längerem wieder geöffnet, aber unter Restriktionen. Schottland, Wales und Nordirland haben eigene Regeln, die sich jedoch nur geringfügig von denen in England unterscheiden. Nun bleiben die englischen Beschränkungen weiter bestehen. Bereits zuvor am Montag hatten britische Medien von der wahrscheinlichen Verschiebung berichtet. Johnsons Kabinett habe dem Plan, die meisten bestehenden Restriktionen aufrechtzuerhalten, zugestimmt.

Obwohl die britische Impfkampagne weit vorangeschritten ist, gehen die Infektionszahlen im Land wieder in die Höhe. Nachdem wochenlang nur sehr wenig Neuinfektionen gezählt wurden, liegt die 7-Tage-Inzidenz aufgrund der Delta-Variante nun wieder bei knapp 68. Die Mutante ist inzwischen auch in Österreich angekommen – mehr dazu in wien.ORF.at. Sie breitete sich rasant in Großbritannien aus, mehr als 90 Prozent der Neuinfektionen sind auf sie zurückzuführen. Sie soll laut ersten Studienergebnissen bis zu 40 Prozent ansteckender sein als die Stammvariante. Zudem dürfte das Risiko von schweren Krankheitsverläufen höher sein.

Zeit gewinnen für zweite Impfdosis

Britische Experten und Expertinnen befürworteten die Verschiebung. Eine um vier Wochen spätere Öffnung könne Tausende Einlieferungen in Krankenhäuser verhindern, hieß es im „Guardian“. Man müsse Zeit gewinnen, um mehr Menschen den vollständigen Impfschutz geben zu können. Bei der Delta-Variante gilt die zweite Dosis als sehr wichtig, der Schutz sei nach nur einer Impfdosis um rund zwei Drittel niedriger, so Public Health England. Zwei Impfdosen schützten nach zwei Wochen bis zu 81 Prozent gegen die Variante, so die Behörde. Derzeit sind mehr als 56 Prozent der Erwachsenen vollständig geimpft – also rund 44 Prozent noch nicht.

Gäste in einem Restaurant in London
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Die Gastronomie ist offen – allerdings unter Regeln. Auf die vollständige Öffnung wird weiter gewartet.

Prognosemodelle der Regierung gehen nun trotz des Impffortschritts von einer dritten Infektionswelle aus, weil viele jüngere Menschen noch nicht immunisiert sind. Dadurch wird auch ein Ansteigen der Hospitalisierungszahlen befürchtet. „Was die Notfalleinlieferungen betrifft, war der vergangene Monat schon der stärkste sein Beginn der Pandemie“, sagte Raghib Ali vom Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) zum „Guardian“. „Es ist in den Notfallstationen schon weit mehr los als zu den Höhepunkten der ersten oder zweiten Welle.“

Mit einer Öffnung zu diesem Zeitpunkt würde man das „Feuer anfachen“, sagte der Experte Andrew Hayward zur BBC. „Wir müssen wirklich aufpassen, das Risiko einer Hospitalisierungswelle, die das NHS stark belasten würden, ist immer noch hoch.“

Ärger in der Kultur und Wirtschaft

Mit der nunmehrigen Verschiebung gerät Johnson politisch unter Druck. Bei den konservativen Torys wurden zuletzt kritische Stimmen laut, die Regierung werde wohl nie den Mut aufbringen, endlich alle Branchen zu öffnen. Der Unmut ist nun groß – Fremdenverkehr, Gastronomie, Kultur und viele mehr hatten mit der Öffnung am 21. Juni fest gerechnet. Der Musiker Frank Turner schrieb am Montag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, die Verzögerung werde für einige Betriebe in der Branche den „endgültigen Kollaps“ bedeuten.

Der Komponist Andrew Lloyd Webber hatte bereits zuvor gegen eine Verlängerung der Maßnahmen, die für Theater eine nur halb volle Auslastung ihrer Häuser bedeuten, gewettert. „Kommt zum Theater und nehmt uns fest“, sagte der 73-Jährige vergangene Woche im Interview mit dem „Telegraph“ auf die Frage, was er tun werde, wenn die Regierung die geplanten Lockerungen verschieben würde.

EM-Finale mit 40.000 Zuschauern erlaubt

Trotz der rapiden Ausbreitung der Delta-Variante erlaubt Großbritannien bei mehreren großen Sportevents in den kommenden Wochen Zehntausende Zuschauerinnen und Zuschauer. So dürfen beim Finale der Fußball-EM am 11. Juli im Londoner Wembley-Stadion rund 40.000 Personen dabei sein, wie Kultur- und Sportminister Oliver Dowden am Montag der Nachrichtenagentur PA zufolge mitteilte.

Auch die finalen Wimbledon-Matches am 10. und 11. Juli dürfen vor einem mit 15.000 Zuschauern voll besetzten Centre-Court stattfinden. Vorherige Spiele der Turniere werden den Berichten zufolge noch bei halber Zuschauerkapazität stattfinden. Die Großevents sind Teil einer Testreihe der britischen Regierung, mit denen diese Erkenntnisse über die Sicherheit von Großveranstaltungen in Zeiten der Pandemie sammeln will.