Bild zeigt das Kernkraftwerk nahe Guangdong.
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Gas ausgetreten

Rätseln über chinesisches AKW

Das südchinesische AKW Taishan wirft seit Tagen Fragen auf: Offenbar gab es einen Gasaustritt in einem der zwei Reaktoren, Peking dementiert aber vehement einen Anstieg der Strahlenbelastung. Doch einem Treffen mit Fachleuten der französischen Firma, die den Reaktor baute, stimmte China bisher nicht zu. Im Hintergrund geht es auch um wirtschaftliche Interessen und ein Problem des kommunistischen Regimes.

Denn der radioaktive Super-GAU im japanischen AKW Fukushima ist gerade einmal zehn Jahre her und hat nicht nur in Europa, sondern auch in Chinas Bevölkerung die Skepsis gegenüber Atomkraft sprunghaft ansteigen lassen. Peking bremste daraufhin seine AKW-Ausbaupläne. Dabei ist die Atomkraft für Peking ein zentrales Element, um bei gleichzeitig stark steigendem Strombedarf den dringend nötigen Ausstieg aus Kohlekraftwerken zu schaffen.

Die Probleme im AKW Taishan sollen laut dem US-Sender CNN, der am Montag als Erstes darüber berichtete, schon seit Wochen bestehen. Bis dato ist unklar, was tatsächlich passiert ist und ob ein Risiko für einen Nuklearunfall besteht. Das AKW, das vom staatlichen französischen Energiekonzern Electricite de France (EDF) und der chinesischen Gruppe China General Nuclear Power Group (CGN) als Joint Venture betrieben wird, liegt in der bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich wichtigsten Provinz Guangdong.

Warnung vor „unmittelbarer Bedrohung“

In der Druckwasserreaktoranlage wurden Edelgase im ersten Reaktorkreislauf freigesetzt. Die EDF-Tochter Framatome habe vor einer „unmittelbaren radiologischen Bedrohung“ gewarnt. Laut CNN hat sich die US-Regierung bereits eingehend mit dem Fall beschäftigt. Sie sei zu der Einschätzung gekommen, dass die Anlage derzeit noch keine Krisenstufe erreicht habe.

Der Zwischenfall steht laut EDF offenbar im Zusammenhang mit an Brennstäben in Reaktor Nummer eins aufgetretenen Problemen, die von Framatome in Frankreich gefertigt wurden. Messungen hätten jedoch ergeben, dass die Edelgasbelastung unterhalb der chinesischen Grenzwerte liege.

Setzte China Grenzwerte hinauf?

CNN berichtete, Framatome habe darauf verwiesen, dass China die Grenzwerte für die radioaktive Belastung außerhalb der Anlage heraufgesetzt habe, um sie nicht schließen zu müssen. Sie ist Teil des Versorgungsnetzes für die Metropolregion Shenzhen und Guangzhou.

Mittlerweile ruderte Framatome aber zurück und betonte, man leiste „Unterstützung bei der Lösung eines Betriebsproblems“ in dem AKW. Laut „den verfügbaren Daten läuft die Anlage innerhalb der Sicherheitsparameter“, hieß es in einer Mitteilung. EDF, Mehrheitseigner von Framatome und zu 30 Prozent an dem chinesischen Kraftwerk beteiligt, teilte mit, man habe eine Sondersitzung des Verwaltungsrates des AKW verlangt, CGN reagierte aber offenbar bisher nicht darauf.

Chinas Umweltministerium dementierte am Mittwoch ein Leck in dem AKW. Zudem habe die nationale Behörde für nukleare Sicherheit keine Grenzwerte nach oben gesetzt, so das Ministerium.

IAEA: Bisher keine Hinweise

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien erklärte, sie habe derzeit „keine Hinweise auf einen Strahlenvorfall“. Auch das französische Institut für Strahlenschutz und Atomsicherheit (IRSN) nannte es verfrüht, von einem Atomunfall zu sprechen: „Wir kennen das Ausmaß des Phänomens nicht“, sagte die stellvertretende IRSN-Direktorin Karine Herviou.

Neue Technologie

In Taishan stehen zwei in Frankreich entwickelte Druckwasserreaktoren der dritten Generation vom Typ EPR. Sie sind bisher die einzigen weltweit, die bereits Strom liefern. Die beiden Blöcke westlich der chinesischen Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau waren 2018 und 2019 ans Netz gegangen. Die Technologie soll auch in Anlagen in Frankreich, Finnland und Großbritannien zum Einsatz kommen. Zudem gibt es Verhandlungen mit Indien, in Jaitapur ein riesiges Kraftwerk mit sechs ERP-Reaktoren zu errichten.

Frankreich aber etwa will erste Betriebserfahrungen abwarten. Dazu kommt heftiger Widerstand von Umweltschutzorganisationen und Ablehnung bis Skepsis teils auch in der Politik. Derzeit ist ein Reaktor dieses Typs in Flamanville am Ärmelkanal in Bau. EDF hofft vor allem auch im eigenen Land auf weitere Aufträge. Probleme im chinesischen AKW, sollten sie mit der Technologie zusammenhängen, wären für EDF ein schwerer Rückschlag.

Umgekehrt baut China längst eigene Reaktoren und will diese vor allem an ärmere Länder verkaufen. Schwerwiegende Probleme oder menschliches Versagen könnten das Vertrauen in die chinesische Nukleartechnologie beschädigen.