US-Präsident Joe Biden
APA/AFP/Olivier Hoslet
Biden in Brüssel

Neue Einigkeit, alte Knackpunkte

Nach Stationen bei der NATO und dem G-7-Gipfel hat die erste Auslandsreise US-Präsident Joe Biden am Dienstag auch zum EU-USA-Gipfel in Brüssel geführt. Dort wollten Biden und die Unionsstaaten einige der Baustellen beseitigen, die Bidens Vorgänger Donald Trump hinterlassen hat – doch auch unter Biden gibt es zahlreiche Knackpunkte. Der Gipfel steht auch unter dem Stern von Bidens Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Mittwoch in Genf.

Nach den vielen Konflikten mit Trump wollen die EU und die USA bei Themen wie Klimaschutz und dem Kampf gegen die Pandemie Einigkeit demonstrierten. Auf der Agenda stand auch die geopolitische Lage. Allerdings haben beide Seiten weiter eine lange Liste ungeklärter Streitpunkte. Der Gipfel werde nicht alle Probleme ausräumen, aber: „Die Diplomatie ist zurück.“

„Europa ist unser natürlicher Partner“, sagte Biden im Zuge des Treffens mit EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Dienstag im Europagebäude in Brüssel. Die USA und Europa teilten die gleichen demokratischen Werte, die zunehmenden Angriffen ausgesetzt seien.

„Unglaublich starke und lebendige Einheit“

Trump hatte die EU immer wieder verbal attackiert, mit Alleingängen brüskiert und Strafzölle verhängt, auf die Brüssel dann mit Gegenmaßnahmen reagierte. Biden, der erkennbar mehr Wert auf eine engere Abstimmung mit Verbündeten legt, lobte hingegen schon am Wochenende: „Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass die Europäische Union eine unglaublich starke und lebendige Einheit ist.“

Als Etappenerfolg für den Gipfel wurde eine „Friedensfrist“ im Streit über Strafzölle und Subventionen für die Luftfahrtkonzerne Airbus und Boeing verkündet. Die EU und die USA wollen sich offenbar mehr Zeit für eine dauerhafte Lösung geben. Das bestätigte EU-Kommissionschefin von der Leyen am Dienstag.

„Dieses Treffen begann mit einem Durchbruch bei Flugzeugherstellern“, schrieb von der Leyen: „Das öffnet wirklich ein neues Kapitel in unseren Beziehungen, weil wir von Klagen zur Kooperation bei Flugzeugen übergehen – nach 17 Jahren Streitigkeiten.“ In dem Streit werfen einander EU und USA vor, Airbus und Boeing unzulässig zu subventionieren.

China als „gemeinsame Bedrohung“

Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai nannte Einzelheiten zur Einigung und machte auch die Stoßrichtung deutlich: „Statt mit einem unserer engsten Verbündeten zu streiten, verbünden wir uns endlich gegen eine gemeinsame Bedrohung: Wir haben vereinbart, Chinas nicht marktkonforme Praktiken in diesem Sektor mit einzelnen Maßnahmen zu kontern, die unsere Standards für fairen Wettbewerb einhalten.“ Das schließe Investitionen und Technologietransfer ein.

Teil des Kompromisses sei, dass alle von der WTO genehmigten Strafzölle der USA und der EU für fünf Jahre ausgesetzt werden. Das gelte, solange sich die EU-Unterstützung für Airbus im Rahmen der Vereinbarung bewege. Sollte die EU dagegen verstoßen und US-Produzenten Wettbewerbsnachteile haben, könnten die USA reagieren und ausgesetzte Zölle reaktivieren, sagte Tai.

Langwierige Verhandlungen zeichneten sich in der Frage nach US-Strafzöllen auf Stahl und Aluminium sowie bei den EU-Gegenmaßnahmen ab.

Vakzinpatente, Klima, Digitalsteuer

Auf der Agenda steht auch die Pandemie. Zwar wollen alle Beteiligten eine konsequente Bekämpfung des Coronavirus, Uneinigkeit gibt es allerdings bei der von Biden vorgeschlagenen Freigabe von Impfstoffpatenten für wirtschaftlich weniger starke Staaten. Auch bei der Klimakrise gibt es zwar vordergründig Einigkeit bezüglich klimaneutrale Wirtschaft. Wie schwierig das tatsächliche Einschlagen von Pflöcken ist, hat sich aber schon auf dem G-7-Gipfel gezeigt. Dort wurde der Zeitpunkt für den Kohleausstieg zum Streitpunkt.

Mitglieder der NATO-Staaten blicken auf eine Kunstinstallation zum Thema Klima
Reuters/Kevin Lamarque
Bereits auf dem NATO-Gipfel am Montag und beim G-7-Treffen am Wochenende traf Biden zahlreiche Staatschefs

Heikel ist auch die Frage nach einer Digitalsteuer, die vor allem die US-Technologieriesen wie Apple, Amazon, Google und Facebook treffen soll. Diesen wird vorgeworfen, durch Verschieben ihrer Umsätze und Gewinne Steuerzahlungen in der EU zu vermeiden.

Auch die Regulierung des Austauschs personenbezogener Daten zwischen den USA und der EU ist ein Dauerbrennerthema. Auch im Streit über das amerikanische Pochen auf mehr europäische Eigenleistung bei der Verteidigung zeichnet sich keine schnelle Einigung ab. Zugeknöpft geben sich die USA auch in der Frage der Visafreiheit für Menschen aus der EU.

Fokus auf Russland und China

Biden selbst hat indes den Fokus seiner Europatour zweifelsohne auf die große Geopolitik gelegt und dabei Russland und China in den Mittelpunkt gestellt. Verkündet wird wohl anschließend ein hochrangig besetzter Dialog von EU und USA zur Russland-Politik. Ein ähnliches Format gibt es schon zu China. Ziel ist eine engere Abstimmung im Umgang mit den beiden großen Rivalen der Weltpolitik.

Am Montag hatte dazu ein Gipfel der NATO-Staats- und -Regierungschefs stattgefunden, nach dem klar Position gegenüber Russland und China bezogen wurde. Die Beziehungen zu Moskau hätten einen „Tiefpunkt“ erreicht, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach dem Treffen. Ins Visier der Allianz geriet erstmals auch die Großmacht China, die laut Stoltenberg eine „Herausforderung für die Sicherheit“ der NATO darstelle.

Heikles Treffen mit Putin

Das Treffen in Brüssel gilt als eine weitere Gelegenheit, in der sich Biden vor dem Treffen mit Putin am Genfer See Rückendeckung holen will. Besonders entspannt dürfte die Atmosphäre bei diesem nicht werden – die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind derzeit so schlecht wie schon lange nicht. Zu den Streitpunkten gehören die Frage der Rüstungskontrolle, der Vorwurf von Wahlbeeinflussung, der regelmäßige Verdacht auf russische Hackerangriffe sowie die Menschenrechtslage in Russland.

Biden zeigte sich im Vorfeld aber auch zu Dialog bereit. „Ich werde Präsident Putin zu verstehen geben, dass es Bereiche gibt, in denen wir zusammenarbeiten können, wenn er sich dafür entscheidet“, sagte Biden nach dem NATO-Gipfel. „Und in den Bereichen, in denen wir nicht übereinstimmen, (werde ich ihm) klarmachen, was die roten Linien sind.“